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Taskforce Bürgerbüros in Stuttgart

Wochenlang kein Termin

Taskforce Bürgerbüros in Stuttgart: Wochenlang kein Termin
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Seit Monaten sind die Stuttgarter Bürgerbüros überlastet. Um schnelle Abhilfe zu schaffen, rief Oberbürgermeister Frank Nopper im vergangenen Jahr eine "Taskforce" ins Leben. Aber kurz vor Beginn der Feriensaison hat diese das Hauptproblem noch nicht gelöst.

Karl Meier kann es kaum abwarten bis zu seinem Sommerurlaub. Als Maschinenbauer bei einem großen Automobilhersteller in Stuttgart hat er einen stressigen Job. Seinen richtigen Namen will Meier nicht in der Zeitung lesen, dafür will er dringend eine Auszeit. Nur er, seine Frau und die zwei Kinder, zwei und fünf Jahre alt, die jetzt endlich groß genug sind, um mit ihnen längere Reisen zu planen. Der 47-Jährige will nach Italien, vielleicht Kroatien. Hauptsache in die Sonne, an den Strand, "um mit den Kleinen mal im Sand spielen zu können, die kennen sonst ja nur den Stuttgarter Kessel". Im Juni soll es losgehen.

Doch bevor es in Richtung Süden geht, will Meier noch neue Reisepässe für die Kinder beantragen. Kurz vor Weihnachten 2022 hat er für sich selbst einen neuen Pass im Bürgerbüro Mitte organisiert. Gemeinsam mit seiner Familie lebt er in Stuttgart-Ost, dieses Mal will er dort ins Bürgerbüro. 2022 hat er mit zwei Wochen Vorlauf einen Termin bekommen, warum sollte es jetzt anders sein?

"Es hieß dann: Wartezeit bis Ende Juni, früher 'sei nichts zu machen'", erzählt Karl Meier. Ärgerlich, doch vielleicht gibt es ja in einem anderen Büro noch einen freien Termin. Auf der Website der Stadt Stuttgart schaut er nach Alternativen. "Ich habe dann bei jedem einzelnen Bürgerbüro in Stuttgart geguckt, überall dasselbe. Nirgends kriegt man einen Termin", sagt er. Ohne Termin keine Pässe, also kein Urlaub.

"Situation einer Landeshauptstadt nicht würdig"

Dass die Bürgerbüros in Stuttgart überlastet sind, ist kein neues Phänomen. Im Juni 2022 berichtete Kontext über die katastrophalen Zustände vor dem Bürgerbüro Mitte und der Ausländerbehörde in der Eberhardstraße. Menschen, die in ewig langen Schlangen in der prallen Sommersonne anstehen mussten, verärgerte Kund:innen, erschöpfte Mitarbeiter:innen. 2021 mussten die Stuttgarter Bürgerbüros allein wegen Personalmangels 149 Mal schließen. Auch wenn einer Befragung von 2018 zufolge in ganz Deutschland mehr als 49 Prozent der Menschen länger als zwei Stunden in Warteschlangen vor Ämtern stehen, ist die Situation in Stuttgart besonders dramatisch und für Landtagspräsidentin Muhterem Aras "einer Landeshauptstadt nicht würdig".

Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) machte die Situation dann eigenhändig zur "Chefsache" und rief – auch auf Druck des Gemeinderates hin – im August letzten Jahres ein Komitee ins Leben, das die Probleme ein für alle Mal lösen sollte: Die "Taskforce Bürgerbüro und Ausländerbehörde". Durch sie plant die Stadt, "die Leistungsfähigkeit der städtischen Bürgerbüros zu erhöhen und den Service für Bürgerinnen und Bürger zu verbessern". Wie eine schnelle Einsatztruppe sollte die Taskforce "alles, was kurzfristig optimierbar ist", umgehend umsetzen. Mit Fabian Mayer übernahm Noppers erster Bürgermeister und Parteikollege die Leitung, der OB versprach ein baldiges Ende der Misere.

Hauptproblem bleibt: fehlendes Personal

"Es sind nun neun Monate vergangen und ich frage mich, ob das Ganze nicht noch schlimmer geworden ist anstelle der versprochenen Besserung", sagt Karl Meier. "Es herrschen untragbare Zustände, über die ich richtig erschrecke. Die Stadt kommt hier ihrer eigenen Pflicht nicht nach. Wie kann das sein?"

"Das Hauptproblem ist immer noch das fehlende Personal", erklärt Petra Rühle, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Gemeinderat. Als sozialpolitische Sprecherin sitzt sie in der Taskforce. "Die Personalsituation führt einfach zu Überlastung der Mitarbeiter:innen, das führt zu Krankheit, und die wiederum führt zu Ausfällen", fasst die Grüne zusammen.

Auf Kontext-Anfrage betont Stadtsprecher Oliver Hillinger zwar, dass "seit August 2022 17,93 Stellen besetzt werden" konnten, zugleich sind aber nach wie vor 40 von insgesamt 170 Stellen in den Stuttgarter Bürgerbüros unbesetzt. Zudem gebe es viele Krankheitsfälle, so eine Sachbearbeiterin des Ordnungsamts. Die Folge: Die Büros sind ausgebucht, viele Anträge werden nicht bearbeitet, die Bürgerbüros in Plieningen, Degerloch, Feuerbach und Nord haben gleich komplett geschlossen.

Erstmals Austausch zwischen Abteilungen

Dabei habe die Nopper'sche Taskforce bereits einige Verbesserungen auf den Weg gebracht, sagt Petra Rühle. Erst durch die Taskforce seien unterschiedliche Verwaltungsbereiche erstmalig in Kontakt miteinander getreten, um sich auf gemeinsame Maßnahmen zu einigen, berichtet die Stadträtin. Warum der Austausch unter den Abteilungen jetzt erst zustande kommt, kann auch sie nicht erklären.

Um mehr Personal zu gewinnen, hat die Stadt unzählige Stellen ausgeschrieben, die mit unbefristeten Verträgen locken. Zudem wurde ein "Einarbeitungsbüro" eingerichtet, in dem neue Mitarbeiter:innen im laufenden Betrieb ihre Aufgaben lernen sollen. Bisher arbeiten hier inklusive Leitung stolze vier Mitarbeiter:innen.

Um Krankheitsfälle auszugleichen, wurde ein Springer-Pool aus Mitarbeiter:innen des Gesundheitsamts eingerichtet. Und um die Arbeit insgesamt attraktiver zu machen, wurde nicht nur die technische Ausstattung verbessert – für Beratungsgespräche gab es bisher keine passenden Headsets am Arbeitsplatz –, sondern auch die finanzielle: Seit letztem Sommer erhalten Mitarbeiter:innen der Bürgerbüros eine monatliche Zulage zwischen 100 und 300 Euro. Dafür wirbt die Stadt sogar mit einer eigenen Marketingkampagne. Der passende Titel: Ordnungsliebe.

Auch in Sachen Digitalisierung habe die Taskforce schon einiges umsetzen können, sagt Rühle. Gekoppelt mit der Einführung der Online-Terminvergabe und einer Online-Wartenummer soll eine "Echtzeitampel", die die Wartezeiten der jeweiligen Bürgerbüros live darstellt, für mehr Orientierung sorgen und "die Besucherstromsteuerung bestmöglich optimieren", wie es Stadtsprecher Hillinger auf Kontext-Anfrage formuliert. Auf die Echtzeitampel scheint die Stadtverwaltung besonders stolz zu sein, die Rückmeldungen darauf seien "durchweg positiv", so Hillinger.

Offenbar hilfreich: E-Mail an OB Nopper

"Das sind ja alles schöne Ideen", sagt dagegen Karl Meier, "doch wenn dann trotzdem alle Ampeln auf 'rot' stehen, bringt das wenig". Das Grundproblem sei damit ja immer noch nicht behoben, klagt der frustrierte Familienvater. Es fehlen nach wie vor Mitarbeiter:innen, um den Verwaltungsknoten zu lösen.

Um seinen Ärger Luft zu machen, hat Meier eine E-Mail geschrieben, adressiert direkt an denjenigen, der die katastrophale Situation in den Ämtern zur "Chefsache" erklärte: OB Nopper. Und siehe da, keine zwei Tage später erhält er eine Antwort. Allerdings nicht direkt vom OB, sondern von einer Sachbearbeiterin aus dem Ordnungsamt, an die die Mail weitergeleitet wurde. Man bedauere seine Situation sehr und wisse um die Probleme. Aber immerhin habe man ein Trostpflaster für ihn: Ein scheinbar kurzfristig abgesagter Termin im Bürgerbüro Mitte wurde frei, den würde man dem urlaubsreifen Maschinenbauer gerne anbieten. Ist die Lösung für Unterbesetzung, geschlossene Türen und lange Wartezeiten also gefunden: einfach wütende Mails an den OB schicken?

Natürlich nicht, sagt Johanna Tiarks. Es könne nicht sein, dass sich Bürger:innen erst an den Bürgermeister wenden müssen, um einen Termin organisiert zu bekommen, so die Stadträtin der Linken, die für die Fraktionsgemeinschaft "Die FrAktion" im Stuttgarter Gemeinderat sitzt. Und Tiarks ist genervt: "Man hat diese Situation jahrelang ignoriert, wissentlich wie eine Bugwelle vor sich hergeschoben. Und jetzt ist die Katastrophe voll da!" Auf der Ausländerbehörde sei die Situation noch schlimmer, berichtet sie. Nicht nur, weil es eben nur ein einziges Büro gebe, sondern auch, weil hier viele Verbesserungen, die die Taskforce für die Bürgerbüros anstrebt, nicht umgesetzt werden. Für Tiarks eine unerträgliche Situation, denn "schließlich ist es das eine, ob jemand nicht in den Urlaub fahren kann, aber das andere, wenn man wegen einer überlasteten Behörde keine Aufenthaltsgenehmigung erhält oder sogar abgeschoben wird". Im Raum Stuttgart haben 44 Prozent aller Bürger:innen eine Migrationsgeschichte, "da kann das einfach nicht als 'Minderheitenproblem' behandelt werden", so die Stadträtin.

Hinzu kommen Dinge, die im Jahr 2023 einfach nicht nachvollziehbar seien. "Bis vor Kurzem waren die E-Mail-Postfächer der Mitarbeiter:innen in den Büros begrenzt", sagt Tiarks. "Wenn das Postfach voll war, konnten keine Mails mehr empfangen werden. Heißt: Wenn jemand mit einem dringenden Anliegen sich an die Behörde wenden musste, wurde sein Fall im Zweifel nie bearbeitet!" Auch wenn solche Probleme von der Taskforce bereits verbessert wurden, ist für die Stadträtinnen Rühle und Tiarks klar, dass es vor allem mehr Personal braucht. Das zu finden, gestaltet sich aber nach wie vor schwierig. Zu schlecht sei der Ruf der Ämter, wie ein Blick auf das Bewertungsportal "kununu" zeigt.

Es geht auch anders, beweisen mehrere Städte

Während man in Stuttgart gerne mal sechs Wochen für einen Antrag wartet, beweisen andere Städte, dass es auch anders geht. In Nürnberg, Dortmund und Duisburg erhält man selbst kurzfristig einen Termin. In Düsseldorf experimentieren die Bürgerbüros mit einer Art Abholautomat, ähnlich den DHL-Automaten für Pakete, damit sich Bürger:innen nicht mehr stundenlang anstellen müssen. Aber es geht auch noch langsamer: In Hannover müssen Bürger:innen momentan bis zum 17. August warten, um einen Personalausweis zu beantragen.

Was noch getan werden könne, dazu fällt Grünen-Stadträtin Rühle nicht mehr viel ein. Lohnanhebungen? Durch die Tarifstruktur des öffentlichen Dienstes verdienen Mitarbeiter:innen in der Entgeltgruppe E8 je nach Erfahrung und Beschäftigungsdauer zwischen 2.900 und 3.600 Euro, Lohnanhebungen seien nicht ohne Weiteres möglich.

Dank des exklusiven Termins konnte Karl Meier mittlerweile neue Reisepässe für seine Kinder beantragen. Bei zwei bis drei Wochen Bearbeitungszeit sollte dem Sommerurlaub nichts mehr im Weg stehen. Vorausgesetzt, die Taskforce findet genügend neue Mitarbeiter:innen. Und wenn nicht, dann weiß Meier jetzt, an wen er sich wenden kann.


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