Darüber hinaus hat die wachsende Fleischindustrie in ihrem Hunger nach immer mehr Anbauflächen für Futtermittel einen riesigen ökologischen Fußabdruck. Die Entwaldungen und Degradierungen des Bodens im Amazonasgebiet führten bereits zu großräumigen klimatischen Veränderungen, die sich in den aktuellen Dürren manifestierten. Deren negative Folgen wiederum wirkten auch auf entfernte Großstädte wie São Paulo. "Geht die Versteppung infolge von Rinderweiden in Amazonien in dem jetzigen Maße weiter, werden die sogenannten 'Fliegenden Flüsse Amazoniens', die Regen in den Süden des Kontinents tragen, in Zukunft versiegen – und der Wassermangel birgt dann sozialen Sprengstoff", warnt die in Washington und Berlin ansässige Nichtregierungsorganisation (NGO) IATP.
Präsident Bolsonaro ficht dies nicht an. Stattdessen bezeichnete er vor kurzem Umweltschutzorganisationen als "Krebs", den er gerne ausrotten würde. Grund für den Zornausbruch ist die Kampagne Defundbolsonaro.org. Mit ihr rufen Umweltgruppen potenzielle Investoren dazu auf, ihr Engagement in Brasilien von einer Verpflichtung des Staates zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes abhängig zu machen. Die NGOs hätten ihm nichts zu sagen, wetterte Bolsonaro auf Facebook, die "Bastarde" beschuldigten ihn zu Unrecht, "den Amazonas in Brand zu stecken".
Schon früher hatte Bolsonaro Berichte über Brände im Amazonasgebiet als Lüge bezeichnet. Doch die Satellitenaufnahmen des nationalen Instituts für Weltraumforschung INPE (Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais) zeigen, dass allein im August über 29.000 Feuer im Amazonasgebiet loderten. Laut INPE wurde im ersten Quartal 2020 mehr als doppelt so viel abgeholzt wie im Vorjahreszeitraum – rund 1.200 Quadratkilometer. In der Corona-Krise hat Jair Bolsonaro zudem die Zahl der Umweltbeamten, die für die Kontrollen zuständig sind, massiv reduziert und damit illegalen Holzfäller und Plünderern weiter Tür und Tor geöffnet.
Selbst dem Handel geht's zu weit
Eine aktuelle INPE-Studie zeigt zudem, dass die Klimafolgen der Amazonas-Abholzungen weitaus größer als bisher angenommen sind. So blieben in der Berechnung der CO2-Emissionen bislang die Randbereiche zwischen Brandrodungs- und Urwaldflächen unberücksichtigt. In diesen Waldränder verändert sich das Mikroklima: Sie sind mehr Winden und Sonneneinstrahlung ausgesetzt, was zum Anstieg der Temperatur und Rückgang der Feuchtigkeit im Wald führt. Dieser Prozess beschleunigt die Sterblichkeit der Bäume, was insgesamt die Fähigkeit vermindert, Kohlenstoff zu speichern. Laut INPE-Messungen ist die Entwaldung im Amazonasgebiet zwischen 2001 und 2015 für einen Verlust von 2,6 Milliarden Tonnen Kohlenstoff verantwortlich. Hinzu kommt ein zusätzlicher Verlust von 947 Millionen Tonnen durch den erstmals berechneten Randeffekt.
Inzwischen regt sich im europäischen Lebensmittelhandel Widerstand. Ausgelöst durch ein Gesetz, das Bolsonaro im vergangenen Dezember einbrachte und die illegale Abholzung und unrechtmäßige Besetzung von öffentlichem Land vor 2018 nachträglich legalisieren sollte. Im diesem Juni drohten zunächst britische Supermarktketten, brasilianische Produkte aus ihren Regalen zu nehmen, sollte das Gesetz angenommen werden, das "zu weiterem Landraub" im Amazonas ermutige. Während internationale Proteste Bolsonaro bislang eher kalt ließen, schien der wirtschaftliche Druck zu wirken: Einen Tag nach der Boykottdrohung strich der brasilianische Kongress das Gesetzesvorhaben von der Tagesordnung.
Wenige Tage später folgten Deutschlands größte Lebensmittelhändler dem britischen Vorbild. In einer gemeinsamen Deklaration forderten sie einen Stopp der Entwaldung und Zerstörung der einheimischen Vegetation. Das neben Aldi-Nord, Aldi-Süd, EDEKA, Kaufland, Lidl, Netto Marken-Discount auch von der Metro AG unterzeichnete Schreiben richtete sich allerdings nur an die brasilianischen Sojahändler in der Cerrado-Savanne.
"Die Anlage von Rinderweiden ist der Motor der Urwaldrodung in Brasilien", betont dagegen Klaus Schenk von Rettet den Regenwald e.V. "Rindfleisch aus Brasilien ist kein Top-Hit, sondern ein Armutszeugnis. Das ist zynisch, unverantwortlich und facht die Abholzungen und Brände weiter an", so der Wald- und Energiereferent des Vereins.
Auf Anfrage nach Herkunft des Angebotsfleischs, Preisgestaltung und ethischer Vertretbarkeit des Verkaufs brasilianischen Rindfleischs antwortete die Metro AG kurz vor Redaktionsschluss ausführlich, aber unkonkret. "Metro arbeitet bereits seit 20 Jahren aktiv an Nachhaltigkeits-Themen und für den Umweltschutz", schreibt das Unternehmen. Es gehöre zu seinen Grundsätzen, ausschließlich Produkte zu führen,"die den höchsten Ansprüchen an Qualität und Sicherheit genügen". Zudem arbeite es derzeit mit seinen Fleischlieferanten daran, "Entwaldung aus unserer Lieferkette auszuschließen. Zurzeit laufen die Arbeiten an einer entsprechenden Einkaufspolitik zu Fleisch, die noch im Laufe dieses Jahres veröffentlicht werden soll."
2 Kommentare verfügbar
Jürgen Enseleit
am 17.10.2020Wie sieht es mit unserer exportorientierten Landwirtschaft aus? Wieviel bäuerliche Existenzen werden dadurch in anderen Ländern zerstört?