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Bauernprotest

Angst vor Bio

Bauernprotest: Angst vor Bio
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Beim Zorn, den geplante Kürzungen von Agrarsubventionen provoziert haben, stellt sich die Frage, was sich da zusammengebraut hat. Die CDU schiebt die Schuld der Ampel zu – doch die Probleme von heute hat sie selbst mitverursacht.

Manuel Hagel will die Frage nach einer Mitverantwortung seiner Partei für die derzeitige Lage und die Proteste einfach nicht beantworten. Auch nach mehreren Anläufen nicht. Stattdessen versucht der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende im Landtag Baden-Württembergs, die Probleme allein der Ampelkoalition in Berlin in die Schuhe zu schieben. Schließlich richteten sich ja die Demonstrationen "gegen die Politik der Bundesregierung" und da "jetzt was anderes zu unterstellen, wird den Tatsachen nicht gerecht". Vorsichtig ausgedrückt ist diese Behauptung mindestens mutig.

Die Realität ist eine ganz andere. Bester Beleg dafür, weil von der CDU mitunterschrieben, sind einschlägige Passagen im ersten grün-schwarzen Koalitionsvertrag von 2016. Dort wurde der Reformbedarf dokumentiert: "Es ist uns ein wichtiges Anliegen, die Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Familienbetriebe zu stärken", steht da zu lesen. Oder: "Unser Ziel ist es, die im bundesweiten Vergleich schlechte Einkommenssituation der baden-württembergischen Landwirtinnen und Landwirte zu verbessern und ihnen damit eine Zukunftsperspektive zu bieten." Oder: "Wir wollen, dass unsere Betriebe das Marktpotenzial und den Einkommensvorteil nutzen können, der sich aus der ökologischen Landwirtschaft ergibt." Stärken? Nutzen? Verbessern?

Österreich ist Baden-Württemberg um Jahre voraus

Die ehemaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger und Stefan Mappus waren schon vor Jahren deutlich weiter als Hagel heute. Sie begaben sich nach Wien, unter anderem zu Josef Pröll, dem damaligen ÖVP-Agrarwirtschaftsminister, um zu erfahren, wie Österreich Baden-Württemberg derart abhängen konnte bei der Transformation, die damals noch Umbau hieß. Bei den Nachbar:innen war das parteiübergreifend ausgegebene Ziel, bis 2010 mindestens auf einem Fünftel der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch zu wirtschaften, fast erreicht. Etwa doppelt so viel wie im deutschen Südwesten. Das sollte helfen, so die Erwartungen, um für ein Auskommen mit dem Einkommen zu sorgen.

Und alle Steuerzahler:innen zahlen mit

Wer nicht in der Nähe eines bäuerlichen Betriebs wohnt, konnte sich nur die Augen reiben, ob der langen Kolonnen riesiger Maschinen, die aus Protest durch die Republik rollten. Traktoren für stattliche sechsstellige Summen boomen. Ein Grund dafür ist, dass zur Abmilderung von Pandemiefolgen Landwirt:innen ab 2020 möglich war, die Anschaffung degressiv und nicht linear abzuschreiben. Will heißen: Die Anteile der Anschaffungskosten, die steuerlich geltend gemacht werden können, sind nicht jedes Jahr gleich hoch, sondern sinken von Jahr zu Jahr, und in den ersten Jahren nach der Investition sind sie deutlich höher. Wer beispielsweise für eine der Riesenmaschinen 250.000 Euro berappte, konnte im ersten Jahr 50.000 Euro geltend machen statt knapp 21.000 wie bei linearer Abschreibung über zwölf Jahre. Im Netz kursieren nicht nur viele Rechenbeispiele, wie lohnend der An- und rasche Wiederverkauf deshalb sein kann, sondern auch entsprechend viele Angebote gebrauchter Trecker. 2022 sind 35.000 Neuzulassungen gezählt. Vor Corona waren es rund 28.000. 2023 hat das Bundesfinanzministerium die Ausnahmeregelung aufgehoben. Abgeschrieben werden muss wieder linear. Durch Investitionen in den ersten Jahren überdurchschnittlich Steuern zu sparen, ist also komplizierter geworden. Aber nicht unmöglich. Denn einschlägige Portale haben gute Tipps für "interessierte Betriebe", um sich "trotz des Wegfalls Liquiditätsvorteile zu verschaffen".  (jhw)

Oft sind die beiden Länder verglichen worden wegen zahlreicher Parallelen wie der ähnlichen Agrarstruktur, der vielen kleinen und mittleren bäuerlichen Familienbetriebe, der schwierigen Lagen im Schwarzwald oder in den Alpen und auch im Hinblick auf das Höfesterben. Beim Betreten des zuständigen Ministeriums in Wien zeigte sich aber schon vor 15 Jahren ein zentraler Unterschied: Offensiv warben Plakate für Produkte aus der Region ("Bio? Logisch!"). Pröll sprach gern vom "mehr als sanften Druck" auf den Handel, in die Vermarktung einzusteigen. Der österreichische Aldi-Ableger namens Hofer hatte mit seiner Eigenmarke "Zurück zum Ursprung" bereits für Furore gesorgt. In den 450 Filialen sollte das Angebot nach und nach auf mehrere hundert Produkte anwachsen – Wasser, Säfte, viele Milchsorten, Gemüse, Getreide, Obst, Fleisch, Öle, Kräuter und so weiter.

In den Diskussionen zwischen Gästen und Gastgeber:innen bei Österreich-Reisen sorgte unter ÖVP-Politiker:innen immer wieder für Verwunderung, dass und wie in der deutschen Schwesterpartei Befürchtungen diskutiert wurden, Erfolge einer Neuausrichtung der Agrarpolitik hin zu mehr Bio und Öko könnte an Wahltagen vor allem bei den Grünen einzahlen. Überhaupt erst im Koalitionsvertrag 2021 zeigte sich die hiesige CDU bereit, konkrete Ziele mitzutragen: "Die ökologische Landwirtschaft wollen wir bis zum Jahr 2030 auf 40 Prozent ausbauen."

Die CDU hatte mal ein eigenes Bio-Programm

Dabei hatte schon in den 80er-Jahren der zuständige Landesminister Gerhard Weiser (CDU, 1976 bis 1992), selber Bauer, ein 100-Millionen-Mark-Programm zur Förderung der Umstellung auf Bio aufgelegt, mit Prämien von umgerechnet bis zu 700 Euro pro Hektar. Damit war jedoch eine ganz bestimmte Hoffnung von Baden-Württembergs damaligem Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) verbunden: Mit einer umweltbewussten eigenen Politik könne die neue Partei Die Grünen wieder aus den Parlamenten herausgeschoben werden. Auch in ihrer "Grünen Charta" hatten zunächst die CDU Südbaden und dann der gesamte Landesverband umfassende Vorschläge zum Strukturwandel in Richtung Bio erarbeitet.

Vieles musste schon allein deshalb im Sande verlaufen, weil, wie es in einer Magisterarbeit zum Thema heißt, in Süddeutschland "keine klare Zuwendung zum Öko-Landbau" erkennbar gewesen sei. Baden-Württemberg sah sich auf EU-Ebene zwar häufig in der Vorreiterrolle und konnte unter Landwirtschaftsministerin Gerdi Staiblin (CDU, 1996 bis 2001) immer wieder einschlägige Programme in Brüssel durchboxen. Die Idee vom "Schatzkästlein", so die Südbadenerin, das Baden-Württemberg bei richtiger Weichenstellung werden könne, blieb aber im Für und Wider und einer endlosen Debatte über die Koexistenz der verschiedenen Produktionsweisen hängen. Und im unter Schwarzen noch immer weitverbreiteten Bemühen, in umweltpolitischen Fragen nur ja nicht zu sehr nachzugeben.

Peter Hauk, der heutige Minister für den ländlichen Raum (CDU, 2005 bis 2010 und seit 2016), könnte den neuen Parteivorsitzenden Hagel profund aufklären. Zum Beispiel bei einem Thema, das derzeit neben den KfZ-Steuer- und den Agrardiesel-Subventionen diskutiert wird: der Herkunft- und Qualitätskennzeichnung. Während die Grünen oder die SPD in der Vergangenheit – etwa im Zuge der BSE-Seuche – strengere Kriterien in Sachen Tierhaltung oder Futtermittel für die Vergabe des Landeswappens mit den drei baden-württembergischen Löwen verlangten, pflegte Hauk in seiner ersten Amtszeit zwischen 2005 und 2010 derb mit dem Hinweis zu kontern, er sei eben kein Anhänger eines Überwachungsstaats.

Immer wieder begnügte sich der studierte Forstwirt in seiner ersten Amtszeit anstelle eines klaren Bekenntnisses zur auch ökonomisch sinnvollen Umstellung auf Bio mit dem Appell, ökologische und konventionelle Landwirtschaft nicht gegeneinander auszuspielen. Gern führte Hauk Triviales ins Feld, wie etwa den Umstand, dass die Belastung von konventionellen Lebensmitteln mit Rückständen von Pflanzenschutzmitteln "fast durchgängig innerhalb der zulässigen Grenzwerte" lag. Immer und immer wieder forderten die Fachpolitiker:innen der Grünen oder der SPD die damalige schwarz-gelbe Regierung auf, Markttrends nicht zu Lasten heimischer bäuerlicher Familien zu verschlafen. Immer wieder mauerte die CDU, vor allem wenn es darum ging, die großen Handelsketten ins Boot zu holen.

Die Konservativen setzen auf Halbwissen

Agrarpolitik ist kompliziert – und deshalb eine gängige Methode, auf Halb- oder Unwissen des Publikums zu setzen im Bemühen, parteipolitisch zu punkten. So ist es angesichts der jahrzehntelangen Blockadehaltung der CDU fast dreist, dass in einem Positionspapier an die Adresse der Protestierenden ("Wir stehen hinter Euch!") die Berliner Ampel aufgefordert wird, "die Aspekte der Einkommenswirksamkeit und der wirtschaftlichen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe wieder mehr in den Fokus der Entscheidungen zu nehmen". Und als Treppenwitz der Geschichte kommt per Nebensatz das Verlangen nach "Umsetzung der Borchert-Empfehlungen" daher. Diese Kommission war 2019 von CDU-Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (2018 bis 2021) eingesetzt worden und hatte durchgerechnete und rechtssichere Vorschläge für mehr Tierwohl im Stall und auf der Wiese gemacht. Umgesetzt wurden sie nie. Weder von Klöckner noch ihrem Nachfolger Cem Özdemir (seit 2021) – vor allem aus einem Grund: Es fehlt am Geld. Nicht erst seit heute.

Dreh- und Angelpunkt des Dilemmas ist die Schuldenbremse, die sich die Republik auf Bundes- und Länderebene verordnet hat. Der neoliberale Zeitgeist macht eine Gesellschaft aber nicht krisenfest. Um das zu beweisen, hätte es die Trecker-Kolonnen gar nicht gebraucht. FDP und Union wollen sich einfach nicht verabschieden von der Idee mysteriöser Kräfte, die sich erst durch einen schlanken Staat entfesseln. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will aber ausdrücklich nicht mehr Geld zur Verfügung stellen und bot am Montag in seiner von Brülltiraden begleiteten Rede vor dem Brandenburger Tor ersatzhalber den Abbau von Bürokratie an. Beim aufgebrachten Publikum sorgt das für zusätzlichen Ärger: Seit Lindners Amtsantritt ist der Verwaltungsaufwand der Landwirte nicht gesunken, sondern deutlich gestiegen, beispielsweise bei der besonders umständlichen Abrechnung der Agrardiesel-Erleichterungen.

Gar keinen Beitrag zur Lösung der Probleme will die Bundestagsfraktion der Union leisten, deren parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei mit Sätzen wie "Die Ampel muss sparen lernen" auftrumpft. Der nächste Aufreger ist programmiert. Özdemir recycelt die Idee seines Vorvorgängers Christian Schmid (CSU, Bundeslandwirtschaftsminister von 2014 bis 2018) und will verlässliche Spielräume durch die Einführung einer Tierwohl-Abgabe eröffnen. Nach Berechnungen, die auch schon lange in ministeriellen Schubladen schlummern, könnten etwa der Liter Milch rund vier und ein Kilogramm Fleisch etwa 20 Cent mehr kosten und so drei oder vier Milliarden Euro pro Jahr in den Haushalt spülen. Schon Klöckner war daran gescheitert, was sie allerdings nicht daran hindert, die Idee aktuell zu problematisieren.

Überhaupt ist der Maßstab verrutscht – wie so oft, seit sich SPD, Grüne und FDP mühen mit Hinterlassenschaften früherer Regierungen. Hagel legt Özdemir, seinem möglichen Konkurrenten um das Ministerpräsidentenamt bei den Landtagswahlen 2026 in Baden-Württemberg, verklausuliert den Rücktritt nahe, weil der sich am Kabinettstisch nicht durchsetzen kann oder will. CSU-Generalsekretär Martin Huber wird noch deutlicher und verlangt vom grünen Bundesminister für die Rücknahme aller Belastungen zu sorgen: "Kann er das nicht, sollte er zurücktreten." Da hätten in der Vergangenheit sehr viele Karrieren sehr schnell zu Ende gehen müssen. Aber davon will die Union in ihrem Furor gegen die Ampel heute natürlich ebenso wenig wissen wie von ihrer Mitverantwortung an der Schieflage. Nicht nur an jener in der Landwirtschaft.

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2 Kommentare verfügbar

  • G
    am 23.01.2024
    Antworten
    Solange BIO gefährliche Pseudomedizin verlangt und Gifte nicht nach Wirkung und Nebenwirkung sondern nach Ursprung einteilt, ist es keine sinnvolle Strategie auf Bio zu setzen. Sorry.

    Leider habe ich den Fehler gemacht, die EU Bio Verordnung zu lesen, die für alle Bio Betriebe verpflichtend ist.
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