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CDU und Asylrecht

Spiel mit dem Feuer

CDU und Asylrecht: Spiel mit dem Feuer
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2018 hatte sich die CDU selbst verordnet, "ihre Werte in einem modernen Grundsatzprogramm in die neue Zeit zu übersetzen". Mittlerweile wird klar, wie dies real durchbuchstabiert werden soll: Die Parteispitze blinkt nach rechts und will selbst mit heikelsten Themen klare Kante zeigen.

"Nach rechts, marsch, marsch", kommentierte Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung". Das war vor drei Jahrzehnten, als sich in Deutschland eine überparteiliche Einigung für eine radikale Verengung des Grundrechts auf Asyl abzeichnete. Im Mai 1993 stimmte der Bundestag mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD tatsächlich für den neuen Artikel 16: Wer aus einem "sicheren Drittstaat" einreiste, sollte den Anspruch auf Asyl verwirkt haben – de facto also sollte Deutschland, weil nur von solchen umgeben, frei werden von Bewerber:innen. Nur ein Jahr danach runderneuerte die CDU zum ersten Mal ihr Grundsatzprogramm. "Wir bekennen uns zum verfassungsmäßig garantierten Recht auf Asyl für politisch Verfolgte; der Missbrauch dieses Rechts muss aber verhindert werden", steht da auf geduldigem Papier zu lesen. Sogar eine Binse war der Erwähnung wert: "Deutschland und die Europäische Union können aber nicht allen Zuwanderungswilligen eine Heimat geben." 2007 wiederum fand ins dritte Grundsatzprogramm das Versprechen Eingang, dass "die Bundesrepublik zahlreichen Menschen aus humanitären Gründen Zuflucht gewährt, wie es der aus unserem christlich geprägten Menschenbild entspringenden Verantwortung entspricht".

Jetzt stehen bei der Union "der große Grundsatzprogramm-Konvent 2023" vor der Tür und die Zeichen auf Polarisierung. Baden-Württembergs CDU-Landeschef Thomas Strobl war schon vor inzwischen fast fünf Jahren dafür, "inhaltlich zuzulegen". Die damalige Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nahm die Forderung auf, zur Verabschiedung kam es allerdings nicht mehr. Es verlangt keine Phantasie, sich vorzustellen, dass ein Programm 2019 anders ausgesehen hätte als der jetzt gemeinsam mit der Parteibasis erarbeitete Entwurf. Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage unter den Mitgliedern wurden präsentiert: Jeweils rund achtzig Prozent übersetzen das C im Parteinamen mit "Freiheit", mit "die Würde des Menschen schützen" und mit "Respekt, Anstand und Fairness". Nur 35 Prozent halten für "sehr wichtig", dass sich die Politik "an christlichen Werten und Überzeugungen" orientiert.

Einen Shitstorm von der Basis braucht also nicht zu befürchten, wer in ausländerpolitischen Fragen zündeln will. Etwa der Heilbronner Bundes- und frühere Landtagsabgeordnete Alexander Throm, wenn er seinen auf den Solarplexus des C zielenden Instrumentenkasten auspackt und Ideen recycelt, die er schon 2019 nicht durchsetzen konnte. Dazu zählen verschärfte Regeln bei der Rückführung abgelehnter Asylsuchender unter Einschluss von Ausreisegewahrsam von bis zu 28 statt bisher zehn Tagen, weniger Entwicklungshilfe für Herkunftsländer, die ihre Staatsangehörigen nicht zurücknehmen, Binnengrenzkontrollen innerhalb der EU und eine Dienstpflicht für anerkannte Asylbewerber:innen.

"Das Boot ist voll" reloaded

Zu gern möchte Throm Integrationskurse erweitert sehen, beispielsweise um einen Dienst bei kommunalen Einrichtungen oder Wohlfahrtsverbänden, bei Naturschutzmaßnahmen oder Aufforstung im Wald. Bis zu acht Stunden am Tag könnten sich die Asylsuchenden da nützlich machen und einen ganzen Euro kassieren pro Stunde. Throm verspricht sich davon "ein positives Signal nach innen, an unsere Bevölkerung". Die "Das Boot-ist-voll"-Rhetorik der ersten großen Asyldebatte Anfang der 1990er wandelt der 54-Jährige, der 2001 mit Thomas Strobl eine Rechtanwaltskanzlei gegründet hat, nur marginal ab. Aus dem Boot wurde der Schwamm, und wie ein solcher sei die Bundesrepublik geradezu "vollgesogen". Auch andere Formulierung sollen eskalieren, etwa wenn er erzählt, "nahezu jeden Tag bei mir im Wahlkreis und anderswo" die Wut an der Basis über die Lage in den Städten und Gemeinden zu erleben. An die finsteren Monate von 2015 und 2016 mit ihren gerade von Unionspolitiker:innen gezeichneten Schreckensszenarien hinsichtlich legaler und illegaler Zuwanderung erinnert dabei, wenn von Throm für das laufende Jahr "mindestens 300.000" Asylbewerber:innen prognostiziert werden. Bisher sind es nach den neuesten Zahlen in den ersten fünf Monaten 110.000.

Dabei gibt der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion mit solchen Scharfmachereien noch nicht einmal den Ton vor. Denn noch rigoroser positioniert sich Carsten Linnemann, seines Zeichens stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender und Vorsitzender der Grundsatzkommission, zum Beispiel dieser Tage im beschaulichen Salzkammergut. Die österreichische Schwesterpartei ÖVP, die sehr viel davon versteht, mit rechten Positionen die noch Rechteren, namentlich die FPÖ, stark zu machen, hatte Linnemann zur Konferenz sämtlicher Abgeordneter aus Ländern, Bund und Europa an den Wolfgangsee geladen. Und der als Vordenker angekündigte "Keynote-Speaker" ließ sich nicht lumpen: Linnemann sah nicht nur voraus, dass es in Europa binnen fünf Jahren Konsens sein werde, nur noch Flüchtlinge "hineinzulassen, die einen positiven Asylbescheid haben", sondern er brachte sogar eine abermalige Verfassungsänderung ins Spiel.

Der 1977 geborene Ostwestfale mit dem griffigen Motto "Values are our mission" ist schon seit Mitte der neunziger Jahre in der Jungen Union aktiv. Also kann nicht spurlos an ihm vorübergegangen sein, wie die Debatte über Grundrechte die deutsche Gesellschaft spaltete, wie Unterkünfte brannten und extreme Rechte immer neuen Zulauf erhielten, auch und gerade weil die Union die mit dem sogenannten Asylkompromiss verbundenen Versprechen nicht halten konnte. Denn natürlich kamen weiterhin Flüchtlinge nach Deutschland, natürlich hätte gerade die Partei, die immer auf ihr C im Namen pocht, die Pflicht, für eine ganz andere Stimmung im Land zu sorgen. Heute wieder und erst recht. Stattdessen lamentierte Linnemann, der CDU werde "vom politischen Gegner" ein Rechtsruck vorgeworfen. Und wie "perfide" es sei, "rechts mit rechtsradikal gleichzusetzen".

Rechts blinken mit Merz' Segen

Selbstverständlich hat Linnemann den Segen von Friedrich Merz. In Pforzheim, auf der ersten der vier Regionalkonferenzen im "Mitgliedermärz", hörte der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz AfD-Sprüche aus dem Munde von Parteifreund:innen sogar im O-Ton, ohne mit der Wimper zu zucken. Vor allem vom ebenfalls angereisten Mario Voigt, dem Landtagsfraktionschef aus Thüringen, der mit seiner Standard-Behauptung punkten wollte, viele Menschen fragten sich: "Darf man in Deutschland noch sagen, was man denkt?" Inzwischen regelmäßig rechts blinkt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Er fordert, dass Asylanträge künftig an den EU-Außengrenzen gestellt werden müssten. Wenn nötig, solle dafür das Grundgesetz geändert werden. In gut einem Jahr wird in Sachsen gewählt. Noch ist nach den jüngsten Umfragen eine Koalition aus CDU (25 Prozent), SPD (zwölf) und den Grünen (neun) im Bereich des Möglichen, im anhaltenden Höhenflug allerdings die AfD mit 28 Prozent auf Platz eins.

EU: Verirrt im Wettstreit der Unwürdigkeit

Seit Jahren wird in der EU über ein neues Migrationsrecht gerungen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Trennlinien immerhin insofern verschoben, als auch bisher besonders hartherzige Regierungen wie jene in Polen zur großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Nachbarland bereit waren. Asylbewerber:innen allerdings hilft das wenig. Vielmehr wird die angeblich sinkende Aufnahmebereitschaft vielerorts gerade mit dem Zuzug aus der Ukraine erklärt. Das EU-Parlament hofft auf einen Kompromiss rechtzeitig vor Beginn des Europawahlkampfs im kommenden Jahr und verlangt eine Registrierung illegal einreisender Menschen an den Außengrenzen der Union. Wobei das Wörtchen "an" große Bedeutung bekommen hat, weil die einen – viele Rechte und Rechtsnationale – unter "an" eigentlich "außerhalb" verstehen, während eine Parlamentsmehrheit jede Form von Zurückdrängen, also von rechtswidrigen Pushbacks zur Abschreckung, ablehnt.

Pläne zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) liegen bereits seit 2020 vor. Danach könnten Flüchtlinge als "nicht-eingereist" eingestuft werden, während ihr Asylantrag geprüft wird. Hilfsorganisationen laufen Sturm, weil Schutzsuchende – wie die Organisation Pro Asyl kritisiert – sogar in Länder abgeschoben werden könnten, in denen sie noch nie gewesen seien und in denen sie auch keinen Zugang zum Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekämen. Am vergangenen Wochenende haben sich Künstler:innen in einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewandt, weil sich "die Migrationspolitik in einem Wettstreit der Unwürdigkeit verirrt". Im Koalitionsvertrag, heißt es weiter, hätten sich SPD, Grüne und FDP vorgenommen, das Leid und illegale Zurückweisungen an den Außengrenzen der EU zu beenden. Doch statt Maßnahmen oder Kritik an "systematischen Rechtsbrüchen und Misshandlungen von Schutzsuchenden an den Grenzen, nehmen wir nur Rufe nach Zäunen und Haftlagern wahr". Konkreter Anlass ist das Treffen der EU-Außenminister:innen und die Tatsache, dass SPD-Innenministerin Nancy Faeser bereits deutsches Entgegenkommen signalisiert hat. Die Grünen pochen aber unter anderem darauf, dass Minderjährige unter 18 und Familien mit Kindern die neuen Verfahren auf keinen Fall durchlaufen müssen und – wie schon seit Jahren – auf ein "geordnetes, humanes Verteilungsverfahren".  (jhw)

Eines seiner besonders vollmundigen Versprechen, gegeben bei Amtsantritt Ende Januar 2021, hat Merz ohnehin längst gebrochen: die AfD, die damals in den Umfragen stabil bei zehn Prozent lag, zu halbieren. Vergangene Woche bei der Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen kam die Rechtsaußenpartei auf 18 Prozent und zog mit der SPD gleich. Im alten Merkel-Lager der CDU wird diskutiert, ob und wann es richtig sein könnte, offensiv die Mitverantwortung der Union für den Höhenflug der AfD zu thematisieren. Schmerzlich fehlten Heiner Geißler oder Norbert Blüm "mit ihrem Gewissen, mit ihrer Beliebtheit und als Brandmauer gegen rechts", sagt einer. Gerade die Schwarzen im Südwesten wissen, was passiert, wenn die Brandmauer nicht steht. 1992, im hitzigen Landtagswahlkampf und dem Versuch, vor allem die Sozialdemokratie vor sich herzutreiben mit dem Megathema Asyl-Grundrechtsänderung, ging die absolute Mehrheit der CDU in Baden-Württemberg für immer verloren, die rechten "Republikaner" zogen in den Landtag ein, so dass das Wahlergebnis ausgerechnet eine Große Koalition erzwang.

"Es gab über Jahre hinweg auf politischer Ebene eine Hetze gegen Asylsuchende, gegen Flüchtlinge, gekoppelt mit einem Hass auf der Straße, der sich bis zu Brandanschlägen mit Toten steigerte", erinnert sich Günter Burkhardt, Gründungsmitglied der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, zum 30. Jahrestag der ersten Änderung des Artikels 16. Und Merz jammert in seiner 152. "#merzmail", dass bis zu 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Deutschland sich grundsätzlich vorstellen können, ihr Kreuz bei der AfD zu machen. Neuerdings hat er einen speziellen Grund dafür ausgemacht: "Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur AfD." Die gibt es weder im Öffentlich-Rechtlichen noch bei den großen Privaten. Ein zweites Motiv darf da nicht fehlen: "Im Lebensalltag der Städte und Dörfer dagegen ist die Flüchtlingskrise wieder präsent, verbunden mit dem unguten Gefühl, für Flüchtlinge sei immer genug Geld vorhanden, für Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser dagegen immer weniger." Und genau diesem Gefühl will die CDU nichts entgegensetzen, sondern surfen auf der gefährlichen Welle. Ungeachtet der damit verbundenen Gefahren für die Demokratie, aber auch für die eigene Strategie. Gegenwärtig sinken die eigenen Umfragezahlen jedenfalls. Und die der AfD steigen.


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1 Kommentar verfügbar

  • chr/christiane
    am 09.06.2023
    Antworten
    Frau Faeser spricht von einem "historischen Ergebnis".
    Anträge an der EU-Außengrenze--und wer keine Flüchtlinge aufnehmen will--zahlt.

    Das hätte ich noch nicht einmal Herrn Seehofer zugetraut.

    Und sollte Deutschland keine Flüchtlinge mehr aufnehmen können--weil wir das nicht mehr schaffen und…
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