KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Protest der Landwirte

Bauernopfer

Protest der Landwirte: Bauernopfer
|

 Fotos: Jens Volle 

|

Datum:

Generalstreik, Widerstand, Ampel weg! Aus Protest gegen die geplanten Streichungen von Subventionen riefen Landwirt:innen im ganzen Land zum Streik auf. Während die Anliegen auf Verständnis stoßen, versuchen Rechte, den Protest für sich zu nutzen. In Stuttgart stand die AfD Spalier. Linke Kräfte fehlten.

Zurück Weiter

Ein Mann schwenkt eine Flagge mit der Aufschrift "N'Scheiß muss ich" durch den Wind, ein anderer hat sich "FCK GRN" auf die Fahne geschrieben und zeigt den Mittelfinger in Richtung Parteibüro der Grünen gegenüber. "Wir sind alle Dorfkinder, scheiß auf eure Stadt!", schallt es in unendlicher Lautstärke aus den Lautsprechern am Rotebühlplatz. Rund 700 Menschen stehen links und rechts der Durchfahrtsstraße am Innenstadt-Knotenpunkt in Stuttgart. Sie wippen zur Musik und tragen Deutschlandfahnen. Angemeldet hat die Kundgebung eine Gruppe Stuttgarter Weinbauern um Klaus Dieter Warth. Fast jede:r hier filmt, was passiert.

Von Weitem ist lautstarkes Hupen und Motorknattern zu hören. Dann aufgebrachter Jubel: Mit zig Schleppern, Treckern, Hängern und sonstigem Gefährt fahren über 150 Landwirt:innen, Handwerker:innen und Speditionsarbeiter:innen an der Menschenmasse vorbei. An den Fahrzeugen kleben Plakate mit deutlicher Kritik an der Ampel-Regierung, an einem kleinen grünen Traktor hängt ein düsteres Skelett. Dessen Halskette in Ampel-Form trägt die Beschriftung: Die Ampel "… ist unser Tod". Die AfD und die Junge Alternative begrüßen die Demonstrant:innen mit einem schwarz-rot-gold-blauen Spalier.

Auf Nachbars Feld steht das Korn besser

Langsam kommt der Traktor-Zug zum Stehen. Gegenseitig begutachten die Fahrer:innen ihre Maschinen, tauschen sich aus. "Die Ampel hat keinen Plan, was sie macht. Für uns geht es hier ums Überleben", schnaubt Dennis Berner. Seit drei Generationen besitzt seine Familie einen Hof bei Gärtringen, 30 Kilometer von Stuttgart entfernt. 80 Milchkühe, 150 Hektar Acker und 60 Hektar Grünland, doch davon leben könne man nicht mehr, erklärt der junge Landwirt. Sein Kollege Peter Eberle stimmt ihm zu. "Wir haben einen kleinen Hof mit 50 Hektar Acker bei Herrenberg. Aber das Geld müssen wir mit Pensionspferden verdienen." Ohne Subventionen ginge das alles nicht mehr.

Rund 40 Prozent der Gesamtgewinne in der deutschen Agrarwirtschaft gehen auf Subventionen zurück, 8,4 Milliarden Euro erhalten deutsche Landwirt:innen insgesamt jedes Jahr von der EU und dem Bund. Doch die Subventionen für Agrardiesel, die die Wut der Bäuerinnen und Bauern derzeit hochkochen lassen, spielen dabei eigentlich nur eine minimale Rolle: Laut Agrarbericht des Landwirtschaftsministeriums erhielt 2020/2021 jeder Betrieb im Schnitt 3.000 Euro pro Jahr bei einem gleichzeitigen Durchschnittsgewinn von etwa 56.000 Euro.

"Für große Landwirtschaftsbetriebe sind diese Subventionen vielleicht nicht so wichtig. Aber für uns kleine sind das mehrere Monatsgehälter", verdeutlicht Dennis Berner. Und gerade in Baden-Württemberg, wo nur ein Drittel aller Landwirt:innen überhaupt hauptberuflich auf dem Hof arbeitet, gibt es besonders viele kleine und mittlere Betriebe. Kommen Beiträge wie Krankenkasse und Schuldentilgung dazu, sei es für die kleinen schwer, so Berner. "Da kann es ja nicht sein, dass ich für den halben Sommer, wo ich meinen Anhänger brauche, dafür auch noch Steuern zahlen muss." Für Berner ist klar: Mit ihrer Politik zerstöre die Ampel die Existenz der Landwirt:innen. "Ich habe einen kleinen Bruder. Meine Eltern raten ihm heute schon, dass er auf keinen Fall den Hof übernehmen sollte. Und ich muss auch gucken, ob ich nicht irgendwann was anderes anfange. Das kann es doch nicht sein", sagt der Milchbauer.

Verständnis in der Bevölkerung

Darum sei auch er am 8. Januar zum Streik nach Stuttgart gefahren. Mit ihrem Protest wehren sich die Landwirt:innen gegen die geplanten Haushaltskürzungen der Ampel-Koalition im Agrarsektor. Die wollte ursprünglich sowohl die Kfz-Steuerbefreiung als auch die Subventionen für den Agrardiesel streichen, um Löcher im Staats-Portemonnaie zu stopfen. Bereits kurz nach Verkündung kam es landesweit zu massiven Protesten. Die Regierung ist daraufhin zurückgerudert, eine Kfz-Steuer solle nicht anfallen. Die Subventionen für klimaschädlichen Diesel sollen schrittweise bis 2026 aufgehoben werden. Dem Bauernverband, der größten Lobbygruppe der Agrarwirt:innen, schmeckt das nicht. Sie und ihr Vorsitzender Joachim Rukwied fordern die komplette Rücknahme der Kürzungen. Bis dahin soll demonstriert werden. Es war von "Generalstreik" die Rede, Handwerks- und Speditionsverbände haben sich angeschlossen. Und bundesweit versuchen Rechtsextreme den Bauernprotest für sich zu instrumentalisieren.

Ein paar Stunden zuvor in der Stuttgarter Markthalle. Von Generalstreik ist weder hier noch in der Innenstadt etwas zu merken. Wie sonst auch packt Heribert Ragoßnig Äpfel in die Auslage. An seinem Stand gibt es Feinkost, aber auch viel Obst und Gemüse, dass er von Höfen aus der Region bezieht. "Ich habe volles Verständnis für die Bauern", sagt Ragoßnig. "Wenn wir sonntags spazieren gehen, dann arbeiten die Bauern. Wenn wir schlafen, dann arbeiten die Bauern. Das sollte sich auch lohnen." Nadja Mantler sieht es ähnlich. Sie arbeitet an einem Käsestand ein paar Meter weiter neben Ragoßnigs Gemüse. Sie komme selbst vom Hof, sagt sie, "ich weiß, wie schwer das Leben für die kleinen Bauern ist". Der Protest sei darum absolut angemessen, finden beide. Doch es gebe auch Grenzen. Dass die Fähre, auf der sich Wirtschaftsminister Robert Habeck vergangene Woche auf der Rückfahrt aus dem Urlaub befand, mutmaßlich von Landwirt:innen gestürmt werden sollte, das geht Ragoßnig zu weit. "Man darf protestieren, man soll laut sein. Aber so was hilft nicht." Dass der Aufruf zum Streik auch von Rechten unterstützt wurde, dazu will er nichts sagen.

AfD ist gegen Subventionen

Zurück auf der Kundgebung. Verschiedene Redner:innen sprechen zu der Masse, der Ton ist zumindest anfangs bemüht unpolitisch. Man wolle sich nicht politisch vereinnahmen lassen, es gehe nur um die Belange der Landwirtschaft, erklärt ein Sprecher am Mikrofon. Doch die Forderungen sind deutlich: Weg mit der aktuellen Regierung, die verantwortlich sei für das Leid der deutschen Landwirtschaft. Dennis Berner, der Milchbauer aus Gärtringen, stimmt dem zu, es brauche eine neue Regierung. Aber wer soll übernehmen? Auf der Kundgebung steht die AfD bereit, signalisiert Solidarität. "Wenn ich sagen müsste, wen ich wähle: Ja, dann würde ich AfD wählen", bekennt Berner. Es müsse sich was ändern. Ob die AfD denn einen Plan dafür habe? Das wisse er nicht so recht, aber die anderen Parteien hätten es auch nicht besser gemacht, sagt er. Ständig kümmere sich Deutschland um andere Länder, aber nicht genug um das Eigene, Geflüchtete würden bevorzugt, ständig würde man gegeneinander aufgehetzt.

Auch Ursel und Tamara Beck stehten auf der Demo. "Weiß der Landwirt denn auch, dass die AfD laut ihrem Grundsatzprogramm freien Wettbewerb unter den Landwirt:innen wolle und darum gegen Subventionen ist?", fragt Ursel Beck. "Oder dass auch die AfD für die Abschaffung der Steuerermäßigungen für die Landwirt:innen gestimmt hat?" Die Linke aus Bad Cannstatt hat selbst Verwandte in der Landwirtschaft und unterstützt den Protest. Doch sie sehe, dass das legitime Anliegen der Bäuerinnen und Bauern von Rechten und "Querdenker:innen" instrumentalisiert werde. Darüber ärgert sich die studierte Agrarwissenschaftlerin. "Wieso können wir als Linke diesen Menschen kein Angebot machen?", schließlich gehe es hier doch um Arbeitskampf. Stattdessen überlasse man anderen das Feld.

Dabei gäbe es auch in der Agrarwirtschaft progressive Stimmen. Eine davon ist die "Junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" (jAbL), in der sich Tobias Schied engagiert. Am Telefon erklärt er, dass die jAbL sich zwar auch für die Belange der Landwirt:innen einsetze, doch ganz entschieden die Zusammenarbeit mit und die Vereinnahmung durch Rechte ablehne. Stattdessen wolle man zeigen, dass die Landwirtschaft bunt und nicht braun sei und dass es einen systematischen Wandel brauche. Die jAbL ist aus diesen Gründen an der Kundgebung in Stuttgart weder beteiligt noch dort präsent.

"Zecken-Presse"

An diesem Tag in Stuttgart sind es andere, die den Acker umpflügen. Fünf der insgesamt fünfzehn Redebeiträge lassen sich der teils extremen Rechten zuordnen. So spricht zum Beispiel Esther Sonntag, Verschwörungsideologin und verurteilte "Querdenkerin", die eine Ersatzfreiheitsstrafe in der JVA Schwäbisch Gmünd abgesessen hat. Auch Dirk Spaniel, verkehrspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, steht am Mikro auf der Bühne. Er wird dem mittlerweile aufgelösten rechtsextremen "Flügel" rund um Björn Höcke zugeordnet und steht der rechten Pseudo-Gewerkschaft "Zentrum (Automobil)" nahe. Selbige wird auf der Demo von Susanne Müller vertreten, die ein Grußwort an die Landwirt:innen richtet.

"Die Rechten scheinen das zu schaffen, was sich die Linken wünschen", hält Ursel Beck fest. Sie präsentieren sich als Lösung. Dabei haben sie keinerlei Absichten, den Landwirt:innen wirklich zu helfen. Am Ende des Tages gibt es auf X oder Telegram unzählige Videos der Kundgebung, die von Rechten gefeiert werden.

Dass sich durch die Präsenz von rechten Kräften auch die Atmosphäre auf Kundgebungen verändert, muss unser Fotograf am eigenen Leib erfahren. Auf Telegram kursiert seit Montag ein Video, das zeigt, wie er bei seiner Arbeit über zwei Minuten lang verfolgt, gefilmt und belästigt wird. Der Filmer: Ralph Bühler aus Nußloch, ehemaliges AfD-Mitglied und verurteilter Volksverhetzer. Auch er steht bei der Kundgebung auf der Bühne. Immer wieder hetzt er gegen "die da oben" und ruft die Landwirt:innen dazu auf, "endlich" mit den Distanzierungen gegen rechts aufzuhören. "Wir sind doch alle Menschen!", ruft er ins Mikrofon. Kurz zuvor nannte er den Kollegen noch "Zecken-Presse".


In einer früheren Version des Textes haben wir Tamara Beck als Tochter von Ursel Beck beschrieben. Das ist falsch. Sie sind nicht verwandt.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • Dietmar Rauter
    am 11.01.2024
    Antworten
    Großagrarier machen Stimmung gegen die Regierung, die in der Tat kein Programm für die Lösung der vielen Probleme hat, die auch Landwirte betreffen. Schließlich hat die Industrialisierung mit dem ständigen Druck, die Lebenshaltungskosten möglichst niedrig zu halten, damit die Endprodukte im…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!