"Wir schreiben auf, wie wir uns die Welt von morgen vorstellen", sagt Generalsekretär Carsten Linnemann in Anlehnung an Pippi Langstrumpf. Wären die Zeiten weniger ernst, könnte das Papier mit all seinen Gemeinplätzen, Redundanzen, luftigen Behauptungen und den manchmal ebenso verwegenen wie undurchdachten Versprechen als Realsatire wahrgenommen werden. Aber die Zeiten sind ernst und die schwarzen Absurditäten sind es auch. Dieser Tage erfuhr die staunende Öffentlichkeit, dass es für Parteichef Friedrich Merz zur neuen Leitkultur sogar zählt, "vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen". Das Biedermeier lässt grüßen.
Kuschelig geht es in diesem Geiste jedoch nicht zu. Schon auf der ersten Seite des Programmentwurfs wird schnörkellos verlangt, dass "alle, die hier leben wollen, unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen müssen (…) Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden". Ob Generalsekretär Carsten Linnemann, der geistige Vater dieses Papiers, demnächst CDU-Mitarbeiter:innen von Haustür zu Haustür schickt, um Landsleuten und Migrant:innen einschlägige Bekenntnisse abzuzwacken? Sich an die Gesetze halten und auf eigenen Beinen stehen, sich zu engagieren, das alles reicht nicht mehr aus, um ein Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu werden. An anderer Stelle wird sogar verlangt, die deutsche Leitkultur zu leben. Und spätestens mit dem Hinweis, dass wer dies tue, auch "eingeladen" sei, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, wird aus Selbstbewusstsein Überheblichkeit.
Gleich auf doppelte Weise ausgehöhlt ist das C, denn christliche Nächstliebe spielt im Umgang mit Zugewanderten und Geflüchteten überhaupt keine Rolle. Dazu ist bemerkenswert, wie Merz den Weihnachtsbaum zum Werte-Symbol stilisiert und statt der Geburt Christi den Ankauf eines Nadelholzes zum Eckpfeiler seines Menschenbilds. "Unsere Kirchen" werden in dem Papier übrigens bloß lieblos gestreift, "als wichtige Partner bei der Gestaltung unseres Gemeinwesens". Folgerichtig fehlt jene Erklärung, was eigentlich unter christlichen gelebtem Konservativismus 2024 ff. zu verstehen ist.
Eine wirre Aneinanderreihung für den Rechtsruck
Das Thema Leitkultur jedenfalls ist für die CDU nicht neu, die Tonlage ist es sehr wohl. Im 2007 vom Bundesparteitag in Hannover verabschiedeten und noch wenige Monate gültigen Grundsatzprogramm "Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland" bilden kulturelle Werte und historische Erfahrungen, darunter die zwei totalitären Regime in der jüngeren Geschichte des Landes, "die Grundlage für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und unsere Leitkultur in Deutschland". Die wiederum sei Basis für die gesellschaftliche Integration Zugewanderter, von der es damals hieß, sie führe "zu gleichberechtigter Teilhabe, zu wechselseitigem Verständnis und zugleich zur Identifikation mit unserem Land".
4 Kommentare verfügbar
Gerald Wissler
am 05.01.2024Denn der größte Teil von Merkels Politik stand im Widerspruch zum seinerzeit gültigen CDU-Programm, ohne daß es größere teile der Partei gestört hätte.
Deshalb ist auch bei der neuen Version vollkommen egal, was da drin steht.