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Queer in der Landwirtschaft

Von Null auf Gemüsegarten

Queer in der Landwirtschaft: Von Null auf Gemüsegarten
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

In der Heidelberger Gärtnerei Wildraum wird ohne chemische Dünger und Pflanzenschutzmittel gearbeitet. Und ausschließlich in Handarbeit – in Frauenhandarbeit. Mit Mut und Hingabe beweisen sich die beiden jungen Besitzerinnen in der regionalen Landwirtschaft, die stark männlich geprägt ist.

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Ab und zu hört man eine Ziege meckern und schnaubende Ponys vom Grundstück nebenan. Ansonsten ist es hier am Rand von Heidelberg still. Selten radelt jemand auf dem Feldweg vorbei. Es ist idyllisch, nur die Sonne scheint erbarmungslos herab, auf der Parzelle gibt es kaum Schatten. Neben einem langen Folientunnel sind Beete angelegt, hier wachsen Karotten, Kohlrabi, Rote Bete. Mitten auf dem Feld: ein bunter Fleck essbare Blumen in Pink, Weiß, Gelb und Orange.

Obstbäuerin Elise steht auf ihrem gepachteten Acker im Handschuhsheimer Feld in Heidelberg, den sie zusammen mit ihrer Partnerin und Gemüsebäuerin Freya bewirtschaftet. Es wächst schon ziemlich viel. Auf den ersten Blick wirkt es nicht so, als gäbe es die Wildraum Obst- und Gemüsegärtnerei erst seit ein paar Monaten.

2.500 Quadratmeter groß ist die "Mikrofarm" der beiden Frauen. Sie liegt mitten zwischen Klein- und Gemeinschaftsgärten und landwirtschaftlichen Betrieben. Die Idee, eine eigene Gärtnerei zu betreiben, hatten Freya und Elise schon länger. Sie wollten "was Politisches" machen. Und da Ernährungssicherheit und Klimawandel wichtige Themen für sie sind, kamen sie auf die Idee, selbst Obst und Gemüse anzubauen. Bei Freya und Elise wird ausschließlich in Handarbeit gegärtnert, ohne Bodenbearbeitung, chemische Dünger und Pflanzenschutzmittel.

Kennengelernt haben sich die beiden Mittdreißigerinnen während eines Auslandssemesters von Freya in Frankreich. Damals studierte sie noch Jura. Elise hatte gerade ihr BWL-Studium beendet, das sie nur ihren Eltern zuliebe angefangen hatte, und war dabei, ihren eigentlichen Plan zu verfolgen: als Fotografin zu arbeiten. Frisch verliebt folgte sie Freya erst zurück nach Süddeutschland, dann für ein paar Jahre nach Berlin.

Dort keimt der Gedanke, professionell Obst und Gemüse anzubauen. Freya kann sich eine juristische Tätigkeit immer weniger vorstellen und macht ein Praktikum in einer Biogärtnerei. Die Arbeit mit den Händen und der Erde findet sie befriedigend. Die beiden sind mutig und beschließen, sich beruflich neu zu orientieren. Aber der Berliner Winterwind weht scharf und kalt, also geht es wieder zurück in die Rhein-Neckar-Metropole und die beiden beginnen ihre Ausbildungen: Freya zur Gemüsegärtnerin und Elise zur Obstbäuerin. Danach zieht es sie ein Jahr nach Süditalien, wo sie für das soziokulturelle Zentrum und Frauenhaus La Fabbrica del Farò in Apulien einen Obst- und Gemüsegarten anlegen. Die Bedingungen dort sind nicht leicht, das spendenfinanzierte Projekt befindet sich erst im Entstehen und es gibt kaum Geld für Samen und Werkzeug. Allerdings lernen sie hier auch, dass sie von Null auf einen Gemüsegarten aufbauen können. Davor waren sie nur angestellt und hatten nie die volle Verantwortung. Ein weiterer wichtiger Erfahrungswert: Die Ackerfläche, die sie zu zweit bearbeiten können, reicht aus, um gewinnbringend zu wirtschaften.

Geplant ist Kunst zwischen Apfelbäumen

Mit diesem Wissen müssen sie nur noch entscheiden, wo sie die eigene Gärtnerei verwirklichen wollen. Zur Debatte stehen Gegenden in Italien oder Frankreich. Und die Rhein-Neckar-Region, die sich letztlich durchsetzt. Hier ist das Wetter gut und der Klimawandel noch nicht ganz so hart zu spüren, außerdem gibt es eine funktionierende Gesundheitsversorgung. Das ist ein wichtiger Punkt, der sonst oft unter den Tisch fällt. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat im September 2022 eine Studie über Frauen in der Landwirtschaft veröffentlicht. Eine Erkenntnis ist, dass die Wege für Frauen in der Landwirtschaft zu hausärztlicher Versorgung fast doppelt so weit sind, wie für den bundesdeutschen Durchschnitt.

Elise und Freya ziehen also wieder nach Mannheim und fangen an, eine geeignete Anbaufläche zu suchen. Fündig werden sie im Handschuhsheimer Feld, einem Ortsteil von Heidelberg. Zusätzlich pachten sie noch eine Streuobstwiese, 30 Minuten mit dem Auto entfernt. Das passt eigentlich nicht zum Konzept der beiden, die ihre Gärtnerei langfristig auch als Ort für Kunst etablieren möchten: ein Filmscreening oder kleines Konzert zwischen Obstbäumen, ein Rückzugsort zum Arbeiten abseits des eigenen Alltags und ein experimenteller Raum für FLINTA (Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binär, Trans, Agender).

Aber dafür bräuchte es eine Streuobstwiese nahe am Acker. Obwohl Besucher:innen schon jetzt herzlich empfangen werden, ist die Aussicht zu stressig, Menschen für Veranstaltungen durch die Beete zu leiten, ohne dass ab und zu mal jemand auf das Gemüse tritt. Zudem möchte Obstbäuerin Elise die Möglichkeit haben, neue Obstbäume zu pflanzen und nicht nur Altbestand zu übernehmen. Dadurch wird es noch schwieriger, passende Flächen zu finden.

Ökologisch und gerecht soll's sein

Im Moment konzentrieren sich die beiden erst einmal auf das, was sie haben. Viel Zeit für die Suche nach einer Obstwiese, um Formulare für die angestrebte Bioland-Zertifizierung auszufüllen oder Marketing zu betreiben, bleibt Elise und Freya zwischen säen, auspflanzen, Unkraut harken und ernten ohnehin nicht. Freya arbeitet zusätzlich noch Teilzeit bei einer anderen Gemüsegärtnerei, um Geld dazuzuverdienen. Wenn man die beiden darauf anspricht, wie anstrengend es doch sei, von früh bis spät auf dem Feld zu stehen mit einer nicht enden wollenden To-do-Liste, dann lachen beide die Herausforderungen weg. Und erzählen lieber davon, wie befriedigend und motivierend es ist, wenn die Kund:innen sich über das von ihnen angebaute Obst und Gemüse freuen.

Was sie auf ihrem eigenen Acker erwirtschaften, verkaufen sie über ein Abo-System. Das funktioniert ähnlich wie bei solidarischen Landwirtschaften: Es gibt große und kleine Kisten, die jeweils an einem Tag in Heidelberg oder Mannheim abgeholt werden können. Bisher haben sie 25 Abos mit mehrheitlich weiblichen Kundinnen. Sie könnten aktuell aber 50 Kisten bestücken. Das Ziel: irgendwann 150 Abo-Kisten zu verkaufen. Im Gegensatz zu solidarischen Landwirtschaften, die um ihre Kund:innen meist nur mit ihrer nachhaltigen traditionellen Anbauweise werben, setzen Elise und Freya neben den ökologischen stark auf soziale Gründe. Sie möchten nicht ausschließlich gut situierte Menschen ansprechen, die sowieso in Bioläden einkaufen. Die queere Szene, die sie unter anderem als Zielgruppe für ihr Unternehmen sehen, sei allerdings noch nicht so vertraut mit dem Thema nachhaltige Landwirtschaft. Queere Menschen sehen sich zuerst mit anderen gesellschaftlichen Problemen konfrontiert, erzählt Elise.

Das meiste Obst und Gemüse, das es im Discounter gibt, wird unter schlechten Arbeitsbedingungen auf viel zu großen Plantagen im globalen Süden angebaut und legt lange Strecken zurück. Deshalb sind den beiden Landwirtinnen kurze Transportwege genauso wichtig, wie für sich und andere gute Arbeitsplätze zu schaffen.

Eine männliche Branche

Dass Elise und Freya selbst gegründet haben und als Inhaberinnen ihre eigene Gärtnerei betreiben, ist ungewöhnlich. Viele Frauen arbeiten zwar auf dem Feld und in der Verwaltung von Höfen, aber die meisten besitzen nicht das Land oder den Betrieb. Landwirtschaft ist meist im Besitz von Männern. Das belegt auch die aktuelle Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Laut dieser werden in Deutschland nur elf Prozent der Betriebe von Frauen geleitet. Traditionell werden Höfe an einen männlichen Nachfolger vererbt – das ändert sich nur langsam. Zurzeit liegt der Frauenanteil bei der Hofnachfolge bei etwa 18 Prozent. Damit schneidet Deutschland selbst im europäischen Vergleich schlecht ab.

Das spiegelt sich auch im Handschuhsheimer Feld in Heidelberg wider. Hier sind etwa zwanzig landwirtschaftliche Betriebe ansässig. Die Wildraum-Gärtnerei ist der einzige Betrieb in alleiniger Frauenhand. Das sei erst einmal einschüchternd, wenn sonst kaum Frauen in leitenden Positionen da sind, und man müsse die Bereitschaft mitbringen, sich in einer Männerdomäne durchzuboxen, sagt Freya. Egal, was sie machen, ob Samen bestellen, Werkzeug, Flächen anmieten, mit Pflanzenschutzbeauftragten sprechen: Auf dem Feld oder am Telefon treffen sie hauptsächlich auf Männer.

Wenn sie mit ihrem guten Freund aus einer benachbarten solidarischen Landwirtschaft auf Treffen gehen, sprechen die anderen Männer ausschließlich mit ihm und ignorieren Elise und Freya, erzählen die beiden Frauen. Dass die Landwirtschaft weit entfernt ist von Gleichberechtigung, lässt sich auch am großen Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern ablesen. Daran, dass Frauen neben der Erwerbsarbeit noch für die Sorgearbeit zuständig sind und dass die soziale Absicherung für Frauen im Alter, bei Trennung oder Tod des Partners meistens schlecht ausfällt.

Der Deutsche Bauernverband, der mitgliederstärkste und daher einflussreichste landwirtschaftliche Verband in Deutschland, hat 2022 den Fachausschuss Unternehmerinnen ins Leben gerufen. Zum ersten Mal verfolgt er damit das Ziel, Frauen in der Agrarpolitik, aber auch im eigenen Verband eine Stimme zu geben. Reichlich spät für einen Bereich, der aufgrund der Klimakrise vor großen Veränderungen steht und nicht an überkommenen Denkmustern festhalten sollte.

Während Freya Zitronengras und Stangensellerie erntet, berichtet sie von einer Erfahrung mit einem Verpächter: "Er wollte gesiezt werden, aber er hat uns geduzt." Seinen Wasseranschluss hat er ihnen nicht überlassen, denn er meinte: "In einem Jahr seid ihr ja eh wieder weg." Die eigene Kompetenz wird Frauen in der Landwirtschaft andauernd abgesprochen. Den Spruch "das ist kein Job für Frauen, mach doch was anderes" haben Elise und Freya schon häufig gehört. Frauen haben es in der Landwirtschaft schwer. Für queere Menschen ist es noch härter.

"Wir leben gerne in Städten", betont Obstbäuerin Elise. In Mannheim wohnen sie auch richtig mittendrin, erzählen die beiden. In der Stadt wohnen zu wollen und in deren Nähe anzubauen, ist nicht nur eine Vorliebe von zwei kulturbegeisterten Obst- und Gemüsebäuerinnen, vielmehr bringt das Stadtleben schützende queere Strukturen mit sich.

Sobald im Winter etwas mehr Zeit ist, wollen Freya und Elise sich dem Emanzipatorischen Landwirtschaftsnetzwerk ELAN anschließen, um gleichgesinnte FLINTA kennenzulernen und gemeinsam Forderungen an Gesellschaft und Politik auszuarbeiten. Was sie im Moment machen können, ist: selbst sichtbar zu sein.


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