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Hinter der Fichte

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Auch in Baden-Württemberg stößt ein CDU-Abgeordneter mit AfDlern an, wenn ein linker Ministerpräsident verhindert wird. Repräsentativ für die Gesamtpartei ist das nicht, aber es zeugt vom erbitterten Richtungsstreit. Und der tobt längst nicht nur im Osten.

Ein Hochamt soll gefeiert werden in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart. Im Dezember 2020 wird ein Bundesparteitag auf der Fildermesse das neue Grundsatzprogramm der CDU beschließen, das sogar nach der baden-württembergischen Landeshauptstadt benannt werden soll. Um den Rückenwind mit zu entfachen, der die derzeitige Kultusministerin Susanne Eisenmann als Ministerpräsidentin in die Villa Reitzenstein tragen soll. Der schöne Plan für die Landtagswahl im März 2021 hat jedoch einen gravierendenden Fehler: Ohne einigermaßen geschlossen aufzutreten, kann eine Partei keine Strahlkraft entwickeln.

Nicht allein Landesverbände in der ehemaligen DDR, auch viele Mitglieder auf allen Ebenen im lange Zeit erfolgsverwöhnten Süwesten mochten und mögen den Kurs von Angela Merkel nicht mittragen, vor allem nicht seit ihrem "Wir schaffen das". Sie halten sich als konservative Tugendwächter für einen Teil der Lösung, sind in Wirklichkeit aber Teil des Problems. Selbst in den Jahren der größten Erfolge blieb die pragmatische Bundesvorsitzende vielen fremd. Und die Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer erst recht. Säger sind deshalb schon lange unterwegs und was jetzt als fehlende Führungsstärke identifiziert ist, heißt aus einem anderen Blickwinkel betrachtet schlicht und einfach: Verweigerung der Gefolgschaft.

Seit dem Eklat am vergangenen Mittwoch in Erfurt bis zum Politbeben zum Wochenbeginn in Berlin brach sich diese Haltung einmal mehr Bahn, gerade im Stuttgarter Landtag. An Sitzungstagen sind Parlamente Glashäuser, alle reden mit allen in den Foyers und auf den Fluren, sehen und gesehen werden, wenig bleibt verborgen. Nicht einmal die unverhohlene Freude in den Reihen der CDU-Fraktion, als sich die Eilmeldung aus Thüringen verbreitet. Manche machen aus ihrer Genugtuung  über Bodo Ramelows Abwahl kein Hehl.Karl "Jimmy" Zimmermann, der Kirchheimer Abgeordnete, findet schade, dass es nicht seine Partei war, die im dritten Wahlgang einen Kandidaten aufgestellt hat. August Schuler, sein Ravensburger Kollege, wird später am Abend ein Glas Sekt mit einer Handvoll AfD-Abgeordneten trinken. Weil es ihm in die Hand gedrückt worden sei, versucht er sich später zu rechtfertigen. 

Eine sitzt auf der Regierungsbank und lehnt jede Stellungnahme ab: Susanne Eisenmann, Kultusministerin und Spitzenkandidatin der CDU für die Landtagswahl im März 2021. Ein anderer redet zwar, kann sich aber nicht zu einer klaren Distanzierung von den Thüringer ParteifreundInnen aufraffen. Er wolle den Vorgang erst "im Lichte der Geschichte beurteilen", sagt CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart und beharrt darauf, dass im Detail doch gar nicht bekannt sei, wer den FDP-Mann Kemmerich gewählt hat – schließlich könnten doch auch Grüne, Sozialdemokraten und Linke ihm ihre Stimme gegeben haben.

Dann fiel dieser Satz: Seine Beurteilung hänge davon ab, wie der Ministerpräsident "das Wohl des Landes weiterführen wird, so wie das der Vorgänger gemacht hat". Im Klartext: Eigentlich gibt es gar keine sachlichen Gründe, Ramelow durchfallen zu lassen. Und noch einer sagte einen Satz wie einen Offenbarungseid. Dass es Absprachen gegeben habe, so CDU-Generalsekretär Manuel Hagel, sei eine Unterstellung, die er "nach dem, was ich jetzt weiß, definitiv zurückweise". Da waren belastbare Hinweise längst öffentlich.  

Einlassungen dieser Art führen, entschlackt von allem verbalen Lametta, immer nur zu drei unerfreulichen Schlussfolgerungen. Entweder die Urheber sind naiv ohne Ende oder ahnungslos oder sie wollen ihr Publikum ganz bewusst hinter die Fichte führen. Im vorliegenden Fall ist der Verdacht der Ahnungslosigkeit komplett unglaubwürdig.

Höcke hat in Stuttgart seinen Plan verkündet

Spätestens am 23. Januar waren die Ränkespiele der Thüringer AfD auch im Stuttgarter Landtag angekommen. Beim Neujahrs-Empfang der AfD-Fraktion gab sich Björn Höcke persönlich die Ehre seines Erscheinens und plauderte aus dem Erfurter Nähkästchen: Dort sei er derzeit "damit beschäftigt, einen Mann zu verhindern, der noch einmal MP werden will, den Kryptokommunisten Ramelow". Er werde "der Vernunft zum Durchbruch verhelfen und eine Personalkonstellation mit auf den Weg bringen, um die bürgerliche Wende einzuleiten". Maulheldentum von rechtsaußen, dachten die zahlreichen anwesenden JournalistInnen, in der trügerischen Gewissheit, dass CDU und/oder FDP sich zu solchen Winkelzügen doch sicherlich nicht hergeben würden.

Haben sie aber. Und wegen der historischen Wahrheit: Praktisch alle VertreterInnen aus beiden Landesverbänden, auf den Fluren und in den Foyers des Landtags angesprochen auf den Tabubruch, behaupteten, dass es über Kemmerichs Wahl hinaus im politischen Alltag selbstredend zu keiner Zusammenarbeit mit der AfD gekommen wäre. Dabei war der Gegenbeweis schon gleich nach dem Wahlakt im Thüringer Landtag geliefert und die Sitzung nach der ersten und letzten Rede des Ministerpräsidenten unterbrochen worden – mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP, gegen jene von Linken, SPD und Grünen. Und das wäre, zumindest immer wieder, so weitergegangen. Weil sonst gar keine geordnete Arbeit möglich ist in Ausschüssen, im Umgang mit der Tagesordnung oder auch nur bei der Besetzung von Gremien.

Wegen Thüringen hätte AKK ihren Hut aber noch lange nicht nehmen müssen. Hätten nur ausreichend viele der mächtigen Männer in den Landesverbänden zuerst klare Worte zu den Erfurter Vorgängen gefunden, um dann die Vorsitzende zu stützen. Erst recht nach ihrer öffentlichen Erklärung dazu, wie sie versucht hat, im Gespräch mit den Thüringer Verantwortlichen die Eskalation zu verhindern. Wie viele Tweets, Klicks, Posts, Agentur- und Online-Meldungen hätten die Republik überschwemmt, wären wenigstens die Vizes aufgestanden.

CDU-Landeschef Thomas Strobl ließ es an Deutlichkeit nicht fehlen und forderte sogar bundesweit als Erster aus dem so oft bemühten "bürgerlichen Lager" Kemmerichs Rücktritt. Zu diesem Zeitpunkt waren allerdings schon acht Stunden ins Land gegangen und die Führungsschwäche der Parteichefin dominantes Gesprächsthema in schwarzen Kreisen. Dort wird ja nicht von ungefähr noch immer als Unfall der Geschichte wahrgenommen, dass die Saarländerin CDU-Vorsitzende geworden war und heiße Anwärterin aufs Kanzleramt.    

Der Herzenskandidat vieler CDU-Mitglieder und -Sympathisanten im Südwesten ist und bleibt Friedrich Merz. Unvergessen der Jubel bei den Regionalkonferenzen von 2018, unvergessen die vielen Solidaritätsadressen. Am vergangenen Montag, nach AKK's Rückzieher, schoss #Merz durch die Decke. Auf große Zustimmung stößt einer der Tweets des 64-Jährigen, der zeigt, wohin die Reise unter seiner Ägide ginge: "Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um mit Maßnahmen der Wirtschafts- und Finanzpolitik für Impulse zu sorgen. Die Kaufkraft der privaten Haushalte ließe sich mit einer Verringerung der Steuerlast ebenso erhöhen wie die Investitionskraft der Unternehmen." Kein Wunder, dass seine Lobbyisten schon lobbyieren, gerade in CDU-affinen Medien. "Genug vom 'Kurs der Damenriege'" schreibt etwa "Die Welt". Und teilt mit: "Unternehmer für Merz als Kanzlerkandidaten."

Die Werte-Union jubiliert

Der Landesverband der parteieigenen Mittelstandsvereinigung meldet sich zu Wort, verlangt "eine völlige Neuaufstellung", um "unsere Mutterpartei" noch zu retten und "ohne  Rücksicht auf Verluste eine(n) charismatische(n),  dynamische(n) und unverbrauchte(n) Parteivorsitzende(n) und Kanzlerkandidaten/in". Die Werte-Union des Mannheimers Alexander Mitsch vom rechten Rand der Union wiederum ließ ohnehin nie von der Idee, Merz könne doch noch Kanzlerkandidat und Parteichef werden. Geworben wird jetzt dafür, "den jahrelangen Linkskurs der vorherigen Vorsitzenden Merkel nachhaltig zu korrigieren". In der ungeniert geäußerten Hoffnung, dass Thüringen "zum Vorbild für ganz Deutschland wird". Aus der Sicht der Werte-Union kann die CDU gerade dann erfolgreich sein, "wenn sie sich nicht an SPD und Grüne bindet". Für Christian Bäumler, Landesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), ist so etwas Grund genug, einen Unvereinbarkeitsbeschluss ins Gespräch zu bringen: "Wir brauchen keine AfD-Hilfstruppe in unseren Reihen."

Die Landesspitze hält sich aus dem Richtungsstreit heraus, wie eh und je. Strobl hat aber nicht nur zugelassen, sondern immer wieder mit befördert, dass nahezu jede Form der Modernisierung durch die Bundeskanzlerin in der Schublade mit der Aufschrift "Links" landete. Ein Beispiel von vielen: Für die 2017 im Bundestag beschlossene Homo-Ehe stimmte nicht einmal ein halbes Dutzend der Abgeordneten aus Baden-Württemberg. Selbst die Tatsache, dass die CDU in so vielen Städten im Land längst nicht mehr größte Partei im Gemeinderat ist, befördert Umdenken nicht. Die Welt habe sich verändert, schreibt die "Süddeutsche", und die CDU könne mit ihren alten Antworten nicht mehr überzeugen.

Dennoch schlägt Paul Ziemiak, Generalsekretär der Bundespartei, den Bogen von Ramelow zu den Mauertoten, die seine Partei nicht vergessen habe. Dennoch verkünden die Gebetsmühlen allenthalben, die Linke habe eben nie die SED-Vergangenheit aufgearbeitet. Was für Thüringen in besonders hohem Maße nicht zutrifft: Die rot-rot-grüne Landesregierung war seit 2014 bundesweit Vorreiterin in Sachen Aufarbeitung. Und mit Erfolg hat sie die Bundesregierung gedrängt, die Fristen für die Entschädigung von Heimkindern zu strecken, die das DDR-Regime von ihren Eltern getrennt hatte. Aber warum die Realität zur Kenntnis nehmen, wenn Halbwahrheiten rechtfertigen sollen, dass die Distanz zu AfD und Linkspartei gleichermaßen gewahrt bleiben und selbst einer wie Ramelow ins Schmuddelkindereck gesteckt werden muss. 

Von entscheidender Bedeutung für die Südwest-CDU wird neben den neuen Antworten zu Klimaschutz oder Kinderarmut, in der Steuer-, der Wohnungs-, der Flüchtlingspolitik und all den anderen offenen Fragen, der Zeitplan sein. Überraschend hat sich Strobl sofort eingelassen auf die inzwischen von vielen Seiten problematisierten Vorstellungen der Noch-Bundesvorsitzenden. "Ich sage mal voraus", prophezeite der Landesvorsitzende Thomas Strobl nach den Gremiensitzungen in Berlin, "bis zum Stuttgarter Parteitag Anfang Dezember werden wir dann inhaltlich gut aufgestellt sein." Und mit dem "Stuttgarter Programm" werde "unsere inhaltliche Aufstellung für die 20er Jahre und über das Jahrzehnt hinaus" geregelt.

Seinen Schwiegervater treibt auf dem Weg dahin allerdings noch ganz anderes um. Eine halbe Stunde vor dem Beben im Berliner Konrad-Adenauer-Haus gibt Wolfgang Schäuble ein Fernseh-Interview, offensichtlich nicht wissend, was wenig später hinter den verschlossenen Türen des Bundesvorstands geschehen sollte. Eine seiner zentralen Botschaften: "Wir haben eine klare Mehrheit für demokratisch einwandfreie Kräfte in allen Parlamenten in Deutschland." Ein Satz für die nähere und die fernere Zukunft, weil niemand Schäuble, dem Dienstältesten im Bundestag, unterstellen kann, er habe das Thüringer Parlament einfach nur vergessen zu erwähnen.

Mit Schenkelklopfer-Garantie

Das wird aber lustig: Annegret Kramp-Karrenbauer redet, trotz ihres angekündigten Rückzugs als Bundesvorsitzende, beim Politischen Aschermittwoch der Südwest-CDU in der Fellbacher Kelter. Die Einladung steht seit längeren. Und daran wird sich, wie eine Parteisprecherin bestätigte, auch nichts ändern. Für die Schwarzen ist die unter Günther Oettinger etablierte Veranstaltung mit regelmäßig mehr als tausend AnhängerInnen, die aus dem ganzen Land mit Bussen kommen, der „größte Stammtisch“ Baden-Württembergs. Aufreger gab's auch schon. 2009 etwa, da präsentierten Oettinger und sein damaliger Generalseretär Thomas Strobl ein neues CDU-Liederbuch – das kurz danach wegen der Aufnahme von Nazi-Liedgut ("Westerwald") eingestampft werden musste. 2020 würde sich, angesichts der Stimmung in der Partei, eher eine Reminiszenz an die Vorgänger-Tradition anbieten: Schon Lothar Späth lud regelmäßig ebenfalls nach Faschingsende, allerdings zum "Katerfrühstück". (jhw)


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4 Kommentare verfügbar

  • era
    am 16.02.2020
    Antworten
    >> Die Kaufkraft der privaten Haushalte ließe sich mit einer Verringerung der Steuerlast ebenso erhöhen wie die Investitionskraft der Unternehmen."<<
    Wie kommt es, dass seit Jahrzehnten offensichtlicher Unsinn es geschafft hat zur etablierten Meinung zu werden? Fühlt sich an, als ob die Kirche…
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