KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Wir haben den "Impfstoff"

Wir haben den "Impfstoff"
|

Datum:

Grünen-Chef Habeck sagt, für den Klimawandel gebe es keinen Impfstoff. Der Öko-Aktivist Franz Alt sieht ihn – in den Corona-Milliarden für grünes Wirtschaften. Er meint: höchste Zeit, damit den Umstieg auf erneuerbare Energien zu befeuern.

Wir leben im Zeitalter von zwei Pandemien: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat im März 2020 die Corona-Epidemie zur Pandemie erklärt. Seither suchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt nach einem Impfstoff, der die Rettung vor dem Virus bringen soll. Die erste große Umweltkonferenz in Rio 1992 hat den Klimawandel zwar nicht Pandemie genannt, aber ihn praktisch in seither 15 Weltklimakonferenzen zur fossilen Pandemie erklärt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und UN-Generalsekretär Antonio Guterres übereinstimmend: "Die Klimafrage ist die Überlebensfrage der Menschheit."

Jetzt kann man ständig hören: In der Coronakrise macht der Klimawandel keine Pause. Richtig. Wir verbrennen heute an einem Tag global so viel fossile Rohstoffe, also Kohle, Gas, Öl, Benzin und Diesel, wie die Natur in einer Million Tagen angesammelt hat. Wir benehmen uns wie Pyromanen und verstoßen dabei im Verhältnis eins zu einer Million Mal gegen Naturgesetze, obwohl wir auf jeder Weltklimakonferenz hören, dass wir lernen müssen, nachhaltig zu wirtschaften. Das mag eine Zeitlang gut gehen, aber nicht auf Dauer. Der nächste Dürresommer kündigt sich über Waldbrände bereits an – der dritte in Folge. Aber schon vor 28 Jahren hat die Weltgemeinschaft in Rio beschlossen, auf den Impfstoff Erneuerbare Energien zu setzen, also auf klimafreundliche Energie aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Erdwärme.

Der Deutsche Bundestag hat daraus die Konsequenz gezogen und im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beschlossen. Es wurde so erfolgreich und überzeugend, dass knapp hundert Regierungen dieses Gesetz in seiner Intention übernommen haben. EEG heißt: Du bekommst einen ökonomischen Anreiz, wenn du auf Öko-Energie umsteigst. Deutschland produziert im Frühjahr 2020 immerhin 52 Prozent seines Stroms erneuerbar. Der Impfstoff zeigt erste positive Wirkungen. Freilich noch viel zu wenige. Noch steigen weltweit die Treibhausgase – erst in der Zeit der neuen Corona-Pandemie sinken sie erstmals leicht, weil Flugzeuge am Boden bleiben, Fabriken geschlossen sind und weniger Autos fahren.

Es gibt keinen Grund, die Energiewende aufzuschieben

Die Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sagen uns, dass wir das Tempo des Umstiegs auf erneuerbare Energien beschleunigen müssen. Denn das CO2-Budget, das wir noch haben, um das Paris-Ziel von höchstens zwei Grad zusätzlicher Erwärmung zu erreichen, ist spätestens 2030 oder 2035 aufgebraucht. Also in zehn oder spätestens 15 Jahren erreichen wir "Kipp-Punkte" der Klimaerhitzung, nach denen das bisher menschen- und lebensfreundliche Klima nicht mehr zu retten sein wird. Afrika werde dann auf Dauer in weiten Teilen unbewohnbar und Europa werde klimatisch Afrika. Also müssen wir die Dosis des Impfstoffs gegen die Klimaerhitzung erhöhen. Das heißt in Deutschland: Wir müssen icht nur die Stromwende, sondern auch die Verkehrs-, die Wärme- und die Landwirtschaftswende organisieren, um unseren Beitrag zur Stabilisierung des Weltklimas zu leisten. Die Techniken hierfür sind alle vorhanden. Es gibt keinen Grund, die Energiewende aufzuschieben. Der Impfstoff ist bekannt.

Die Bundesregierung, die EU und weitere Industriestaaten wie die USA, Japan oder auch China wollen nach der Corona-Krise mit vielen Milliarden-Investitionen die Wirtschaft wieder anschieben. Wenn wir diese Riesensummen in eine grüne Wirtschaft und in den Umstieg auf klimafreundliche Energieträger investieren, erreichen wir einen mehrfachen Erfolg: Wir nutzen den Impfstoff gegen die fossile Pandemie und stabilisieren das Klima, wir schaffen Millionen neue Arbeitsplätze, was nach der Rezession durch Corona dringend nötig sein wird, und wir bekommen preiswerte Energie. Denn Sonne und Wind schicken keine Rechnung. Schon heute sind Solar- und Windstrom deshalb in den meisten Ländern der Welt die billigste Energiequelle. Das hat die Internationale Agentur für Erneuerbare Energie (IRENA) soeben berechnet. Zugleich gab sie bekannt, dass seit dem Jahr 2000 weltweit elf Millionen neue Jobs durch erneuerbare Energien entstanden sind und über 40 Millionen geschaffen werden können. Die EU will unter Ursula von der Leyen einen Green Deal organisieren.

Albert Einstein hat schon 1915 den Physik-Nobelpreis für die Erklärung des photovoltaischen Effekts erhalten. Worauf warten wir im Jahr 2020 eigentlich noch? Die Sonne schickt uns theoretisch 10.000 Mal mehr Energie als die Menschheit heute verbraucht. Es gibt von Natur aus kein Energieproblem. Aber in Deutschland haben in diesem Frühjahr noch immer 90 Prozent der Dächer keine Solaranlagen. Sie stehen energetisch betrachtet völlig nutzlos in der Gegend herum. Stattdessen holen wir für viel Geld Öl aus Arabien, Gas aus Sibirien und Kohle aus Australien hierher und belasten damit die Umwelt. Das ist weder ökonomisch sinnvoll noch ökologisch vertretbar, wenn die Sonne auch hierzulande kostenlos auf jedes Dach scheint.

In diesen Tagen hat Grünen-Chef Robert Habeck in der "Zeit" geschrieben: "Für den Klimawandel gibt es keinen Impfstoff". Da irrt er sich. Die Grünen sollten nicht hinter ihr eigenes Diskussions-Niveau vor der Corona-Pandemie zurückfallen. Der SPD-Vordenker Hermann Scheer, einer der Väter des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, hat in seinem letzten Buch sinngemäß geschrieben: Wir haben unendlich viel erneuerbare Energien, aber nicht unendlich viel Zeit für den Umstieg auf erneuerbare Energien. Ein ökologisches Wirtschaftswunder ist jetzt möglich.


Passend dazu eine neue Studie der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg.

Franz Alt, Jahrgang 1938, war bis 2003 Journalist beim SWR und engagiert sich seit vielen Jahren für ökologisches Wirtschaften. Seine Homepage ist hier zu finden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Andreas G
    am 13.05.2020
    Antworten
    Es kommt immer darauf an wie die Politik verkauft wird. Früher wurden Kriege im Namen Gottes geführt. Heute werden Zuschüsse für die Wirtschaft im Namen der Gesundheit geplant. Egal in welcher Zeit wir leben, wir sollten endlich anfangen an einer positiven Utopie zu arbeiten. Dazu gehören…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!