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Klima retten

Was mit Bäumen

Klima retten: Was mit Bäumen
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Ohne Bäume keine Menschen. So einfach ist das. Aber die Wälder sterben – deutschlandweit, ja weltweit. Eine einfache Lösung, wie man das aufhalten kann, gibt es nicht.

Bevor der Mensch sesshaft wurde, war die Erde mit etwa 60 Millionen Quadratkilometer Wald bedeckt. Mittlerweile sind es weniger als 40 Millionen. Neben Luft- und Wasserverschmutzung sei die Entwaldung eines der dringendsten Probleme unserer Zeit, und wenn wir so weitermachen, schreiben Wissenschaftler aus Chile und London im Wissenschaftsmagazin "Nature", bleibe der Menschheit eine Überlebenschance von etwa zehn Prozent.

Deutschlandweit, europaweit, ja weltweit, das weiß man, sterben die Wälder. Und das seit Jahrhunderten. Sie wurden geschlagen für Siedlungen, Weiden, Städte, Weinbaugebiete, zum Bauen von Gebäuden, für Schiffe, zum Heizen, als Energieträger für die beginnende und dann stark wachsende Industrialisierung. Erholt haben sie sich immer dort, wo in früheren Jahren die Pest oder auch der Dreißigjährige Krieg für eine deutliche Reduktion der Menschheit gesorgt haben.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es besser. Vor allem mit der Entdeckung des Holzes als Stoff, mit dem sich gut Geld verdienen lässt. Also wurde aufgeforstet. Auch gut für das Waldwachstum war die Entdeckung fossiler Brennstoffe als Energieträger. Der Wald, er wuchs wieder.

Zunächst auch noch, als eine ganze Menge Schwefel- und Stickstoffverbindungen in Form von Saurem Regen auf ihn niederging, den das Verbrennen von fossilen Energieträgern mit sich bringt. In den Achtzigern war's dann zu viel, von Waldsterben war die Rede. Heute, Stand 2020, ist der Regen zwar nicht mehr ganz so sauer, seine Hinterlassenschaften haben sich aber so tief im Waldboden festgesetzt, dass der sich bis heute nicht vollständig erholt hat.

Die Verseuchung liege "in weiten Teilen des Landes nach wie vor über der ökologischen Belastungsgrenze der Wälder", so steht's im Waldzustandsbericht 2020 für Baden-Württemberg, der vergangene Woche veröffentlicht wurde und die aktuelle Entwicklung unter dem Satz subsumiert: "Ein derart schlechter Zustand der Wälder Baden-Württembergs wurde seit Beginn der Waldzustandserhebung im Jahr 1985 bisher noch nicht festgestellt." 46 Prozent der Fläche sind "deutlich geschädigt".

Die Fichte verschwindet, die Buche hat Sonnenbrand

Alles in allem sei der Waldzustand: "besorgniserregend." Borkenkäfer, Eichenprozessionsspinner und Konsorten, Dürre, Stürme und Hitze befruchten sich gegenseitig in ihrem Zerstörungspotential, die Fichte wird verschwinden, die Buche hat Sonnenbrand, der Ahorn leidet unter einem Pilz, der beim Einatmen Entzündungen hervorrufen kann, Esche und Ulme gehen ebenfalls ein. Wer sich am Wochenende dem Trend des entspannenden Waldbadens hingibt, kann sicher sein: Er badet in einem Meer aus sterbendem Material.

Im Gemeindewald des 7.000-Einwohner-Ortes Murg im Badischen beispielsweise mussten 2019 wegen Borkenkäferbefalls statt geplanten 500 Festmetern Holz 2.744 geschlagen werden, berichtete der "Südkurier" vor ein paar Tagen. Dieses Jahr sind es auch schon 2.000, und weil die keiner haben will, weil es deutschlandweit überall so ist, wurden bereits zwei extra Holzlager eingerichtet. Kritikpunkt in der vergangenen Gemeinderatssitzung: Dass letztes Jahr Holz von Murg nach China verkauft wurde, ansässige Handwerker hätten Bedenken, dass bis in zehn Jahren keines mehr zur Verfügung stünde. Das nur pars pro toto. Mit Wald lässt sich grade nicht mehr gut verdienen. Der Markt ist gesättigt, die Preise sind im Keller, Holz, das von Borkenkäfern zerfressen wurde, ist nur die Hälfte wert.

"Die Waldbesitzer sprechen von einer 'Jahrhundertkatastrophe': Etwa 110.000 Hektar Wald sind bundesweit zerstört, 300 Millionen Bäume müssten nachgepflanzt werden", berichtete die "Zeit" im Juni 2019. Landes- und Bundesregierungen stellen entsprechend eine Menge Geld ab für Forschung, Wiederaufforstung, Schadensbegrenzung, denn alleine der Abtransport umgefallener oder aus der Not heraus gefällter Bäume kostet Millionen und geht viel zu langsam, weil zu wenig Personal da ist, um all die Borkenkäfer-Leichen aus dem Wald zu ziehen, bevor das Insekt auf den Nachbarbaum umzieht. In den vergangenen 25 Jahren seien vielerorts die Hälfte der Försterstellen nicht wieder besetzt worden, schreibt der "Spiegel". Weggespart.

Weil aber Holz ein Wirtschaftsfaktor ist, werden allerorten Masterpläne aus dem Boden gestampft, an diversen klimaresistenten Bäumen aus Kanada oder Südeuropa geforscht, die bisher entweder nicht frosthart oder aber vielleicht doch zu invasiv sind. Es braucht Jahre, um überhaupt einigermaßen sicher sagen zu können, welcher Baum denn die Zukunft sein könnte, ohne zu wissen, ob der es denn verlässlich auch sein wird.

Der Notfallplan hört sich an wie Pflaster draufkleben

Für Baden-Württemberg gibt es den "Notfallplan für den Wald", was sich ein bisschen anhört, als könne man ein Pflaster draufkleben und dann wird's schon wieder. Das Ministerium für Ländlichen Raum hat darin fünf "Aktionsfelder" mit 37 Maßnahmen eruiert, um "Waldbesitzende in dieser herausfordernden Situation zu unterstützen". Es gibt die Taskforce "Klimabedingte Waldschäden", es gibt Runde Tische, Tablets mit Borkenkäfermonitoringsoftware, 130 neue Stellen, für die Öffentlichkeit eine Infokampagne, und für Waldbesitzende Millionen Unterstützung und allerhand "unbürokratische Umsetzungen" für die oft unionsnahe Klientel.

"Die vorhandenen personellen, logistischen und finanziellen Mittel reichen gegenwärtig nicht aus, um frisch befallene Bäume zeitnah einzuschlagen und für einen Abtransport des Holzes zu sorgen", heißt es in der 2019 verabschiedeten "Moritzburger Erklärung", in der Forstminister der Unionsparteien unter anderem 800 Millionen Euro Bundeszuschüsse zur Waldrettung fordern.

Der Erklärung entgegen steht ein offener Brief der Grünen Liga, die von einer "Moritzburger Bankrott-Erklärung" spricht: "Gefordert werden eine konsequente Abkehr von der Plantagenwirtschaft und eine radikale Hinwendung zu einem Management, das den Wald als Ökosystem und nicht mehr länger als Holzfabrik behandelt." Wälder, so das Credo, regenerieren sich von selbst und passen sich selbstständig an, wenn man sie lässt. Immerhin ist die Forstwirtschaft der mit Abstand und weltweit größte Waldvernichter.

Wald als Wirtschaftsfaktor versus Wald als Naturraum. Der Streit, er tobt schon eine ganze Weile.

Abgesehen von all den Geldern, die sich unter dem Label Waldrettung in den kommenden Jahren abgreifen lassen: Wenn der Wald weiterhin stirbt, wird es nichts mit dem Klimaziel von 1,5 Grad. Forscher der ETH Zürich haben 2019 in einer vieldiskutierten Studie das "ungenutzte Wald-Potenzial" eruiert, das die Erde bietet. Die Forscher fanden etwa 900 Millionen Hektar Fläche vor allem in Russland, USA, Kanada, Brasilien, China und Australien, die zukünftig Wald tragen könnte, um das Klima zu retten. Der "Deutschlandfunk" hat das als "Waldwunschdenken" tituliert: Waldbrände, gefrorener Boden in Russland, zudem torpediere Sonnenlicht, das von dunklen Baumkronen angezogen wird, den positiven Kühlungs-Effekt.

Aber es gibt auch Gutes zu vermelden: Das weltgrößte Aufforstungsprogramm hat China vor 40 Jahren gestartet, um das Vordringen der Wüste Gobi zu stoppen. In Afrika wird länderübergreifend gegen die Desertifikation angepflanzt, auch in Algerien und Israel wird aufgeforstet. In Spanien will jetzt ein Start Up mit Drohnen und smarten Samen wiederbewalden. Das alles funktioniert mal besser, mal schlechter. Der Grundwasserspiegel sinkt, weil die gepflanzten Baumarten zu viel Wasser brauchen, Monokulturen schaden der Biodiversität mit unabsehbaren Folgen, Stürme und Schädlinge zerstören die oft extrem mühsam angelegten Flächen, es braucht Zeit, bis so ein Wald wächst. Außerdem, und das ist das größte aller Aufforstungsprobleme – Wald pflanzen, wo vorher kein Wald war, steht immer und egal wo, in Konkurrenz zur bisherigen Nutzung der betreffenden Fläche. Und die Wiederaufforstung zerstörter Wälder ist im Grunde ein klimatisches Nullsummenspiel.

Baumarkt forstet auf, Heimwerker brauchen Holz

Fast 18 Millionen Hektar Wald seien in Europa in den vergangenen 25 Jahren nachgewachsen, sagt Marcus Lindner vom Europäischen Forstinstitut in Bonn dem "Deutschlandfunk". In Italien, Portugal, Griechenland und Frankreich sind neue Wälder entstanden. In Polen, in Rumänien, Serbien und Bulgarien seien sie teils ganz von selbst gewachsen, wo Flächen weniger bewirtschaftet wurden. Aber welcher Landwirt in Deutschland gibt schon freiwillig seinen Acker her. Und: Mit fortschreitendem Klimawandel wird es vor allem im Süden viele Flächen geben, auf denen Bäume nicht mehr wachsen.

Auch in Deutschland wird aufgeforstet, von Freiwilligen ehrenamtlich, gerne aber auch mal als PR-Aktion. Der Baumarkt "Bauhof" beispielsweise lobt in Kooperation mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald eine Million Bäume für Deutschland aus. Denn wo kein Holz, da keine Heimwerker. Auch Alfred Ritter, Inhaber von "Ritter Sport" im baden-württembergischen Waldenbuch, will mit Plant-for-the-Planet eine Million Bäume setzen.

Vor anderthalb Jahren hat auch der Gemeindetag Baden-Württemberg den Beschluss gefasst, "was mit Bäumen" zu machen und eine Million Neupflanzungen fürs Land ausgelobt. 1.000 Gemeinden sollen 2019 und 2020 jeweils 1.000 Bäume pflanzen, weil die Klimaschutzleistungen der Kommunen viel zu wenig Beachtung fänden. Jetzt wolle man mal ein sichtbares Zeichen setzen, eine Million Bäume für Baden-Württemberg.

Immerhin 188 von angepeilten 1.000 Gemeinden machen Stand Oktober 2020 mit, 260.000 Bäume wurden gepflanzt, nun wird der Aktionszeitraum verlängert bis April nächsten Jahres. Auch im Wiesenbacher Wald bei Neckargemünd wurden im Frühjahr 2020 unter dem Label "Geburtsstunde für einen neuen Wald" 1.250 neue Bäume gepflanzt, vor allem Eichen, damit die Menschen in 300 Jahren Schränke daraus bauen können. Die Hälfte davon hat den Sommer nicht überlebt. Die Gemeinde Limbach hat auf 5.100 Quadratmeter Hainbuchen, Haselnusssträucher, Esskastanien und Obstbäume gepflanzt. Die meisten davon sind mittlerweile tot. Der Boden zu trocken, das Wetter zu heiß. Außerdem, natürlich, Corona, weil das Virus die bei starker Trockenheit notwendige Bewässerung der Baby-Bäume torpediert habe.

In der eingangs erwähnten Studie, die uns bestenfalls zehn Prozent Überlebenschance einräumt, wird auch beziffert, wie lange die Spezies Mensch noch Zeit haben wird, wenn es so weiter geht, und das sind im schlimmsten Falle mickrige zehn Jahre mit unserem derzeitigen Wirtschaftssystem. Ulrich Kohnle, Leiter der Abteilung Waldwachstum der forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg, bleibt optimistisch: "Wir brauchen Geld und Zeit", sagt er. "Und wir müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln."


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2 Kommentare verfügbar

  • Martin
    am 30.10.2020
    Antworten
    Hi Kontext,
    Dankeschön für den informativen Artikel.
    Könnt Ihr den Nature-Artikel korrekt zitieren oder sogar verlinken? Die Angaben dazu sind sehr vage, um die Quelle zu finden.
    Vielen Dank, ein treuer Leser :)
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