Doch Ratschläge und Warnungen verhallten im Staufener Rathaus ungehört. Stattdessen wurde dem Freiburger Ingenieurbüro der Planungsauftrag entzogen und die Bohrungen ausgeschrieben. Den begrenzten Bieterwettbewerb gewann die Wälderbau Bohrtechnik GmbH – ein Unternehmen, das erst im Jahr 2005 gegründet wurde, in Schwarzenberg im österreichischen Vorarlberg. Am 3. September 2007, einem Montag, begann die Firma neben dem Rathaus zu bohren. Am Freitag, den 21. September 2007, räumte sie das Bohrfeld, nachdem sieben Erdwärmesonden niedergebracht waren. Etwa zwei Wochen später, Anfang Oktober, wurden erste Risse im Rathaus und in benachbarten Gebäuden festgestellt. Heute ist unstrittig, dass die Bohrungen die Katastrophe auslösten.
Kontext bat Michael Benitz um Stellungnahme, warum die Warnungen des Freiburger Ingenieurbüros ignoriert wurden. In seiner schriftlichen Antwort geht der Bürgermeister, der im September 2017 mit 96,1 Prozent der Stimmen für seine dritte Amtszeit gewählt wurde, nicht darauf ein. Stattdessen begründet er, warum man die Zusammenarbeit mit dem ersten Geologiebüro beendet habe. "Weil dieses Büro sich nicht in der Lage sah, ein Leistungsverzeichnis für eine Ausschreibung der Arbeiten zu erstellen." Ein anderes, auf die Durchführung von Sondenbohrungen spezialisiertes Ingenieurbüro sei dann mit der Projektabwicklung beauftragt worden.
Zertifizierung mit laschen Anforderungen
"Es wurde in der Folge eine beschränkte Ausschreibung mit ausschließlich zertifizierten Bohrunternehmen durchgeführt, die Arbeiten auch in den zu erwartenden geologischen Verhältnissen durchführen können", so Benitz. Alle angefragten Firmen hätten darauf ein Angebot abgegeben, darunter auch die zuvor empfohlene Firma T. "Dem Vergabevorschlag des Ingenieurbüros ist der zuständige Bauausschuss der Stadt einstimmig gefolgt und hat die Arbeiten an die Firma Wälderbau vergeben", so Benitz.
War diese Firma qualifiziert genug, im schwierigen Staufener Untergrund zu bohren? "Bereits zum damaligen Zeitpunkt galt der Erlass, dass nur durch DVGW W 120 zertifizierte Bohrfirmen mit der Herstellung von Erdwärmesonden-Anlagen beauftragt werden dürfen", erklärt das Freiburger Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) auf Anfrage. Ziel einer solchen Zertifizierung sei unter anderem der Nachweis der technischen und personellen Leistungsfähigkeit. Tatsächlich besaß auch Wälderbau Bohrtechnik das vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. vergebene Zertifikat – allerdings erst seit dem 24. Mai 2006.
Unter Experten galt das Zertifikat allerdings nicht als Nachweis besonderer Sachkunde. "Damals boomte Erdwärme, es herrschte eine Goldgräberstimmung. Bohrfirmen schossen wie Pilze aus dem Boden – und jede bekam das Zertifikat, wenn sie dem Prüfer sauber geputztes Bohrgerät auf dem Firmenhof präsentierte", beschreibt ein Insider die laschen Anforderungen.
Auch das DVGW-Arbeitsblatt lässt Zweifel an der Aussagekraft der W-120-Zertifizierung aufkommen. So hatte der Branchenverband die Qualitätsnachweise im Dezember 2005 erst an oberflächennahe Erdwärmesonden angepasst. Nach dem Staufener Bohrunglück verschärfte der DVGW im Frühjahr 2010 die Nachweiskriterien dann spürbar. Erstmals mussten Bohrfirmen sogar mit unangekündigten Baustellenbesuchen der Prüfer rechnen. "Bis zu dem Schadensfall Staufen musste davon ausgegangen werden, dass ein zertifiziertes Bohrunternehmen in der Lage ist, Erdwärmesondenbohrungen sachgerecht auszuführen und hinsichtlich der erforderlichen hydrogeologischen Stockwerkstrennung zuverlässig abzudichten", betont das LGRB heute.
Vorsichtiges Bohren wäre teurer, aber besser gewesen
In Kenntnis dieser Umstände erscheint ein im Zuge der Beweissicherung erstelltes Gutachten vom September 2008 in einem neuen Licht. Nach Ansicht des damaligen Gutachters Professor Hermann Schad von der Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart wurden die Staufener Erdwärmesonden zwar gemäß dem damaligen Stand der Technik gebohrt. Zugleich hätte "unter Umständen ein ‚sensibleres’ Vorgehen beim Bohren und eine sorgfältigere Verpressung die Schäden verhindert", betonte er auf Frage des Freiburger Landgerichts. Schonendere Bohrverfahren hätten allerdings auch zu deutlich höheren Kosten geführt. Die Angebotspreise der Firmen für die Staufener Bohrungen von 68 853,40 bis 77 975,50 Euro seien für die gewünschte Leistung als niedrig anzusetzen, so dass "von der Qualität her nur Mindeststandard erwartet werden durfte", so der Gutachter. Nur eine Firma hatte mit 90 975,50 Euro ein deutlich teures Angebot abgegeben, war aber nicht zum Zuge gekommen – die ortskundige Freiburger Bohrfirma T.
Widerspruch erntete Gutachter Schad allerdings schnell auf die Aussage, wonach das Risiko von Gipskeuperquellungen erst nach den Bohrungen offensichtlich wurde. "Die Risiken von Erdwärme-Bohrungen in der Stadt Staufen sind durchaus vorhersehbar gewesen", sagt Nico Goldscheider, Hydrogeologie Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sogar in allgemeinen Lehrbüchern hätte man nachlesen können, dass in der Region um Staufen Gesteinsschichten mit besonders großen Mengen an Gips und Anhydrit vorlägen. "Bei diesem hohen Risiko hätte man solche Bohrungen damals gar nicht vornehmen dürfen oder entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen", betont der Hydrogeologe. "Die Hebungen kamen völlig überraschend. Niemand ging davon aus, dass mit so kleinen Bohrungen ein so problematischer Hebungsprozess ausgelöst werden könnte", hatte dagegen Bürgermeister Benitz noch im September 2017 nach seiner Wiederwahl in einem Interview behauptet.
Wegen wenigen tausend Euro Einsparung ein Schaden, der in die Multimillionen geht? Lange Zeit war unklar, wer für den Schaden haftet. Die Stadt als Auftraggeberin, die ihr denkmalgeschütztes Rathaus umweltfreundlich mit Erdwärme heizen und kühlen wollte? Die Bohrfirma, deren Meißel im Bohrloch auf Wasser traf? Oder das Land, dessen zuständige Behörden die Bohrungen genehmigten? Nach den Quellungen drohte eine Prozesslawine über die Beteiligten hereinzubrechen – mit ungewissem Ausgang aufgrund der komplexen Rechtslage.
Bürgermeister fühlt sich nicht verantwortlich
Betroffene Hausbesitzer konnten erst aufatmen, als im März 2014 auf Drängen von Benitz in Staufen eine Finanzierungsvereinbarung über 30 Millionen Euro unterzeichnet wurde. Danach trägt das Land Baden-Württemberg 40 Prozent (12 Millionen Euro) der Schäden. Städte und Kommunen steuern über den Finanzausgleich den gleichen Anteil bei. Die restlichen sechs Millionen Euro stemmt die Stadt Staufen selbst. Verteilt wird das Geld über eine unabhängige Schlichtungsstelle, an die sich Hausbesitzer im Schadensfall wenden können. Sollte die Summe nicht reichen, haben sich die Partner verpflichtet, weitere Finanzmittel nachzuschießen. "Dies alles geschieht, ohne dass die Beteiligten rechtlich dazu verpflichtet wären", betont Staufens Bürgermeister, dass damit kein Schuldeingeständnis verbunden ist. "Faktisch ist es Amtshaftung", sagt dagegen Csaba-Peter Caspar von der Interessengemeinschaft der Riss-Geschädigten.
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Theo
am 03.06.2019