Welche konkreten Folgen der voll einsetzende Klimawandel für das urbane Leben hat, können die StuttgarterInnen gerade anhand des städtischen Baumbestandes in Erfahrung bringen. Der dritte Dürresommer in Folge lasse die Stadtbäume an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen, viele kämpften buchstäblich um ihr Überleben, berichtete die "Stuttgarter Zeitung" Mitte August. Und weil das städtische Gartenbauamt bei der Bewässerung an Kapazitätsgrenzen stößt, sind Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen dazu übergegangen, Gießkannen an engagierte Bürger zu verteilen.
Die Bürger mögen doch ihren "Lieblingsbaum" versorgen, ermunterte etwa Veronika Kienzle, grüne Kandidatin für die anstehende Oberbürgermeisterwahl. Da die dichte städtische Bebauung die Sommerhitze besonders gut speichere, seien Bäume unverzichtbar für die Regulierung des Stadtklimas. Jeder Baum sei deswegen "Gold wert", pflichtete dem ein Umweltaktivist bei.
Mit Gießkannen gegen die Klimakrise – es ist, als ob man mit einer Wasserpistole die Sonne löschen wollte. Angesichts der rasant voranschreitenden Erderwärmung, angesichts der sich entfaltenden klimatischen Umbrüche wirkt diese verzweifelt anmutende Symptombekämpfung – auch wenn sie vor Ort einen praktischen Nutzen haben mag – geradezu absurd.
Die pessimistischen Prognosen sind realistischer
Der Begriff "Klima" taucht im StZ-Artikel zum Gießkannenapell allerdings gar nicht auf, die Rede ist von einem "Hitzesommer" – in dem am nördlichen Polarkreis Rekordtemperaturen herrschen und verheerende Waldbrände ganze Landstriche Sibiriens verwüsten. Der Permafrost im hohen Norden, in dem gigantische Mengen an Treibhausgasen gespeichert sind, taut sieben Jahrzehnte früher auf, als von der Klimawissenschaft prognostiziert, was auf das Überschreiten eines Kipppunktes im Klimasystem hindeuten könnte. Ähnlich verhält es sich in der grünen Lunge der Welt, im brasilianischen Amazonasgebiet, wo der Regenwald unter der Regentschaft eines Rechtsextremisten im Rekordtempo vernichtet wird.
6 Kommentare verfügbar
Waldemar Grytz
am 30.08.2020Der eine stellt sich ein Bienenvolk auf die Veranda, die andere wirft Samentütchen in den versteinerten Vorgarten nebenan, andere trauern um die Bäume im Schlossgarten und gießen den letzten Baum vor der Haustür mit Trinkwasser…