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Energiewende und Geothermie

Die Jagd nach dem weißen Gold

Energiewende und Geothermie: Die Jagd nach dem weißen Gold
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Erdwärme soll künftig ein Viertel des Wärmebedarfs decken. Bürgerinitiativen warnen vor unkalkulierbaren Folgen der Bohrungen, Wirtschaft und Umweltverbände befürworten die Technik. Und am Oberrhein entwickelt sich eine Goldgräberstimmung – auch wegen der dortigen Lithiumvorkommen.

Rund um den Oberrhein ist es nicht nur an der Oberfläche wärmer als anderswo. Auch unter der Erde des Oberrheingrabens wird durch die geologische Struktur mehr Wärme gespeichert. Durch die besonderen Gesteinsschichten steigt die Temperatur hier durchschnittlich um etwa vier Grad pro 100 Meter in die Tiefe. Das ist deutlich mehr als im europäischen Durchschnitt und macht den Oberrheingraben zu einer der drei vielversprechendsten Regionen für die Gewinnung von Erdwärme im Bundesgebiet. Das lockt Unternehmen an, da lässt sich Geld verdienen. Manche reizt auch, dass Lithium in der Region vorkommt: wichtig für Batterien und bislang vor allem aus China importiert.

Die Energiewende beschleunigt den Ausbau der Geothermie deutlich. Zuletzt hatte die Erdwärme im Zuge der Öl-Krise der 1970er-Jahre auch in der Region einen kleinen Boom gehabt. In Bühl im Nordschwarzwald wurden bereits 1979 Bohrungen durchgeführt, um die Energie aus der Geothermie zu nutzen. Das Projekt wurde inzwischen aufgegeben. In Baden-Württemberg sind Geothermieanlagen für Strom bzw. Wärme derzeit nur in Bruchsal und Pfullendorf in Betrieb. Doch das soll sich ändern. Bis zu 20 Prozent des gesamten Energiebedarfs könnten künftig durch Geothermie gedeckt werden, schätzt das Bundesumweltamt. "Investitionen in die Wärmewende haben sich durch das günstige russische Erdgas lange nicht rentiert", sagt der Staatssekretär im Landesumweltministerium, Andre Baumann. Er hofft auf den "Ketchup-Effekt" in der Geothermie. Damit wird umschrieben, wenn trotz diverser Anstrengungen oder Klopfens auf die Ketchup-Flasche nur wenig herauskommt – und dann alles auf einmal.

Dutzende Projekte am Oberrheingraben

Eine Schlüsselrolle spielt dabei der warme Oberrheingraben. An zahlreichen Orten rund um den Oberrheingraben wird derzeit in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Elsass versucht, die Geothermie als neue Energiequelle zu erschließen. In den kommenden Jahren dürfte diese Zahl noch steigen. "Es ist ein unglaublicher Schatz, den wir im Oberrheingraben haben", sagt Baumann.

So will der südbadische Energieversorger Badenova auch im Breisgau sowie im Raum Lörrach und Lahr Erdwärme als erneuerbare Energiequelle erschließen. "Wenn alle Erwartungen erfüllt werden, könnten 2035 etwa 40 bis 50 Prozent des Fernwärmebedarfs in Freiburg aus Tiefengeothermie gedeckt werden", sagt Klaus Preiser, Geschäftsführer von Badenova. Die EnBW sucht in Karlsruhe, Wörth und der Region Mannheim nach geeigneten Standorten.

Aufgrund der hohen Temperaturen im Erdboden ist die Tiefengeothermie besonders interessant. Bis zu 5.000 Meter tief wird dabei in den Erdmantel gebohrt, um das heiße Wasser abzupumpen. In einem geschlossenen Kreislauf wird das Thermalwasser nach der Nutzung wieder in den Erdboden zurückgeführt. Für die Energiewende ist die Geothermie besonders für die Wärmeversorgung wichtig. Andere regenerative Energieformen wie Solarthermie oder Biomasse verbrauchen deutlich mehr Fläche. "Geothermie stinkt nicht, raucht nicht, macht keinen Krach und braucht wenig Platz", sagt Baumann. Zudem verspricht Erdwärme eine grundlastfähige, also dauerhafte und unterbrechungsfreie Energieproduktion.

Mehr als 200 Grad in der Erdoberfläche

Die größten Projekte im Oberrheingraben planen die 2015 gegründete und vor allem aus Dänemark finanzierte Deutsche Erdwärme und die seit 2018 bestehende deutsch-australische Aktiengesellschaft Vulcan Energy. Die Deutsche Erdwärme ist mit fünf Projekten in Nordbaden aktiv. Am weitesten fortgeschritten sind die Planungen in Graben-Neudorf. Bei der ersten Bohrung vor einigen Wochen wurden dort Temperaturen von über 200 Grad Celsius im Boden festgestellt. "Das ist zwar erfreulich, hat uns aber vor neue Herausforderungen gestellt", sagt der Sprecher von Deutsche Erdwärme Ron Zippelius. Die Ausrüstung für solche hohe Temperaturen sei knapp und müsste erst beschafft werden. Mit der zweiten Bohrung rechnet er daher erst im Sommer kommenden Jahres. Zwei Jahre später könnte dann in Graben-Neudorf die erste Geothermie-Anlage des Unternehmens in Betrieb gehen.

Weitere Probebohrungen der Deutschen Erdwärme gibt es in Dettenheim, Philippsburg, Waghäusel und Karlsruhe-Neureut. Rund 30 verschiedene Genehmigungen sind für ein Geothermieprojekt nötig. In Dettenheim wartet die deutsche Erdwärme auf die Zusage des zuständigen Bergamts für ihren Betriebsplan, der ausschlaggebend für die Erlaubnis zum Bohren in den Untergrund ist. Auch in Philippsburg sei ein passender Standort schon gefunden. Mit einer Inbetriebnahme rechnet die Deutsche Erdwärme an den beiden Orten bis 2028 bzw. 2029.

Angst vor Erdbeben

In Waghäusel zeigt sich dagegen ein stetes Konfliktfeld in der Geothermie. Anfang des Jahres entschied eine deutliche Mehrheit in einem Bürgerentscheid, dass die Stadt der Deutschen Erdwärme kein eigenes Grundstück für ein Geothermie-Projekt zur Verfügung stellen dürfe. Mit ihrem "Nein zur Tiefengeothermie" hatte sich eine Bürgerinitiative durchgesetzt, die vor einer erhöhten Gefahr von Erdbeben durch die Eingriffe in den Erdboden warnte. Trotzdem will die Deutsche Erdwärme an dem Projekt festhalten und sucht derzeit private Flächen. "Das Projekt verfolgen wir konsequent weiter, denn wie die Wärmeplanung der Stadt zeigt, wird eine Wärmewende vor Ort ohne Geothermie nicht machbar sein", sagt Zippelius. Ein anderer Betreiber ist 2016 in Brühl am Nein des Gemeinderats gescheitert und musste danach Insolvenz anmelden.

Regelmäßig sind die Projektbetreiber vor Ort mit Widerstand konfrontiert. Denn durch Tiefengeothermie-Projekte wurden in der Vergangenheit unter anderem in Landau, Vendenheim (Elsass) oder Basel tatsächlich Erdbeben ausgelöst, die Risse und andere Schäden an Häusern zur Folge hatten. "Der Ausgang einer Tiefengeothermiebohrung ist nicht kalkulierbar", sagt Hans Roser von der Bürgerinitiative gegen Tiefengeothermie im südlichen Oberrheingraben. Die große Unwägbarkeit liege in der Unberechenbarkeit des Untergrundes. "Natürlich hat jede Energieform Risiken. Aber keine ist so regional begrenzt und geht an die Substanz der Gebäude, die nach einem Schadensereignis massiv an Wert verlieren können", sagt Roser.

"Wir werden nicht alle überzeugen", sagt Herbert Pohl, Geschäftsführer der Deutschen Erdwärme zum Widerstand verschiedener Bürgerinitiativen. "Wir geben viele Informationen, um die zu bedienen, die wirklich einen Informationsbedarf haben." Die Projektbetreiber berufen sich auf 3D-Modelle sowie umfangreiche Kontroll- und Messsysteme, die neben einer in Deutschland umfangreichen behördlichen Prüfung Erdbeben nahezu ausschließen würden. Unterstützung erhalten sie dabei auch von den Umweltverbänden. "Uns wurde vor Ort vorgeführt, wie empfindlich dieses Monitoringsystem funktioniert", sagt Harry Block vom BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz). "Es können sehr kleine, nicht spürbare Erdbeben gemessen werden, weit bevor auf der Erdoberfläche irgendein Schaden entstehen kann." Es sollte also genügend Zeit bleiben, um die Bohrungen abzubrechen.

Für die Erdbeben in Landau und Vendenheim waren den Untersuchen zufolge ein zu hoher ausgeübter Druck verantwortlich. Zudem wurde im Elsass im Grundgebirge gebohrt, während im Oberrheingraben nur in den darüber liegenden, lockereren Schichten gebohrt werde, sagt Zippelius. Mit Live-Daten an die Behörden und strengeren Auflagen in Deutschland seien die eigenen Projekte nicht mit Vendenheim zu vergleichen. Dies gelte auch für den immer wieder bemühten Vergleich mit Staufen. Dabei handelte es sich um Geothermie in Oberflächennähe und nicht in der Tiefe. Durch unzureichende Rohre und unsachgemäße Bohrungen hob der entstehende Gips in Staufen den Erdboden an. "Das war der totale Mist und hätte nie genehmigt werden dürfen", sagt BUND-Mann Block.

Goldgräberstimmung rund um Lithium

Der rein technische Blick reiche daher nicht aus, meint Roser von der Bürgerinitiative, der der Technik nicht so recht traut. Auch der "Faktor Mensch" sei bei der Geothermie eine Gefahr. "Tiefengeothermieprojekte sind so teuer, dass man unbedingt Erfolg haben muss. Und so überschreitet man auch festgelegte Grenzen, zum Beispiel durch den Einsatz von größeren Drücken als erlaubt, um den Erfolg zu erzwingen." Die nötigen Investitionen für ein Geothermieprojekt sind sehr hoch. Die EnBW veranschlagt pro Projekt 50 Millionen Euro, bei der Deutschen Erdwärme sind die veranschlagten Kosten noch etwas höher und Vulcan Energy gibt seine Gesamtinvestitionen gar mit insgesamt 1,4 Milliarden Euro an.

Am linken Rheinufer treibt Vulcan Energy derzeit zahlreiche Tiefengeothermieprojekte voran. Auf deutscher und französischer Seite besitze das Unternehmen insgesamt 16 sogenannte Aufsuchungslizenzen, um Erdwärmevorkommen zu finden. Im Vordergrund steht für das Unternehmen dabei der Abbau von "klimaneutralem Lithium", das aus der geförderten Sole extrahiert und dann vor allem für die zur Energiewende notwendigen Batterien genutzt werden könnte. Bislang ist Deutschland dabei vor allem von China abhängig, das bei anderen Rohstoffen die Exporte in den vergangenen Wochen bereits drosselte. Nicht zuletzt dies mache den "Aufbau einer heimischen Lithiumlieferkette aus industriepolitischer wie auch geopolitischer Sicht dringend notwendig", teilt Vulcan Energy auf Anfrage mit. Bis zu drei Prozent des deutschen Lithium-Bedarfs könnte ein Geothermiekraftwerk decken, sagen Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

Ende November hat Vulcan Energy im südpfälzischen Landau eine "Lithiumextraktionsoptimierungsanlage" eröffnet, die vorerst als Demonstrationsanlage für den Lithiumabbau fungiert. 2026 soll der kommerzielle Betrieb mit einer neuen Anlage in Betrieb genommen werden. Noch ist unklar, ob der Abbau jenseits von Labor-Bedingungen möglich ist und die erhofften Lithium-Mengen ausreichen, um den Abbau ökonomisch zu betreiben. Bei der Deutschen Erdwärme schaut man interessiert auf die Anstrengungen des Wettbewerbers. In den eigenen Wirtschaftsplänen setzt man aber noch auf die durch die EEG-Umlage unterstützte Stromerzeugung, bis die Einspeisung der Erdwärme in die Wärmenetze Realität wird. Trotzdem hat mit der Hoffnung auf Lithium eine Art "Goldgräber-Stimmung" eingesetzt. Auch die EnBW will Tiefengeothermie mit dem Lithiumabbau kombinieren. Obwohl er ein starker Verfechter der Geothermie ist, gibt sich Block vom BUND hier skeptisch. "Die Lithiumgewinnung auf der linken Rheinseite halte ich für profitorientiert. Für mich: viele Versprechungen für die Aktionäre, aber bisher wenig Substanz."

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1 Kommentar verfügbar

  • goofy
    am 09.01.2024
    Antworten
    "Bis zu 5.000 Meter tief wird dabei in den Erdmantel gebohrt, um das heiße Wasser abzupumpen."
    Gemeint ist wohl die "Erdkruste", die von den Gegebenheiten her unterschiedlich eine Dicke von mehreren Kilometern aufweist. Der Erdmantel ist die darunter liegende Schicht, aus der bei Vulkanausbrüchen…
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