KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Abtreibungen und christliche Fundamentalist:innen

"Die Bauarbeiter am Reich Gottes"

Abtreibungen und christliche Fundamentalist:innen: "Die Bauarbeiter am Reich Gottes"
|

Datum:

Rechte Christ:innen sind sich einig: Schwangerschaftsabbrüche sollen illegal sein und bleiben. Die Bewegung ist gut vernetzt, hat eine große Reichweite und akquiriert weltweit Millionen US-Dollar.

Der Antifeminismus inklusive seiner Queerfeindlichkeit zählt zu den top Mobilisierungsthemen der letzten Jahre im rechten Spektrum. Darüber hinaus identifizieren ihn universitäre Forschung und Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus als Brückenideologie zwischen Konservativen und der extremen Rechten. Ein Kernthema des Antifeminismus: die Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen, also die Verweigerung der körperlichen Selbstbestimmung von Frauen.

Einerseits schlägt der Antifeminismus Brücken zwischen Christ:innen, zwischen katholischen Bischöfen und streng evangelikalen Freikirchen. Andererseits verbindet er christliche mit politischen Organisationen wie der AfD. Beispielhaft dafür war die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages am 10. Februar zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen. Dort hat Kristijan Aufiero als Sachverständiger gesprochen, vorgeschlagen von der AfD.

Überrascht habe ihn das nicht, sagt Matthias Pöhl von FundiWatch gegenüber Kontext. FundiWatch ist ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss von Menschen, die eine Lücke schließen möchten, indem sie über christlichen Fundamentalismus aufklären. Pöhl bezeichnet diesen als "eine Religion, die sich von einem wörtlichen Bibelverständnis ableitet und die Bibel als absoluten Maßstab nimmt".

"Etappensieg gegen Abtreibungslobby"

Kristijan Aufiero ist Gründer und Geschäftsführer von 1000plus einer Organisation, die Schwangerschaftskonfliktberatung "betreibt, fördert und finanziert". Dabei bekennt sich 100plus klar gegen Abtreibung. Sie ist eng verbandelt mit der Beratungsstelle Profemina, die – in Heidelberg gegründet – auch in München und Berlin Beratungen anbietet und staatlich nicht anerkannt ist. Auch hier ist der Gründer und Geschäftsführer Kristijan Aufiero. Nach eigener Aussage sind 1000plus und Profemina weltweit marktführend in der "ProLife"- Bewegung, was Klicks und Beratung betreffe.

Vor dem Rechtsausschuss des Bundestags argumentiert Aufiero wenig überraschend gegen die vorgeschlagenen Neuerungen bei Schwangerschaftsabbrüchen. Er möchte unter anderem, die von vielen als bevormundend empfundene Praxis der dreitägigen Wartezeit zwischen Beratung und Abbruch beibehalten. Er sagt, die Neuregelung "hin zu einem radikalen Neutralitätsgebot, kommt faktisch einer unterlassenen Hilfeleistung gleich". Schlussendlich positionierten sich auch FDP und Union im Ausschuss gegen den Gesetzentwurf, der Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch streichen sollte. Aufiero nennt das einen "Etappensieg gegen die Abtreibungslobby".

Aufiero und die ProLife Bewegung stellen das Recht eines möglichen geborenen Kindes über das Recht der Schwangeren, und zwar ab dem Zeitpunkt, in dem Samen in die Eizelle eintritt. Er widerspricht in seiner Erklärung den Erkenntnissen der vom Gesundheitsministerium beauftragten "ELSA"-Studie, bei der herausgefunden wurde, dass Menschen, die abtreiben möchten, sehr unter der Stigmatisierung von Abtreibungen und der mangelnden medizinischen Versorgung leiden.

Ultra-konservativ bis extrem rechts

Nicht nur als Geschäftsführer einseitiger Beratungsstellen ist Aufiero tätig, sondern auch als Verleger des christlichen Onlinemagazins Corrigenda. Es ist ein Pfeiler der Brücke zwischen Konservativen und der extrem Rechten: Hier schreiben laut FundiWatch Menschen, die "ultra-konservativ" bis "offen für extrem rechte Einstellungen" sind. Corrigenda ist AfD-nah, pro Trump und die "Omas gegen rechts" gelten hier als demokratiegefährdend.

Philosoph Sebastian Ostritsch, der sich als "bekennender Katholik" beschreibt, veröffentlicht regelmäßig eine Kolumne in der Corrigenda. Als Ostritsch noch an der Universität Stuttgart angestellt war, beschwerten sich Studierende über seine christlich-fundamentalistischen Aussagen. Mittlerweile wird er als Privatdozent auf der Webseite der Universität Heidelberg aufgeführt. Ein weiterer Corrigenda-Autor: Oliver Gorus. Er hatte 2024 zum Bürgergipfel nach Stuttgart eingeladen, bei dem sich Rechtspopulist:innen, Anhänger:innen von Verschwörungserzählungen und eben auch christliche Fundamentalist:innen trafen (Kontext berichtete). Dessen Frau Birgit Gorus leitet die Jugendhilfeeinrichtung Flexflow in Moos, einer Gemeinde im Kreis Konstanz. Flexflow wirbt auf seiner Webseite mit unterschiedlichen Leistungen, wie "Lebens-, Erziehungs- und Paarberatung" aber auch der Versorgung von "unbegleiteten minderjährigen Ausländern". Außerdem bietet das Ehepaar Gorus eine Ausbildung zum Umgang mit "delinquenten Jugendlichen" an.

FundiWatch stelle zunehmend fest, "dass christlich-fundamentalistische Gruppen in den Bereich der sozialen Arbeit vordringen". Und dass dies "nicht als problematisch" wahrgenommen wird. Oft werde gesagt, "das ist eine christliche Gruppe, da ist ja jetzt erst mal nichts Verkehrtes dran". Doch, "wenn man genauer hinschaut" wird teilweise sichtbar, dass es "ethischen und professionellen Standards der sozialen Arbeit" widerspricht, sagt Matthias Pöhl.

Missionare im Internet

Ein Beispiel dafür ist der Verein Mission Freedom, der im Allgäu eine Kinder- und Jugendeinrichtung betreibt. Er steht in der Kritik für seine missionarische Herangehensweise und fehlenden Fachkenntnissen. Die Hamburger Behörden schließen deshalb eine Zusammenarbeit mit Mission Freedom aus.

Dieses breite Netz aus rechts-konservativen bis hin zu extrem rechten Christ:innen hat auch eine starke Internetpräsenz. Dort agieren sie als Influencer:innen, wie etwa der rechtspopulistische Youtuber Leonard Jäger alias "Ketzer der Neuzeit". Der Trump-Fan wurde von der bibeltreuen evangelikalen Influencer:in Jasmin Neubauer in den christlichen Glauben eingeführt und dann getauft. Beide sind Medienprofis: Neubauer folgen etwa 76.000 Menschen bei Instagram und Jägers Youtube Account haben rund 500.000 Menschen abonniert.

Jasmin Neubauer wurde schon bei der letzten Bundestagswahl eine indirekte Wahlwerbung für die AfD bescheinigt. Mittlerweile tritt ihre Nähe zur Partei deutlich hervor. Leonard Jäger hat AfD-Chefin Alice Weidel interviewt, mit ihr über Gott gesprochen und ein Interview zwischen Neubauer und Weidel in die Wege geleitet. Weidel war begeistert.

Während den landeskirchlichen Gemeinden, die bei rechten Christ:innen als zu progressiv gelten, die Gläubigen fehlen, gibt es im freikirchlichen Spektrum viele Neugründungen – von queerfreundlich bis offen rechts. Wobei die rechtskonservativen bis extrem Rechten deutlich überwiegen. Jasmin Neubauer tritt regelmäßig auf Großevents wie der "Holy Spirit Night" auf, zum Beispiel im Oktober 2024 in der Porsche Arena in Stuttgart. Da treffen sich dann junge Menschen und feiern auf moderne, aber dennoch keusche Art ihre bibeltreuen Ansichten.

Die "Holy Spirit Night"-Events werden vom gleichnamigen Verein von Stuttgart aus organisiert, für 2025 sind deutschlandweit Großevents angekündigt, teilweise auch in städtisch betriebenen Mehrzweckhallen, die zur Verfügung gestellt werden für Menschen, die sich gegen Homosexualität und Abtreibungen positionieren, und die propagieren, es gäbe nur zwei Geschlechter. Und Sex ist sowieso nur innerhalb von Ehen erlaubt, in der sich Frauen ihren Männern unterzuordnen haben.

Pöhl erzählt, in diesen jungen hippen Gemeinden werde der Begriff Historymaker in HisStorymaker umgedeutet. Den jungen Gemeindemitgliedern werde gesagt, dass sie eine wichtige Rolle einnähmen, "ihr seid die Bauarbeiter am Reich Gottes, ihr seid berufen und wir erreichen hier gerade ganz viel".

Die Fundis haben ziemlich viel Geld

Rechte Christ:innen werden oft als ein paar einzelne Spinner abgetan. Dabei gibt es kaum universitäre Forschung zu ihnen. Zuletzt forschte dazu das kleine Projekt "Heilige Allianzen: Die gemeinsame Online-Agitation von extremen Rechten und konservativen Christ*innen gegen pluralistische Geschlechter- und Sexualidentitäten" am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Doch das ist ohne weitere Finanzierung ausgelaufen. Darüber hinaus beschäftigt sich keine staatliche Stelle explizit mit dieser Strömung des Christentums.

Dafür hat das Europäische Parlamentarische Forum für sexuelle und reproduktive Rechte schon 2021 die Studie "Die Spitze des Eisbergs" vorgelegt. Sie belegt, dass die Anti-Gender-Bewegung zwischen 2009 und 2018 etwa 707,2 Millionen US-Dollar akquirieren und in ihre vielfältigen Kampagnen stecken konnte. Der größte Teil davon kam aus Europa, etwa 437,7 Millionen US-Dollar.

Thema Schwangerschaftsabbruch in den Wahlprogrammen

Kontext dokumentiert bis zur Bundestagswahl – im Zusammenhang mit eigener Berichterstattung – einschlägige Positionen der Parteien.

CDU/CSU: Paragraf 218 bleibt. Die geltende Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch bildet einen mühsam gefundenen gesellschaftlichen Kompromiss ab, der das Selbstbestimmungsrecht der Frau und den Schutz des ungeborenen Kindes berücksichtigt. Zu dieser Rechtslage stehen wir.

SPD: Wir werden Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren und außerhalb des Strafrechts regeln – außer wenn sie gegen oder ohne den Willen der Schwangeren erfolgen. Wir wollen Schwangerschaftsabbrüche zu einem Teil der medizinischen Grundversorgung machen.

Grüne: Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein Grundrecht, das für alle gelten muss. Dazu gehört das Recht auf Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen. Wir wollen, dass selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr in § 218 des Strafgesetzbuches kriminalisiert, sondern grundsätzlich außerhalb des Strafrechts geregelt werden. Entsprechend den Empfehlungen der Fachkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung, soll in der Frühphase einer Schwangerschaft der Abbruch rechtmäßig sein und für die mittlere Phase ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden. Wir treten dafür ein, dass eine freiwillige Beratung durch ein Recht auf Beratung und ein abgesichertes Angebot von Beratungsstellen in vielfältiger Trägerschaft garantiert sind. Eine verpflichtende Wartefrist zwischen Beratung und Abbruch lehnen wir ab. Zudem muss es genügend Einrichtungen geben, die den Eingriff möglichst wohnortnah mit der gewünschten Methode vornehmen, denn das Angebot für Abbrüche hat sich in den vergangenen Jahren halbiert. Die Kosten sollen von den Krankenkassen übernommen und telemedizinische Betreuung ausgebaut werden.

AfD: Aus Sicht der AfD sind die Regelungen der §218 ff StGB ausgewogen und bedürfen keiner Änderung, lediglich einer konsequenten Umsetzung. Insbesondere ist vor der Abtreibung eine rechtskonforme Beratung lt. §219 StGB erforderlich. (…) Die verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung ist in vielen Fällen zu einem formalen Verwaltungsakt verkümmert und befördert eine Bagatellisierung dieses schwerwiegenden Eingriffs. Sie muss stattdessen dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen. Wie vom Bundesverfassungsgericht zur Bedingung gestellt, ist regelmäßig die Wirksamkeit der Beratungsscheinregelung zu überprüfen. (…) Die Gewissensfreiheit für Ärzte, Abtreibungen zu verweigern, muss erhalten bleiben. Es darf keine Werbung von Ärzten für Schwangerschaftsabbrüche geben. Während der Schwangerschaftskonfliktberatung sollen den Müttern Ultraschallaufnahmen des Kindes gezeigt werden, damit sie sich über den Entwicklungsstand des Kindes im Klaren sind.

FDP: Ungewollt Schwangeren möchten wir bestmöglich helfen und die unzureichende Versorgungslage verbessern. In allen Bundesländern soll in die Ausbildung der Gynäkologinnen und Gynäkologen der Schwangerschaftsabbruch in die Ausbildung integriert werden. Allen Frauen soll die Kostenübernahme des Abbruchs ermöglicht werden. Existierende Möglichkeiten medikamentöser Abbruchmethoden sollten Schwangeren besser zugänglich gemacht werden und z.B. medizinisches Personal und Hebammen begleitet werden können. Eine Reform der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch (§§218, 218a StGB) soll im Wege von sog. fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen mit Gewissensfreiheit für jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten im nächsten Bundestag beraten werden.

BSW: Die freie, selbstbestimmte Entscheidung über den eigenen Körper und darüber, ein Kind zu haben oder nicht, muss garantiert sein. Das BSW fordert die grundsätzliche Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur 12. Woche.

Linke: Körperliche und reproduktive Selbstbestimmung für alle sind zentrale Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Familien- und Lebensplanung. Deshalb muss die Entscheidung gegen eine Schwangerschaft frei von Zwängen, Hindernissen und Stigmatisierung möglich sein. § 218 StGB muss ersatzlos gestrichen werden. Die Versorgungslage ungewollt Schwangerer muss deutschlandweit verbessert werden. Beratungsangebote müssen freiwillig statt verpflichtend sein. Der Schwangerschaftsabbruch muss als medizinischer Eingriff gelten, der zur gesundheitlichen Versorgung dazugehört.

 

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Antje Zint
    am 19.02.2025
    Antworten
    Ich lese ihre Zeitung gerne und finde sie informativ.
    Der obige Artikel wird der Komplexität des Themas Schwangerschaftsabbruch und gelebtes Christsein m.E. aber nicht gerecht und verkürzt auf „Konservativ, freikirchlich und rechts = abgedreht und weltfremd“.
    Das breite Spektrum der Sichtweisen…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!