Die Befindlichkeiten eines Kerls, der etwas hinschreibt in der Anmaßung, andere hätten seinen Kram gefälligst zu lesen, sollten von allen Lesenden ferngehalten werden. Es interessiert kein Schwein, ob er während seiner Absonderungen an einem in die Jahre gekommenen Computer unter Zahnweh oder Liebeskummer gelitten hat. Was zählt, ist das Ergebnis. Und nicht, wie es von einer Blasenentzündung beeinflusst wurde.
Als ich diese Zeilen an einem Februarmorgen tippe, fallen Flocken vom Himmel, so fett und widerlich, dass sie mich an eine Geschichte aus Robert Walsers Buch "Der Spaziergang" erinnern. Ich blättere und finde rasch die richtige Stelle. Der Dichter schildert einen finsteren, eisig kalten Tag: "Alle guten Eingebungen und alle guten Gedanken waren mir verloren, und ich selbst war verloren." So beginnt ein guter Morgen.
Zuletzt ging ich immer wieder, begleitet von einem Virus, ziellos durch nasse Straßen, auf der Suche nach Eingebungen und Gedanken, ohne Aussicht, es könnten gute sein. Es ist schön unterwegs. Es plätschert und zischt. Das ist die Gischt, wenn es pisst.
Die Hoffnung, mit den Schneeflocken könne der Herr auch Hirn raschmeißen, wie es der schwäbische Volksmund fordert, sollte man schnell vergessen in diesen Zeiten. Mit Eingebungen kann ich eh nicht rechnen. So gut wie nie operiere ich mit KI, ich verzichte auf Spotify und habe als letzter Mensch weit und breit nicht mal einen eigenen Podcast. Dermaßen gebrandmarkt, wäre jede Fahndung nach meiner Person extrem schnell erfolgreich. Die Morgennachrichten empfange in Unterhosen meist nur noch über ein Transistorradio von Grundig, made in China. Und selbst die sind schlimm genug.
Oft weiß ich nicht mehr, wo links und rechts ist. Im Straßenverkehr ist das auch für den Fußgänger gefährlich. Früher habe ich mich an die Regel gehalten: Rechts ist da, wo der Daumen links ist. Heute traue ich nicht mal mehr meinen eigenen Daumen. Vor der Alten Staatsgalerie, nicht weit vom Bahnhof, ist eine furchteinflößende Anarcho-Kreuzung, die ich fast täglich überquere. Eine Ausgeburt der Autostadt. Würde ich Grün, Gelb und Rot beachten, müsste ich dort den Rest meines Lebens verbringen. In solchen Situationen hilft dir selbst die Wahlempfehlung der Linken nur bedingt: "Nach der Ampel: links abbiegen". Eine Chance vorwärtszukommen hast du nur, wenn du individuelle Betrachtungen wie "links" und "rechts" oder gar "Auto kommt, kein Auto kommt" weglässt und dich mit radikaler Eroberungswut ans andere Ufer kämpfst. Kopf voraus, der Poesie alter Sportreporter folgend: "Uwe Seeler brach in der Mitte durch." Bisher kam ich ohne Frakturen davon.
Todesurteil? Daumen hoch!
Andrerseits habe ich an dieser Kreuzung mit Sicht auf eine ewige Baustelle so viele Stunden, vermutlich ganze Tage und Wochen verbracht, dass mir nichts anderes übrig blieb, als mir Gedanken zu machen. Der Zeitvertreib mit dem Taschentelefon, der ganz ähnlich funktioniert wie früher die Zigarette, wäre an dieser Kreuzung tödlich. Und so schaue ich nach links und rechts und frage mich: Wo geht's lang?
Seit die Führer-Forscherin Weidel der Welt offenbart hat, dass Hitler Kommunist war, hat die politische Mitte als undefinierbares Wesen der anderen Art wieder ein Positionsproblem: Nach dieser Enthüllung trieb sie ihr gut gehegter Kommunistenhass panikartig so weit nach rechts, bis sie mit Weidels Partei kollidierte. Der Aufprall verlief sanft, einer gemeinsamen Zukunft steht nichts mehr im Weg. Der Führer winkt lächelnd herüber, und Ernst Jandls berühmtes Gedicht zitiere ich jetzt nur, damit es niemand vermisst: "Manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern / werch ein Illtum." Jimi Hendrix war Linkshänder, Maradona Linksfüßler, ich bin Linksträger.
Als Spaziergänger, ich habe es öfter erwähnt, leide ich an Orientierungslosigkeit, besitze kein geografisches Gedächtnis, bin also oft auf dem Holzweg. Doch auch ohne diese Macke ist es verdammt schwer, die richtige Richtung zu finden. Den Daumen als unzuverlässigen Wegweiser habe ich schon genannt. Lange ging ich im Glauben durch die Welt, der gehobene Daumen signalisiere Gutes, der gesenkte Schlechtes. Das Ganze, dachte ich, ginge auf die Gladiatorenkämpfe zurück. Gehobener Daumen: leben lassen. Gesenkter Daumen: Gegner töten. Anscheinend ist das ein Irrtum. Wahrscheinlich, habe ich gelesen, bedeutete der gen Himmel gestreckte Daumen: Erhebe das Schwert und erledige ihn. Der zur Hölle gerichtete Daumen: Lass ihn leben. Weil ich seinerzeit bei den Colosseum-Fights nicht in der VIP-Lounge saß und heute die Historikerstreits nicht stören will, lege ich mich bei dieser Sache nicht fest. Sicher ist, dass sich das Wort "Gladiator" vom lateinischen "gladius" (Stoßschwert) ableitet.
Im Übrigen rate ich nach meinen etwas länger zurückliegenden Erfahrungen mit dem armen Konrad im beschissenen "Struwwelpeter" zur Vorsicht: "Als die Mutter kommt nach Haus, / Sieht der Konrad traurig aus. / Ohne Daumen steht er dort, / Die sind alle beide fort."
Caesaren im Valley
Wer sich unterdessen für die Kampfrituale der alten Römer interessiert, landet mitten in unserer Gegenwart. Immer öfter liest man von den liebenswerten Neigungen gutverdienender amerikanischer Bürger aus der Trump-Bande, "sich mit römischen Caesaren zu identifizieren". So stand es neulich in der Einleitung eines FAS-Interviews mit dem italienischen Autor Aldo Cazzullo: "Diese Römer spinnen wirklich." Während sich Facebook-Imperator Mark Zuckerberg die Frisur von Kaiser Augustus zulegte, um dezent-stylish seinen Anspruch auf ein neues Weltreich zu senden, wählte Weltraum-Kaiser Elon Musk Roms blutigen Diktator Sulla als Vorbild. Der zerlegte einst den Senat, auf seinen Spuren macht Musk derzeit die US-Administration platt. Sullas Hobby war es, seinen Hunden die Herzen seiner Gegner zum Fraß vorzuwerfen. Und seine Liste, die ihm beim Säubern des politischen Betriebs half, inspirierte Musk, selbst eine solche anzulegen. Immer öfter liest man die Schlagzeile: "Weltmacht USA – das neue Rom". Geschichte aber wiederholt sich nicht. Andere schweinische Zeiten, andere mörderische Sitten.
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