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Verunsicherte Union

Problembär Merz

Verunsicherte Union: Problembär Merz
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Die CDU möchte an alte Bedeutung andocken: in Baden-Württemberg wieder auf Platz eins kommen und im Bund ins Kanzleramt. Lange her und weit weg? Wenn sie beides verstolpert, ist jedenfalls ein Hauptschuldiger schon ausgemacht.

Es hat sich einiges zusammengebraut über die Sommermonate. Speziell hier, im zweitgrößten Landesverband der Union. Früher war der mal eine wichtige Stütze im Bund, trat mit wichtigem Spitzenpersonal auf und lieferte an Wahltagen entscheidende Prozente, anno 2013 beinahe 46 Prozent. Das ist lange her und weit weg. Und ob der Generationswechsel von Thomas Strobl zu Manuel Hagel so geschmeidig und ohne neuerliche Zerreißproben funktioniert, wie viele erhoffen, ist weiterhin unsicher. Fest steht hingegen, dass die Erwartungen an den Bundesvorsitzenden bisher weitgehend unerfüllt geblieben sind.

Vor allem Umfragewerte haben die Anfangseuphorie erheblich gedämpft, die Merz bei seiner Rückkehr in politische Top-Positionen entfachen konnte, gerade unter Mittelständler:innen, gerade unter den nicht wenigen Merkel-Verächter:innen im Südwesten. Denn die Union hängt seit Monaten zwischen 26 und 29 Prozent fest, meilenweit entfernt von der guten alten schwarz-gelben Mehrheit. Eine Koalition mit den Grünen hat der CDU-Chef aber ausgeschlossen, weil die aus der Perspektive des einstigen Blackrock-Finanzmanagers immer nur "anordnen, regulieren und verbieten". Dabei gibt es in sechs der 16 Bundesländer gemeinsame Regierungen. Darunter auch in seinem eigenen Landesverband NRW, in dem es rumort ähnlich wie in Berlin, wo die beiden Parteien ebenfalls an einem Kabinettstisch sitzen und erfolgreich sein wollen.

Die Zeitung mit den ganz großen Buchstaben hat zudem vergangene Woche repräsentativ 1001 Menschen befragen lassen: nach den Präferenzen in der K-Frage und nach dem Sauerländer als Herausforderer des ziemlich unbeliebten Bundeskanzlers Olaf Scholz. Der Sozialdemokrat käme auf auch schon niederschmetternde 23 Prozent, Merz allerdings nur auf 15. Und im internen Unions-Ranking der potenziellen Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl in zwei Jahren liegt er nicht nur hinter Markus Söder (CSU) und Hendrik Wüst aus NRW, sondern mit mageren acht Prozent sogar noch hinter dem Linksausleger der Schwarzen, Daniel Günther (neun) aus Schleswig-Holstein.

Die Unruhe an der CDU-Basis wächst

Nackte Zahlen sind das, und doch viel mehr als eine launische Momentaufnahme. Das drängt sich jedenfalls auf nach vielen Gesprächen beim Stuttgarter Spätsommer-Fest der CDU-Landtagsfraktion vergangene Woche. Ein lauer Abend, Disco-Musik, Maultauschen, Wein natürlich aus beiden Landesteilen, 500 Gäste: Anhänger:innen, viele Verbandsvertreter:innen, Journalist:innen, Abgeordnete, aktive wie ausgeschiedene. Bemerkenswerterweise keine Grünen, nicht einmal Winfried Kretschmann. Dafür aber etliche Baden-Württemberger:innen im Ehrenamt, wie Fraktionschef Manuel Hagel schwärmt: "Wir wollten diejenigen in den Blick nehmen, die die Ärmel hochkrempeln, die anpacken und die schauen, dass in diesem Land etwas vorangeht."

Viele wollen aber noch etwas anderes, nämlich sich austauschen, wie es weitergehen könnte mit der CDU. "Die Stimmung droht zu kippen", berichtet ein Abgeordneter, der erst vor zweieinhalb Jahren in den Landtag eingezogen ist. Die Unruhe an der Basis wachse, sagt er, "wir müssen liefern da wie dort", immerhin sei in Land und im Bund jeweils die Hälfte der Legislaturperiode rum. Etwa in Sachen Grundsatzprogramm. Strobl, der Noch-Landesvorsitzende, nimmt für sich in Anspruch, den eingeschlafenen Prozess, die von vielen beklagte "Programm-Störung" unter der glücklosen Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, wieder zum Laufen gebracht zu haben. Das große Versprechen nach der verlorenen Bundestagswahl ("Wir werden die Partei erneuern") ist bisher aber unerfüllt. Eine Mitgliederbefragung hat stattgefunden, ebenso ein Grundsatz-Konvent. "Ratlos-CDU", kommentiert sogar das ZDF.

Diskutiert wird auf dem Fraktionsfest in Gruppen und Grüppchen aber auch über Merz' immer neue "Aufreger-Ansagen", so ein Kammer-Vertreter: vom bisherigen Tabu-Thema Steuererhöhungen für Spitzenverdiener:innen über seine schräge Ankündigung bei der Generaldebatte im Bundestag zum Haushalt '23, die Union werde keine Gesetze mehr verabschieden, durch die neue Bürokratie ausgelöst werde. Nicht zu vergessen die verunglückte Passage beim aufgeheizten Polit-Frühschoppen in Niederbayern, als der CDU-Chef punkten wollte mit dem Hinweis, Gillamoos sei Deutschland, nicht aber Kreuzberg. Merz sei schon vor fast 23 Jahren mit seinem Verlangen nach einer "deutschen Leitkultur" in den Landtagswahlkampf gegrätscht, erinnert sich ein früherer Abgeordneter. Tatsächlich hat Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) sein für damalige Verhältnisse nicht eben berauschendes Ergebnis von gut 44 Prozent auch mit dem "orkanartigen Gegenwind aus Berlin" erklärt und mit dem "Spaltpilz", den die Leitkultur-Debatte in die Partei getragen habe.

Ausrutscher oder Anbiederung an die AfD?

Gegenwärtig muss sich der vierte CDU-Bundesvorsitzende - seit 2018 sogar auf X, früher Twitter - zurechtweisen lassen. Im Bemühen, dem hessischen Parteifreund und Ministerpräsidenten Boris Rhein in dessen Landtagswahlkampf zu helfen, urteilte der bald 69-Jährige – angeblich durch das Bahnhofsviertel Frankfurt laufend –, die Ampel stehe nicht "für ein Modell, sondern einen Moloch". Und er prophezeit: "Wir werden uns das nicht länger anschauen, denn Dealer gehören in den Knast und nicht auf die Kaiserstraße." Die Reaktionen folgen auf dem Fuße. In Hessen regierten unionsgeführte Landesregierungen mit der Zuständigkeit für die Innere Sicherheit seit 1999, schreibt einer. Andere fragen sich, ob der "so erfahrene Politiker" seine Klöpse aus Versehen oder mit Absicht raushaue.

An einer Antwort versucht sich der "Spiegel" und kommt zu dem Schluss, die Ausrutscher à la Kreuzberg oder über "Sozialtourismus" seien schwere taktische Fehler, weil es sich um eine Anbiederung an die AfD handele. Ausweislich der Demoskopie funktioniere die aber überhaupt nicht im hohen Norden. Was in Baden-Württemberg, wie CDU-Parlamentarier berichten, "doppelt schwer" wiege, weil vor der eigenen Haustür auch noch nicht gekehrt ist.

So erfährt Gastgeber Hagel beim Spätsommerfest viel Zuspruch für die Ansage, er werde Kretschmann bei seinem Wort nehmen, dass er die gesamte Legislaturperiode als Regierungschef zur Verfügung stehen werde. "Zum grünen Machterhalt" noch vor Ende der Amtszeit einem grünen Nachfolger zur Mehrheit im Landtag zu verhelfen, das sei für ihn keine Option. Dass im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, die Grünen stellten den Ministerpräsidenten, ficht Hagel nicht (mehr) an. Von einem "überraschend starken Lebenszeichen der CDU" spricht daraufhin ein Verbandsvertreter und ortet als einen Adressaten der Botschaft Strobl selbst, "weil damit die Machtverhältnisse zwischen den beiden geklärt werden können". Werden können, aber noch nicht sind.

Hat Strobl noch eine Rechnung offen mit BW?

Der Innenminister hat erst vor wenigen Tagen öffentlich gemacht, dass es bei seiner Corona-Erkrankung im Frühjahr 2022 "um Leben und Tod" ging und wie er sich von seiner Frau verabschiedete ("Vielleicht komm' ich nicht wieder heim."). Er wandert derzeit in den vier Regierungsbezirken. Die Sommertour biete "nicht nur wunderbare Ausblicke in die Natur, sondern vor allem die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen", heißt es auf der Homepage des Landesverbands. In diesen bewegten politischen Zeiten brauche es "Begegnung und Dialog". Politische Weggefährt:innen sind ohnehin sicher, dass der Innenminister und frühere Merkel-Vize noch einmal wenigstens abklopfen will, ob er nicht doch Chancen hätte auf eine Wiederwahl beim Landesparteitag am 18. November. Er habe noch eine Rechnung offen mit Baden-Württemberg, heißt es sogar in seiner Heimatstadt Heilbronn.

Der 63-Jährige ist zwar seit inzwischen fast zwei Jahrzehnten Teil der Führungsspitze der Südwest-CDU – ab 2005 als Generalsekretär, ab 2011 als Landeschef –, er war aber noch nie Spitzenkandidat. 2015 unterlag er im Mitgliederentscheid Guido Wolf, 2021 ließ er nolens volens Susanne Eisenmann den Vortritt. Zumindest könnte er sich eine Bedenkzeit um ein weiteres Jahr insofern erkämpfen, als er doch antritt in Reutlingen und erst – außerhalb des üblichen Turnus – im Herbst 2024 den Chefsessel räumt. Kretschmann könnte dem jedenfalls einiges abgewinnen, denn er lässt intern schon mal fallen, dass er gerne mit Strobl weitermachen würde. Und zur Entspannung trägt auch nicht eben bei, dass er auf seiner Pressekonferenz nach der Sommerpause öffentlich macht, mit seinem Stellvertreter über die aktuelle Lage rund um eine mögliche Nachfolge gesprochen zu haben. Von einem Gespräch mit Hagel war keine Rede. 

Unter Landtagsabgeordneten wird deshalb nicht nur an diesem lauen Spätsommerabend hin- und hergewälzt, ob und wie der Landesvorsitzende zum Rückzug gebracht werden kann. Zum Beispiel mit der Drohung, er könnte auf dem Parteitag im Falle seines alleinigen Antretens gerade mal knapp mehr als 50 Prozent bekommen – nach 67 vor zwei Jahren – und solch ein Ergebnis niemals annehmen. Dem Fraktionschef wiederum könnte die Doppelrolle als neuer Landesvorsitzender, als junger starker Mann der Südwest-CDU, zu mehr Aufmerksamkeit und Bekanntheit verhelfen. Nicht nur die neuen, Manuel Hagel eng verbundenen Abgeordneten drängen auf die schnelle Stabübergabe.

Erst recht nach dem jüngsten Baden-Württemberg-Check der Regionalzeitungen Anfang August. Das Allensbacher Institut für Demoskopie hatte erhoben, dass zwar auch nur 23 Prozent der repräsentativ Befragten den grünen Bundeslandeswirtschaftsminister Cem Özdemir am liebsten als nächsten Regierungschef und Kretschmann-Nachfolger sähen. Aber "Manu", wie Fans ihn nennen, kommt – noch hinter Strobl – überhaupt nur auf drei Prozent. Ernsthafte Chancen auf das Amt des Ministerpräsidenten habe Hagel in zweieinhalb Jahren also nur, meint eine Abgeordnete, "wenn er sich schnell ausreichend bekannt macht". Und dazu müsse er schnell Landesvorsitzender werden. "Wenn wir es gut machen, dann ist die Opposition von heute die Regierung von morgen", zitiert einer Friedrich Merz nach dessen Antritt als CDU-Chef. Damals habe die Betonung auf "wir" und "die Regierung von morgen" gelegen, heute dagegen liege sie eindeutig auf dem Wörtchen "wenn".


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3 Kommentare verfügbar

  • chr/christiane
    am 17.09.2023
    Antworten
    "Sozialtourismus"

    Im Linken Thüringen--Ilm-Kreis-wird laut MDR aktuell gegen ca. 150 Ukrainer wegen "erschlichener Leistungen" ermittelt.

    Es war aufgefallen, dass Ukrainer immer wieder für einige Tage in andere EU-Länder "verreist" waren und dann wieder zurück kamen. Dann hat man festgestellt,…
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