Es zeigt aber auch, dass die Gegner einer Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs keine wirklichen Argumente gegen eine Neuregelung haben und stattdessen mit Hetze und Verleumdung diesen Kulturkampf inszenieren. Brosius-Gersdorf war Mitglied der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. Die war hochkarätig besetzt und hat nach einem Jahr ihren Bericht vorgelegt, der klare Empfehlungen zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs aussprach und einen Weg zur Entkriminalisierung aufzeigte. Der ist längst überfällig, auch aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen, die Deutschland eingegangen ist, zum Beispiel der UN-Frauenrechtskonvention. Der zuständige Ausschuss der Vereinten Nationen hat Deutschland wiederholt für die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch kritisiert. Mit der Ampel schien endlich ein Durchbruch in Sicht.
Schien?
SPD, Grüne und FDP haben das Thema zu spät angepackt. Dabei war der Vorschlag der Kommission durchdacht und wissenschaftlich fundiert. Ich hatte aber den Eindruck, dass es den drei Parteien dann doch unangenehm war, dass er so eindeutig ausfiel, mit klaren Hinweisen für eine Entkriminalisierung. Zeit dafür wäre seit April 2024 durchaus gewesen. Dann gab es im Oktober einen Gesetzesentwurf aus der Zivilgesellschaft, der ebenfalls ignoriert wurde. Und als die Ampel zerbrach, brachten 300 Abgeordnete überparteilich einen Entwurf ein, der eine Fristenlösung in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft formulierte, bei Beibehaltung der Beratungspflicht. Das war eine Minimallösung und die ist trotzdem gescheitert. Das ist bitter, weil ein erschreckendes Frauenbild zutage tritt.
Inwiefern?
Es gibt keinen vergleichbaren Vorgang für Männer, dass sie so diskriminiert werden, dass ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung derart eingeschränkt wird. Ich denke, das Frauenbild ist von dem sehr alten Thema der Kontrolle der Fruchtbarkeit mitgeprägt. Der Ausgangspunkt ist bis heute, Frauen zu kontrollieren. Deshalb verunsichern Errungenschaften in der Gleichstellung Männer besonders, und unserem Eindruck nach vor allem junge Männer. Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Nach der Ipsos-Erhebung zum Weltfrauentag 2024 finden fünfzig Prozent der Bundesbürger*innen, dass in Deutschland schon genug für die Gleichstellung getan werde, unter Männern sind es aber 60 Prozent. 45 Prozent der Männer sind sogar der Meinung, durch zunehmende Gleichberechtigung würden Männer diskriminiert. Und ein nicht unerheblicher Anteil von jüngeren Männern sieht die Männlichkeit sogar durch Care-Arbeit bedroht. Schlechte Nachrichten.
Was muss sich also nach Ihrer langen Erfahrung im Umgang mit schwangeren Frauen in schwierigen Situationen ändern?
Zum einen die Haltung, denn jede Entscheidung, die eine ungewollt Schwangere vor dem Hintergrund ihrer sehr persönlichen Situation trifft, ist zu respektieren. Frauen treffen verantwortungsvolle Entscheidungen, die geltende Rechtslage erklärt sie aber für unmündig. Niemand aus dem Kreis der Abtreibungsgegner*innen kümmert sich um Frauen, wenn sie das Kind bekommen wollen. Wollen sie nicht, wird die Entscheidung politisiert. Zum anderen ist da die Frage nach dem Zugang zu Information und zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Es ist nach wie vor mühsam, Ärzt*innen zu finden, vor allem, wenn es um einen operativen Abbruch geht. Frauen müssen oft lange herumtelefonieren und immer öfter weit fahren, um einen Abbruch durchführen zu lassen. Da es kein Teil der Gesundheitsversorgung ist, ist die kassenärztliche Vereinigung nicht zuständig. Und das Land, das die Versorgung sicherstellen muss, erhebt selbst keine Daten. Wir fordern schon lange – zusammen mit den anderen Trägern der Schwangerenberatung – eine Datengrundlage. Das ist auch für die Bedarfsplanung wichtig. Der Schwangerschaftsabbruch muss Teil der Gesundheitsversorgung werden und von der Krankenkasse übernommen werden. Denn auch das ist eine Folge der Rechtswidrigkeit: Die Frauen müssen den Eingriff selbst bezahlen. Das Land erstattet die Kosten bei niedrigem Einkommen. Das bedeutet aber einen weiteren Gang, einen Antrag und eine weitere Offenbarung.
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