Neben Eucom und Africom gibt es in Stuttgart die Robinson Baracks, mittlerweile ein Wohngebiet für Angehörige des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Die Hälfte des Areals am Burgholzhof, 13,5 Hektar, haben die Amerikaner bereits 1993 aufgegeben. In den zwölf Jahren danach entstand dort ein neues Wohngebiet für rund 2.500 Menschen: bis heute die größte Konversionsfläche in Stuttgart. Auch im Römerkastell, der Kaserne am Hallschlag, waren die Amerikaner bis 1990 ansässig. Allerdings entschied sich die Stadt an dieser Stelle gegen Wohnungsbau.
Landesweit sind insbesondere nach dem Fall der Berliner Mauer zahlreiche amerikanische, französische und deutsche Militärstandorte aufgelöst und einige der größten und interessantesten Bauprojekte verwirklicht worden. Das Französische Viertel in Tübingen auf dem Areal der früheren Loretto-Kaserne und das Vauban-Viertel in Freiburg gelten als wegweisende ökologische Wohnviertel: gemischte Quartiere für Wohnen und Arbeiten, nicht nur für Gutverdiener. Mehr als 2.000 Bewohner leben in dem Tübinger Quartier, mehr als 5.000 sind es in Freiburg, und das ganz ohne Autoverkehr.
In Ludwigsburg entstanden 2.780 Wohnungen für 7.000 Einwohner in Pattonville, weitere 800 Wohnungen für 1.800 Bewohner in der früheren Flakkaserne auf der Hartenecker Höhe. Das Wohngebiet Rotbäumlesfeld auf dem elf Hektar großen Gelände der Kaserne Krabbenloch mit 610 Wohnungen erhielt 2004 den Deutschen Bauherrenpreis – für hohe Qualität zu tragbaren Kosten. Die Jägerhofkaserne hat die städtische Gesellschaft Wohnbau Ludwigsburg erworben, um dort 170 Wohnungen zu errichten, davon gut die Hälfte Sozialwohnungen. In andere Kasernen ist die Kultur eingezogen: in die Reinhardtkaserne das Film- und Medienzentrum, während das Kunstzentrum Karlskaserne elf Kulturinstitutionen Platz bietet.
Weiter außerhalb gibt es riesige Areale wie den 65 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz Münsingen, heute Kerngebiet des Biosphärengebiets Schwäbische Alb. In der Eberhard-Finckh-Kaserne in Engstingen, Landkreis Reutlingen, wo einst Atomsprengköpfe lagerten, befindet sich heute der Gewerbepark Haid, in ehemaligen Kasernen in Ellwangen und Meßstetten wurden Landeserstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete eingerichtet.
Nur eine Utopie?
Neben dem ersten Stuttgarter Flugplatz, halb auf Böblinger, halb auf Sindelfinger Gemarkung, wo derzeit auf 80 Hektar ein gemischtes Wohn- und Gewerbequartier mit 4.000 Wohnungen und 7.000 Arbeitsplätzen emporwächst, sind vor allem in Mannheim und Heidelberg in neuerer Zeit riesige Areale für neue Nutzungen frei geworden. Acht Kasernen sind es in Mannheim auf 500 Hektar, mehr als 15.000 Wohnungen sollen entstehen. In Heidelberg soll allein das Patrick-Henry-Village als "Wissensstadt der Zukunft" und "Leuchtturmprojekt der IBA" 10.000 bis 15.000 Menschen als Wohn- und Arbeitsraum dienen. Die Architektenkammer hat dazu einen eigenen Arbeitskreis eingerichtet.
Und Stuttgart? Die teuersten Mieten der Republik, jedes Jahr wächst die Notfallkartei des Wohnungsamts, die inzwischen die 5.000er-Marke überschritten haben dürfte, obwohl sich längst nicht alle melden, die dazu berechtigt wären, in einer Sozialwohnung zu wohnen. Die verfügbaren Flächen sind begrenzt. Dazu kommt, dass sich die Stadt jahrzehntelang eher von Immobilien getrennt hat, statt eine kluge Bodenvorratspolitik zu betreiben. Selbst die städtische Wohnungsgesellschaft SWSG spielt eher mit im Wohnungspoker, reißt ab und baut neu, zu viel höheren Preisen, ähnlich manche Genossenschaften.
Die Militärareale der US-Streitkräfte belegen laut Gaßmann 184 Hektar: mehr als das Doppelte des Rosensteinviertels, wo auf angeblich 85 Hektar, Gaßmann zufolge, 7.500 Wohnungen entstehen sollen. Auch im vergangenen Jahr habe die Stadt nur 41 Prozent des notwendigen Neubaubedarfs geschaffen, moniert der Mietervereinsvorsitzende. "Schon ein Teilabzug aus den Robinson-Baracks könnte, nach Kenntnis des Mietervereins, eine Fläche von 65 Hektar für Stuttgarts Bürger nutzbar machen."
Vielleicht eine Utopie. Doch wenn es dazu käme, hätte Stuttgart eine seltene Gelegenheit, mit seinem Wohnungsproblem einen großen Schritt weiter zu kommen. Allerdings nur, wenn sich die Stadt endlich entschließt, dies als ihre eigene Aufgabe zu betrachten.
6 Kommentare verfügbar
Ruby Tuesday
am 21.06.2020Wer denkt denn…