Gunretno überzeugen von Achtens Argumente ohnehin nicht. Er leistet weiter Widerstand. Zurzeit versuchen die JM-PPK vor allem, die Bäuer:innen davon abzuhalten, ihr Land an Indocement zu verkaufen. Seit fast zehn Jahren besetzen sie außerdem die Wege zu dem Gebiet, auf dem Heidelberg Materials Kalk abbauen will. Ein indonesisches Gesetz besagt, dass die Abbaugenehmigung erlischt, wenn ein Unternehmen drei Jahre lang nicht tätig wird. Und 2020 legten einige Gemeinden aus Pati bei der Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze in Deutschland Beschwerde ein: Heidelberg Materials verstoße in Indonesien gegen Menschenrechts- und Umweltstandards – zum Beispiel gegen das Prinzip des "free, prior and informed consent", das indigenen Völkern zugesteht, selbst darüber zu entscheiden, was mit ihrem Land und den dortigen Ressourcen passiert.
Wann die Nationale Kontaktstelle über die Beschwerde entscheidet, ist unklar. Solange das Ergebnis aussteht, darf der Konzern in Pati nicht aktiv werden. Gunretno fürchtet, dass er und die anderen Anwohner:innen am Ende mit Geld entschädigt werden sollen – für einen Ort, der den Sedulur Sikep auch spirituell viel bedeutet: "Das Kendeng-Gebirge ist mit Geld nicht aufzuwiegen", betont er. Trotz allem hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben: dass die Heidelberger am Ende gehen – so wie die Niederländer Jahrzehnte zuvor.
Norwegen: weg mit dem CO2
Fast romantisch schildert Dominik von Achten auf der Hauptversammlung den kalten Tag im Januar 2023, an dem er gemeinsam mit Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck das Zementwerk des Unternehmens im norwegischen Brevik besuchte. Zwei Männer, die sich einig sind, soll die Erzählung wohl transportieren. Darin, dass man Zementwerke eben nicht klimaneutral bekommt. "Außer man scheidet das CO2 ab", wie Habeck es formuliert – und wie von Achten es jederzeit unterschreiben würde.
Dass die Zementindustrie so viel CO2 ausstößt, liegt vor allem an der chemischen Reaktion, die der Produktion zugrunde liegt. Um Zement herzustellen, wird Kalkstein und Ton bei einer Temperatur von 1.450 Grad Celsius zu Zementklinker gebrannt. Wofür an sich schon sehr viel Energie notwendig ist. Die hohen Temperaturen zerlegen den Kalkstein in Calciumoxid, Hauptbestandteil des Zements, und in CO2. Auch wenn es möglich ist, diese Emissionen zu reduzieren – ganz vermeiden kann man sie wohl nicht.
Deshalb lautet die naheliegendste, die scheinbar einfachste Möglichkeit: weg mit dem CO2. Am liebsten weit weg, in ein Reservoir im Meeresboden der Nordsee, 2.600 Meter tief. In Brevik entsteht eine Anlage, die jährlich 400.000 Tonnen CO2 abspalten soll. Das ist etwa die Hälfte des Treibhausgases, das das Werk insgesamt ausstößt. Ein Schiff bringt es an die Westküste Norwegens. Dort wird das flüssige CO2 per Pipeline in Gesteinsschichten tief unter den Meeresboden gepresst. Auch wenn das Werk vermutlich erst Ende 2024 fertig ist, den dann erhältlichen "Net-Zero-Zement" vermarktet Heidelberg Materials schon jetzt lautstark. Und er ist auch in anderen europäischen Werken erhältlich – die in Brevik erzielten CO2-Einsparungen werden einfach auf den dort erhältlichen Zement angerechnet. Den Zement selbst macht das natürlich in keiner Weise klimafreundlicher.
Norwegen gilt als Vorreiter in der CCS-Technologie, kurz für "Carbon Capture and Storage", also dem Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid in der Tiefe. Auf 80 Milliarden Tonnen CO2 schätzt das norwegische Öldirektorat die Speicherkapazität des Landes. Für Norwegen eröffnet sich hier ein ganz neuer Wirtschaftszweig, den das Land massiv vorantreibt. Das Zementwerk in Brevik gehört zum "Longship"-Projekt, das die norwegische Regierung mit rund 1,6 Milliarden Euro fördert. Praktisch für Heidelberg Materials: Norwegens Regierung übernimmt bis zu 85 Prozent der Investitionskosten der Anlage in Brevik.
Nachhaltige Alternativen für Beton fehlen
In Deutschland ist die Speicherung von CO2 sowohl an Land als auch im Meer bisher nicht erlaubt. Die Skepsis ist groß, Umweltverbände bezweifeln, dass CO2 tatsächlich sicher gespeichert werden kann. Auch Robert Habeck hatte sich in seiner Zeit als Landespolitiker in Schleswig-Holstein noch klar dagegen positioniert. Das hat sich geändert: Er will ein Gesetz auf den Weg bringen, das die CO2-Speicherung auch in Deutschland ermöglicht. Geplant war es für 2023, bisher lässt die Carbon-Management-Strategie seines Ministeriums jedoch auf sich warten. Wenn das Land bis 2045 klimaneutral sein will, argumentiert Habeck, führe an CCS kein Weg vorbei. Aus diesem Grund begrüßen auch große norwegische Umweltverbände das Projekt in Brevik. "Es gibt keinen breiten Widerstand, da es sich um die Zementindustrie handelt", sagt Fredrik Nordbø vom WWF Norwegen. Seine Kritik richtet sich lediglich an die Öl- und Gaslobby, die CCS gerne als Klimalösung präsentiert, um weiterzumachen wie bisher. Denn während es bei Öl und Gas durchaus nachhaltige Alternativen gibt, fehlen diese für Beton bisher – zumindest um ihn in dem Maßstab ersetzen zu können, wie er derzeit weltweit eingesetzt wird.
2 Kommentare verfügbar
Grem
am 03.01.2024man sollte Klimaschützern einmal vorrechnen, wie viel CO2 für den Bau eines Windrades erzeugt werden und wie lange es dann dauert, diese Bilanz auszugleichen...