Das Gelände liegt hinter einem hohen Eisentor im Heidelberger Süden, oben ist es mit Stacheldraht gesichert, dahinter steht ein verlassenes Pförtnerhäuschen. Nicolai Ferchl schließt auf. Das Tor klemmt, dann lässt es sich widerwillig quietschend öffnen. Nico ist 29 Jahre alt, groß und sportlich, kurze braune Haare, blaue Trekkingjacke. Hinter ihm ziehen die Doktorandin Franziska Meier und Student Henrik Eckhardt die Kapuzen ihrer Regenjacken tief ins Gesicht. Es ist einer dieser verregneten deutschen Sommertage. Die drei laufen zwischen den verlassenen Gebäuden hindurch. Am Boden kämpft sich das Unkraut zwischen den Betonplatten durch.
Als die US-amerikanischen Streitkräfte 2015 abzogen, hinterließen sie 180 Hektar Land mitten in Heidelberg. Dringend benötigter Wohnraum in einer Stadt, in der die Mieten zu den teuersten in ganz Deutschland gehören. Einige der alten Kasernen sind mittlerweile bewohnt, aber hier, auf dem Gelände des alten Militärkrankenhauses, stehen die Gebäude leer.
Nico Ferchl, Franziska Meier und Henrik Eckhardt sind zum Studieren nach Heidelberg gezogen und alle in derselben WG gelandet. Ihre Fächer – Ferchl Geographie, Meier Geschichte, Eckhardt Physik – hätten sie nicht zusammengebracht. Das Zusammenwohnen schon. "Jedes Fach hat eine eigene Perspektive", sagt Eckhardt. "Wir haben viel voneinander gelernt." In der Küche ihrer Elfer-WG diskutieren sie über Politik, entwerfen Ideen, wie sie die Gesellschaft verändern wollen. Diese Art des Zusammenwohnens, das sollten viel mehr Menschen erleben dürfen, finden die drei.
Im alten Krankenhausgebäude schaltet sich das Neonlicht immer noch automatisch ein. Das Linoleum quietscht unter den Turnschuhen, als die drei den Gang entlanggehen. Bis vor kurzem flogen die US-Streitkräfte die verwundeten Soldaten ihrer Kriege hierher. Einst aus Korea und Vietnam, später aus dem Kosovo, dann aus Afghanistan und dem Irak. In einigen Zimmern hängen noch die OP-Lampen, in der Küche steht eine verwaiste Spülanlage.
In Heidelberg bietet das Studierendenwerk 4800 Wohnheimzimmer, weitere 1000 kommen von kirchlichen oder privaten Trägern dazu. Bei 36 000 Studierenden viel zu wenig. Zu Beginn jedes Semesters werden die Gemeinschaftsräume der Wohnheime zu Notunterkünften für wohnungslose Studierende.
Collegium Academicum im Militärkrankenhaus
Ferchl, Meier und Eckhardt wollen auf dem Gelände des alten Militärkrankenhauses ein Wohnheim für 220 Studierende bauen. Collegium Academicum soll es heißen. Das gab es schon einmal in Heidelberg.
1945 gründete die amerikanische Militärregierung ein Wohnheim für Studierende in einer alten Kaserne in der Heidelberger Altstadt: Das Collegium Academicum, kurz CA. Selbstverwaltetes Zusammenwohnen sollte die in Nazi-Deutschland sozialisierten Studenten zur Demokratie erziehen. Anfangs nur Männern vorbehalten, stürmten 1968 Studentinnen die Duschen des Wohnheims und erstritten sich nackt duschend ihr Wohnrecht. Das Haus politisierte sich und wurde zum sozialen und politischen Zentrum der Studentenbewegung Heidelbergs.
Mario Damolin, Journalist und Autor, war damals dabei. Heute ist er 70, sein Haar ist grau geworden und die wilden 1970er Jahre liegen lange zurück. "Das CA galt als linksradikales, von Terroristen durchsetztes Haus", erzählt er. Stadt und Uni war der studentische Freiraum unbehaglich, und weil das Wohnheim offiziell zur Uni gehörte, ließ die Schließung nicht lange auf sich warten.
Als vor knapp 40 Jahren die Polizisten anrückten, um das CA zu räumen, stand Damolin in der ersten Reihe. "Sie haben uns auseinander gedrängt, und dann waren etliche Studenten plötzlich obdachlos", erinnert er sich. Die versprengten Aktivisten gründeten nach der Räumung einen Verein, sie mieteten ein Haus in der Plöck, einer Straße in der Heidelberger Altstadt. Ein schaler Ersatz, in dem nicht mehr die Energie von einst entstehen wollte. Aber es überdauerte die Jahrzehnte. Und irgendwann zogen Ferchl, Meier und Eckhardt ein.
1 Kommentar verfügbar
Andromeda Müller
am 25.08.2017Das Gleiche bei Verbraucherrechten (finanzielle Austrocknung von…