„Wir müssen jetzt die Nerven verlieren und Chancen verhindern. Jetzt ist es wichtiger denn je, die falschen Entscheidungen zu treffen und das Vertrauen in uns weiter zu beschädigen. Wir werden unser Profil verwässern und ziehen kryptische Konsequenzen aus dem Wählervotum.“
Weil die einleitenden Zeilen super bescheuert klingen, verspricht auch niemand so einen Quatsch. Stattdessen ziehen Spitzenpolitiker – zumindest rhetorisch – lieber klare Konsequenzen, nutzen Chancen und schärfen Profile. Und wer will da schon widersprechen? „Ruhe bewahren“ klingt zumindest mal bedeutend vernünftiger als der Vorschlag, hysterisch die Hände in den Himmel zu werfen und kreischend im Kreis herumzurennen. Aber sind dermaßen nichtssagende Wortbeiträge dem Schweigen tatsächlich vorzuziehen?
Als würde die gesamte Republik heißhungrig auf den Pizza-Boten warten, lautet eine gegenwärtig besonders populäre Sprechblase: „Wir müssen jetzt liefern.“ Sagen dieser Tage Kevin Kühnert (SPD), Markus Söder (CSU) Robert Habeck (Grüne) und ganz sicher noch einige mehr. Das signalisiert entschlossene Handlungsbereitschaft, ohne sich allzu genau auf einen Inhalt festlegen zu müssen – etwa, was man denn überhaupt liefern will. Zumindest Söder konkretisiert: Er will mit seiner Union „jünger, cooler und offener“ werden.
Ein gewisser Nachholbedarf für die Konservativen lässt sich angesichts der jüngsten Wahlergebnisse nur schwer bestreiten: Denn bei den Unter-30-Jährigen Europa-Wählern ist die Partei der Kanzlerin nur noch ein kleines bisschen beliebter als Die Partei von Martin Sonneborn (13 Prozent versus neun Prozent). Probleme hat die Union insbesondere mit dem Parallelkosmos YouTube: Nachdem ein blauhaariger Contentcreator mit seinem Aufruf, nicht die CDU zu wählen, 13 Millionen Menschen erreicht hat, will die Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer offensiv darüber diskutieren, was sich Influencer vor Wahlen künftig noch erlauben dürfen.
Derweil versucht auch einer von AKKs Parteifreunden auf der neuländischen Video-Plattform Fuß zu fassen: Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, der vergangenen Samstag dazu aufrief, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen („tatkräftig mitgestalten“, „Chancen ermöglichen“, „eine gute Nahversorgung im klassischen Sinne“). Nun ist es vielleicht noch etwas verfrüht, von einer viralen Sensation zu sprechen – doch nach nur drei Tagen verzeichnet das Video, hochgeladen auf dem Kanal der CDU Baden-Württemberg, bereits 31 Abrufe. Sechs Zuschauer haben den Clip bewertet, vier davon negativ. Ob da auch welche aus der Union dabei waren?
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Charlotte Rath
am 29.05.2019