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Thorsten Frei, CDU

Der wohltemperierte Hardliner

Thorsten Frei, CDU: Der wohltemperierte Hardliner
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Kein CDUler aus Baden-Württemberg ist im politischen Berlin mächtiger als Thorsten Frei. Jetzt steht der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag vor einem nächsten, seinem bisher größten Karriereschritt.

Er tritt auf als Schwiegermutter-Typ schlechthin: immer adrett, bevorzugt mit Krawatte, fast immer entwaffnend freundlich. Thorsten Frei ist ein gern gesehener Gast bei Ortsterminen, in Unternehmen und sogar bei Abgeordneten anderer Parteien. Nicht zuletzt steigert er seine Talkshow-Präsenz, was seine Bekanntheit nach oben hat schnellen lassen. In den letzten Tagen vor der Bundestagswahl ist die Schlagzahl im heimischen Wahlkreis und weit darüber hinaus so hoch, dass in Mitteilungen an die Medien sogar Blindtext verbreitet wird. "Stet clita kasd gubergren, no sea takimata sanctus est Lorem ipsum dolor sit amet", lautet das Resümee eines Firmenbesuchs im heimischen Donaueschingen.

Solche Fehler sind lässlich, andere nicht, etwa wenn er in einem aktuellen Post den Bogen zu Weimar schlägt: "Die große Lehre der Dreißigerjahre ist, dass demokratische Führung entschlossener sein muss als die autoritären und totalitären Alternativen." Den Begriff "entschlossener" übersetzt der 51-Jährige aus dem Wahlkreis Schwarzwald-Baar selbstredend mit: einverstanden mit Vorschlägen von CDU und CSU. Immer wieder recycelt er in Interviews und Reden den Satz: "Man darf nicht auf das Richtige verzichten, weil die Falschen auch dafür stimmen könnten." Ohne Zweifel ist er intellektuell in der Lage, zu durchdringen, dass es darum in den beiden Bundestagsabstimmungen gar nicht gegangen ist, sondern um die Akzeptanz einer Mehrheit, die ohne AfD nicht zu Stande gekommen wäre. 

Derzeit parkt Frei auf dem rechten Flügel, im Boys Camp des Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, wie es in der Hauptstadt in Anspielung auf die Handvoll Vertraute heißt, die Angela Merkel auf dem Weg nach oben im oft beschriebenen Girls Camp um sich geschart hatte. Schon 2023 verlangt Frei in einem FAZ-Beitrag eine Grundgesetzänderung zur Verschärfung des Asylrechts. Die Aufregung ist groß, Kritik gibt es damals sogar noch in den eigenen Reihen. Konkrete Schritte folgen aber ohnehin nicht, aber der Versuchsballon fliegt.

Nach dem Mord an dem Mannheimer Polizisten Rouven L. im Mai 2024 will er die Bundesregierung verbal noch weiter vor sich hertreiben mit der Forderung, "schwerkriminelle Asylbewerber" auch nach Afghanistan abzuschieben, weil "das Schutzinteresse der Bevölkerung überwiegt". Damit brachte er den kürzlich verstorbenen Gerhart Baum, den früheren liberalen Bundesinnenminister, gegen sich auf, der eindringlich davor gewarnt hatte, eine Anti-Islam-Hysterie auf diese Weise zu bedienen. Entsprechende Reflexe seien "offenbar tief in unserer Gesellschaft angelegt", sagte Baum an die Adresse seiner FDP, und deshalb sei es "verantwortungslos, wenn demokratische Parteien solche Stimmung nutzten, statt sie zu bekämpfen".

Karriereleiter als Lebensaufgabe

Von diesem Anspruch hat sich Frei, gebürtiger Säckinger mit Jura-Studium und Erfahrung als Rechtsanwalt, weit entfernt. Doch sein verbindliches Auftreten, die Fähigkeit, bei Live-Interviews, Talkshows und sonstigen Auftritten in der Regel nicht zu überziehen, machen ihn sympathisch. Selbst als ihn Markus Lanz, der Late-Night-Inquisitor der Republik, am Tag der Parlamentsmehrheit durch die AfD immerzu mit Fragen nach inhaltlichen Schnittmengen mit Rechtsaußen löchert, bleibt er wohltemperiert, legt seine Stirn in Querfalten und lässt berechtigte Kritik konsequent an sich abperlen. Kein Wunder, dass Kolleg:innen aus der Bundestagsfraktion neben dem "immensen Fleiß" speziell die Nervenstärke rühmen. 

Der Vater von zwei Söhnen und einer Tochter hat einen ungewöhnlichen politischen Aufstieg hinter sich. Er sei, sagt eine Kennerin, einer der ganz wenigen Spitzenpolitiker in Berlin mit Erfahrungen in Kommunal- und Landespolitik. Frei war persönlicher Referent bei Christoph Palmer, als der unter Ministerpräsident Erwin Teufel (beide CDU) Minister im Stuttgarter Staatsministerium war. 2004 wechselte er als Oberbürgermeister nach Donaueschingen, siegreich schon im ersten Wahlgang mit fast 70 Prozent. Das Amt werde keine Zwischenstation auf der Karriereleiter sein, sagte er damals im Überschwang, denn "man kann als Oberbürgermeister nur wirken, wenn man es als Lebensaufgabe begreift". Er habe jedenfalls viel bewegt in der Großen Kreisstadt, loben Räte auch aus anderen als der CDU-Fraktion.  

Im Herbst 2012 und nur vier Wochen nach seiner Wiederwahl mit 99 Prozent der Stimmen war es mit Lebensaufgabe schlagartig vorüber: Denn eine Tür in den Bundestag öffnete sich. Mit Instinkt und – nach seiner eigenen Lesart – "aus Verantwortung für die CDU" griff er nach der Kandidatur gegen den Parteifreund und bisherigen Abgeordneten Siegfried Kauder, der sich durch etliche Merkwürdigkeiten parteiintern ins Aus manövriert hatte. 2013 wechselte Frei mit bestem Leumund nach Berlin. Gekommen, um zu bleiben und aufzusteigen, lautet sein Motto seither – selbst als Diener verschiedener Herren. Denn schon der damalige Fraktionschef Ralph Brinkhaus übertrug ihm das herausgehobene Amt des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers. Als Brinkhaus 2022 seinen Platz nach unsanftem Druck für Friedrich Merz räumen musste, übernahm der Sauerländer aber den engen Mitarbeiter seines Vorgängers.

Überhaupt ist Mäandern zwischen den Flügeln eines seiner Markenzeichen. Der Aufsteiger mit dem Lieblingstier Löwe – wegen "Kraft, Anmut und Familiensinn", wie Frei sagt – kommt aus dem Lager von Erwin Teufel und wurde Vize der Südwest-CDU unter Günther Oettinger. 2011 wiederum unterstützte er Thomas Strobl, als der erfolgreich nach dem Landesvorsitz griff, 2016 managte er den Wahlkampf von Strobls Kontrahenten Guido Wolf im Rennen um die Spitzendandidatur, der zum Herausforderer von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wurde – und krachend scheiterte. An dem Minus von satten elf Prozentpunkten für die Union hatte Frei seinen Anteil, tauchte danach aber geschickt ab und wollte offensiv keine Verantwortung übernehmen für dieses Desaster. Kurz darauf war er zurück auf der Bildfläche, als einer der wichtigsten Verhandler um Strobl, die Baden-Württembergs erste grün-schwarze Koalition schmiedeten. 

Frei steht für programmatische Flexibilität

Auch programmatisch hat Frei schon so manches ausprobiert. So manches ist übrigens nachzulesen auf abgeordnetenwatch.de, weil er und sein Team Anfragen, wenn auch nicht immer erhellend, so doch zumindest vorbildlich konsequent beantworten. Als Kommunalo verlangte er noch nach einem starken, handlungsfähigen Staat, weil entsprechende Investitionen einen wirtschaftlichen Abschwung abbremsen und das Vertrauen der Bürger in die Politik steigern könnten. Er erkannte früh an, dass Deutschland Einwanderungsland ist, und rief dazu auf, "die Lebenslüge zu überwinden". Im baden-württembergischen Wahlkampf 2016, als die CDU eigentlich an den Grünen vorbeiziehen wollte, appellierte er, deutsche Grenzen nicht zu schließen, schon gar nicht im Alleingang. Eine Sonderrolle könne sich vielleicht ein kleines Land in Europa wie Österreich leisten, nicht aber ein großes wie Deutschland, angesichts seiner Verantwortung in der EU.

Zugleich bewies er, dass wohlerzogenes Auftreten und der Hang zu zeitlos klassischen Haifischkragenhemden nicht unbedingt mit redlicher Stilsicherheit einhergehen muss. In den letzten heißen Wochen vor dem Urnengang 2016 hielt er den unappetitlichen Slogan der der Jungen Union – "Wer Kretschmann wählt, bekommt Özdemir" – nicht nur nicht auf, sondern behauptete auch noch, damit sei "absolut" keine Verunglimpfung beabsichtigt. Bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen wenig später gab der hurtig Gewendete alsbald den kühlen, stramm Konservativen, faktenfest, zuständig speziell für die innenpolitischen Ziele der künftigen Landesregierung und damit für die "schwarze Handschrift". In einem seiner "Frei-Briefe", wie er seine Infopost zu aktuellen Vorgängen nennt, lobte der Sohn eines Polizisten, dass "die von den Grünen vehement geforderte Kennzeichnungspflicht" für Einsatzkräfte verhindert worden sei (fünf Jahre später, als die Schwarzen erneut an den Kabinettstisch drängten, kam sie schließlich doch).

Auch in Sachen Asylpolitik hat Frei seine kritische Haltung zu nationalen Alleingängen und das Plädoyer für ein verantwortungsvolles Deutschland überdacht und lag kürzlich bei der Abstimmung zum Zustrombegrenzungsgesetz ganz auf Linie von Friedrich Merz. Privates, Familiäres hat der Bewegliche – anders als andere – lange Zeit konsequent ferngehalten aus eigenen und den Veröffentlichungen Dritter. Kürzlich brachte die "Bunte" dann doch ein Interview samt Urlaubfoto mit Frau Katharina und einem Bekenntnis erfolgreicher Männer, die dergleichen selbst heute noch für unumgänglich halten: Ohne ihre Bereitschaft, die Familie zu managen, "hätte ich den Weg nach Berlin nicht gehen können". Interessanter sind da schon die Einzelheiten, die ihm Mariam Lau für die "Zeit" auf einer nächtlichen Fahrt durch Bayern entlocken konnte: Der Vater war nicht nur Polizist, sondern im Personenschutzkommando von Generalbundesanwalt Kurt Rebmann in den Jahren der RAF. Disziplin, Loyalität, Pflichtgefühl, das seien die Dinge, erzählt Frei, die er zu Hause gelernt habe. Und das Konservativsein sei ihm als Katholiken schon früh so wichtig gewesen, dass er nicht Ministrant werden wollte, weil "das nach Demonstrant klang – nach den anderen, den Chaoten".

Vielfach vorhergesagt wird dem "Kennedy von der Baar" und bekennenden Fan der Schuldenbremse ein sehr hohes Amt nach der Bundestagswahl, womöglich das des Kanzleramtsministers. Die Außenansicht des Gebäudekomplexes kennt er bestens von seinen disziplinierten frühmorgendlichen Jogging-Runden. Es könnte aber auch sein, dass sich sein unermüdliches Wirken für und in der Fraktion auszahlt. Viele Aspekte sprächen für ihn als Merz' Nachfolger als Fraktionsvorsitzender im Bundestag, sagt einer seiner Kollegen aus dem Südwesten. Das über die Jahre gesammelte Wissen zum Beispiel, und dass Baden-Württemberg als zweitgrößter Landesverband nach NRW ohnehin "mal wieder dran ist" nach Wolfgang Schäuble (1991 bis 2000) und Volker Kauder (2005 bis 2018). Andere loben den Hang zur "guten freien Rede" sowie die Fähigkeit, Botschaften und Inhalte klar zu vermitteln.

Gerade Letzteres wird spannend zu beobachten sein. Nicht nur die Jahre zwischen 2011 und 2016 im Südwesten haben gezeigt, dass die CDU Opposition gar nicht will und nicht kann; dass sich aus dem christlichen Menschenbild ergebende liberale Überzeugungen im Bemühen um Ecken und Kanten und die Rückkehr an die Macht unter die Räder geraten; dass längst formulierte Überzeugungen beispielsweise zum Klimaschutz verwässert werden bis zur Unkenntlichkeit. Regieren ist komplizierter als Opponieren, eröffnet aber viele zusätzliche Gestaltungsspielräume. Und wenn einem die Rolle des Fraktionschefs zufällt, dessen Lebenslauf auch Ausweis eines vielfach geschmeidigen Pragmatismus ist, dann muss das kein Schaden sein. Jedenfalls wenn der Weg nicht noch weiter nach rechts führt, sondern zurück – in die inzwischen von der Union als links geschmähte gute alte Mitte.

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