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Bauerndemo und Rechtsextreme

Wenn Wut gesät wird

Bauerndemo und Rechtsextreme: Wenn Wut gesät wird
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"Friedlich und demokratisch" möchten Bäuer:innen auch im Südwesten ab dem 8. Januar gegen die Bundesregierung demonstrieren. Zunehmend allerdings übernehmen Rechtsextreme die Mobilisierung. Manch einer fühlt sich an die Stimmung vor dem Sturm aufs Kapitol in Washington erinnert.

Es braut sich etwas zusammen in diesen Tagen, da so viel vom Weihnachtsfrieden die Rede ist und von guten Vorsätzen. In der realen Welt hängen an hölzernen Galgen am Straßenrand Ampeln, eigenhändig gemalt von Leuten, die offenbar keine Scheu haben, so zur Beseitigung von Mitgliedern der Bundesregierung aufzurufen. An Treckern lassen sich schwarze Fahnen der rechtsnationalen Landvolkbewegung der Zwanziger und Dreißiger des vergangenen Jahrhunderts bewundern, die Vereinigung "Land Schafft Verbindung Ba-Wü e.V." (LSV) hatte den Einfall, es sollten doch Ortsschilder ab- und verkehrt herum wieder anmontiert werden, weil Deutschland ja Kopf stehe. Dass der zuständige Bundesminister Cem Özdemir (Grüne) unter wachsendem Druck steht, weil die Bundesregierung Steuererleichterungen für Bäuer:innen streichen will, um Haushaltslöcher zu stopfen, gehört zum Alltagsgeschäft. Mehr beunruhigen müssen die Aufstandsträume, die im Internet wuchern wie Fliegenpilze, die Aufrufe zum Generalstreik am 8. Januar, zu "Neuwahlen sofort". Joachim Rukwied, der frühere CDU-Kommunalpolitiker im Kreistag von Heilbronn, heute Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), goss am 18. Dezember bei der Großdemo vor dem Brandenburger Tor noch Öl ins Feuer. Mit Blick auf die geplante Streichung des subventionierten Bauern-Diesels sagt er: "Sollten die Maßnahmen nicht ersatzlos gestrichen werden, dann kommen wir wieder in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat." Immerhin distanziert sich der DBV mittlerweile "in aller Deutlichkeit von extremen Randgruppen (…), auf Schärfste von Schwachköpfen mit Umsturzphantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen und Spinnern".

Christian Coenen, der Philippsburger Bauer und baden-württembergische "Land Schafft Verbindung"-Vorstand, tut sich noch schwerer. In seiner Botschaft zum Jahreswechsel beklagt er den "Scherbenhaufen" in der Agrarpolitik, verlangt tiefgreifende Veränderungen beim Bürokratieabbau bis zur klaren Herkunftskennzeichnung. Und er hofft, dass "jeder von uns so kreativ ist, um sich einzubringen, dass jeder weiß, was das Richtige für ihn ist". Der Appell, friedlich zu bleiben und sich an Recht und Gesetz zu halten, hat – zumindest auch – strategische Gründe, denn: "Dann kann uns keiner gegen den Karren fahren."

Die AfD ist ganz vorne mit dabei

Aufrufe zum Generalstreik aus der rechten und der "Querdenker"-Ecke wurden schon öfter laut, während der Corona-Pandemie etwa, verliefen bisher aber im Sande. Rein juristisch gesehen sei "ein Streik zur Durchsetzung politischer Ziele nach herrschender Meinung unzulässig", schreiben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags. Arbeitsrechtler:innen warnen auf einschlägigen Portalen vor einem Fernbleiben vom Arbeitsplatz. Nur die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hat für die kommenden Tage regulär Streiks angekündigt, alle anderen Arbeitsniederlegungen wären also "wild". Vereinfacht zusammengefasst sind Generalstreiks in Deutschland schlicht und einfach verboten.

Selbst AfD-Obere vermeiden den Begriff, sind aber ganz mit vorne an der Spitze der Agitation. Die Bundestagsfraktionschefin und frühere Landesvorsitzende im Südwesten Alice Weidel postet einen Appell "zum Großstreik". Von ganz rechts geschielt wird auf die Europawahl im Juni, nicht zuletzt weil die Bindewirkung der beiden Unionsparteien deutlich nachlässt. Der Forschungsgruppe Wahlen zufolge haben vor zehn Jahren 74 Prozent aller Bäuer:innen ihr Kreuz bei den Schwarzen gemacht, 2017 waren es 61, 2021 nur noch 45 Prozent.

Erschüttert vom radikalen Protest

Immerhin gibt es auch Warnungen, der AfD etc. auf dem Leim zu gehen. "Die diversen Posts mit einem Aufruf zum Generalstreik mit Titeln wie 'Die Ampel geht aus', 'Ampel abschalten' o.ä. auf Facebook, Telegram, X usw. kommen allesamt aus der rechtsuntenbraunen Ecke", heißt es auf X. Saskia Esken, die SPD-Bundesvorsitzende, bringt zum Jahresbeginn abermals das Thema Parteiverbot ins Gespräch, denn die AfD nutze "jedes Thema, um Menschen aufzustacheln, und das ist für mich ganz klar demokratiefeindlich". Es sei Sache der Verfassungsschutzämter, die Gefährdung immer wieder neu zu beleuchten. Aber kämen die zu dem Schluss, "dass eine Partei als Ganzes gesichert rechtsextrem zu gelten hat, dann muss auch das Schwert des Verbotes gezogen werden".

Ein Schlaglicht auf Stimmung und Befürchtungen wirft eine Landtagsdebatte am 21. Dezember, also just an dem Tag, da etwa 2.000 Traktoren in Stuttgart für ein Mega-Verkehrschaos sorgen. Aufgewühlt kehren die Fachpolitiker der vier demokratischen Fraktionen zurück von der Kundgebung vor dem Ministerium für ländlichen Raum am Kernerplatz. Martin Hahn (Grüne), lange Jahre Obstbauer am Bodensee, kann die Tränen nicht zurückhalten bei seinem Appell, zwar in der Sache "miteinander zu streiten, aber in der Kultur muss klar bleiben, wo Demokraten sind und wo keine Demokraten sind". Wer blaue Farbe übers Land leert, so der 60-Jährige in Anspielung auf die Rolle der AfD bei den Protesten gegen die Ampel, "der wird braune Soße in allen Ritzen dieses Landes ernten". Hahn erntet ungewöhnlich langen Applaus von Grünen und Schwarzen, sogar von oppositionellen Sozialdemokrat:innen und Liberalen. Auch er ringe mit den Tränen, bekennt Georg Heitinger, der FDP-Abgeordnete aus Eppingen. Die Stimmung "bei uns ist zurzeit ganz blöd und vergiftet". Es gingen Whatsapp-Nachrichten um, ab 8. Januar das komplette Land stillzulegen. Der Geflügelbauer macht einzelne interne Aufrufe öffentlich: "Alle, die große Maschinen haben, sollen die Autobahnen blockieren, die Metzger, alle sollen mitmachen und sich mit vernetzen." Bauern seien zu Recht stinkig, "aber diese Vorgehensweise ist absolut nicht in Ordnung", warnt der 53-Jährige eindringlich, "denn wir müssen uns an Recht und Gesetz halten. Das, was zurzeit losgeht, erinnert mich an den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, als Donald Trump die Meute aufgehetzt hat, und dann die alle losgerannt sind".

Das geht: Kraftstoff selber anbauen

Aktionen von Klimaaktivist:innen oder deren Ankündigungen führen in der Öffentlichkeit immer wieder zu regelrecht hysterischen Reaktionen. Der kommende Montag und die Tage danach spielen in der Öffentlichkeit dagegen bisher nahezu keine Rolle. Und zur Gänze unter die Treckerräder kommt dazu die inhaltliche Debatte darüber, ob die Streichung der Agrardiesel-Subventionen nicht geboten ist. Schon vor fünf (!) Jahren hatte das Bundesfinanzministerium beim Bundesrechnungshof eine Studie zur Bewertung von Steuervorteilen in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse lagen während der Pandemie unbearbeitet auf dem Tisch. Anfang 2023 haben die Rechnungsprüfer:innen abermals an ihre Einschätzung erinnert, dass die Bevorzugung der Landwirtschaft nicht mehr zeitgemäß und deshalb Schritt für Schritt abzubauen ist, weil das Instrument den Nachhaltigkeitszielen widerspreche und umweltschädliche Anreize ausgelöst würden. Immerhin sind zwischen Nord- und Bodensee fast zwei Millionen Fahrzeuge auf diese Weise steuerbefreit unterwegs. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat schon vor Monaten einer Prüfung zugesagt. Im Netz kursieren Protokolle, wonach selbst die Fachpolitiker:innen der Union in den Ausschussberatungen für eine Streichung votiert haben.

Die vor hundert Jahren zur Motorisierung von Agrarbetrieben eingeführte Regelung könnte ohnehin längst Geschichte sein, hätte ein sogenanntes "Demonstrationsprojekt" die ihm gebührende Beachtung gefunden: 2001 wurden neue Landmaschinen gängiger Marken umgerüstet, um kalt gepresstes Rapsöl statt Diesel zu tanken. Der Probebetrieb bis 2005 zeigte, dass "die Mehrzahl der Traktoren im Rapsölbetrieb mehr als 90 Prozent der Motorenleistung erreichte". Probleme etwa beim Kaltstart sind dokumentiert, gelten aber als lösbar. Vorläufiges Fazit: Die Betriebe könnten ihren eigenen Kraftstoff anbauen.

Eine Welle der Ökologisierung lösten diese Erkenntnisse nicht aus. Im Gegenteil: Im "Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt" wurde ein weiterer Versuch von 2021 mit dem Unternehmer John Deere beschrieben, der ebenfalls die Machbarkeit der Umstellung belegt – ohne weitere Reaktion. In jenem Wochenblatt übrigens, das gerade eine Online-Umfrage zu den Protesten am 8. Januar durchführt. Nahezu 90 Prozent der bisher rund fünftausend Teilnehmer:innen finden richtig, "dass wir gegen die massive Benachteiligung alles in die Waagschale werfen sollten, was wir aufbieten können".

Wegen der Ampeln, die an Galgen baumeln, sind inzwischen Staatsanwaltschaften aktiv. Geprüft wird unter anderem, ob es sich um politische Straftaten oder – bei ummontierten Ortsschildern – um Sachbeschädigungen handelt. Der LSV-Vorstand hat sich seine Meinung dazu schon gebildet. Er selbst würde sich keine Ampel-Galgen "an den Traktor binden", sagt Coenen im SWR-Interview. Er bezweifle allerdings, dass jeder, der mit einem solchen Galgen unterwegs sei, damit eine Morddrohung ausdrücken wolle: "Eine Ampel an sich ist keine Person, eine Ampel kann ich höchstens kaputt machen und nicht ermorden." Kaputte Ampeln im Straßenverkehr haben klare Konsequenzen. Dann gilt rechts vor links. Und das sind – übertragen auf ein Superwahljahr – alles andere als ersprießliche Aussichten.

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2 Kommentare verfügbar

  • Jörg
    am 07.01.2024
    Antworten
    Hallo!
    Ich frage mich gerade was der Unterschied sein soll zwischen den Blockaden der Bauern und den Blockaden der letzten Generation. Bin schon gespannt auf die Ausreden!
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