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Gewerbe-Immobilien bleiben leer

Viele Büros, wenig Wohnungen

Gewerbe-Immobilien bleiben leer: Viele Büros, wenig Wohnungen
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Immer mehr Arbeitsplätze in Büros bleiben leer, trotzdem werden weiter große Bürokomplexe gebaut. Während Expert:innen vor drohendem Leerstand warnen, wollen baden-württembergische Großstädte ihre Gewerbeflächen weiter ausbauen. Die Wohnungsknappheit wird damit noch verschärft.

Die Deutsche Telekom will ihre Büroflächen um 50 Prozent reduzieren, die Deutsche Bank um 40 Prozent. Fast zwei Drittel der Bankbeschäftigten hätten sich für das vor drei Jahren eingeführte hybride Arbeitsmodell mit drei Tagen Homeoffice entschieden, begründete die Bank ihren Schritt. Nicht nur bei den großen Dienstleistungskonzernen verwaisen immer mehr Büroarbeitsplätze. Laut einer aktuellen ifo-Umfrage hat sich der Anteil der ungenutzten Arbeitsplätze in Büros seit 2019 verdreifacht. Demnach ist mindestens jeder achte Schreibtisch in deutschen Büros ungenutzt. Besonders viele leere Büros fänden sich in den Branchen Informationstechnik, Werbung und Marktforschung, Unternehmensberatung sowie in der Pharmaindustrie. Im Baugewerbe und im Handel würden dagegen fast alle Arbeitsplätze in Anspruch genommen.

"Etwa ein Viertel der Beschäftigten arbeitet regelmäßig im Homeoffice", sagt der ifo-Experte Simon Krause. Viele Unternehmen würden ihre Flächen verringern, um Kosten für die nicht genutzten Büros einzusparen. Bis zu 80 Millionen Quadratmeter Bürofläche würden nicht mehr gebraucht, sagte der Immobilienberater Sven Wingerter gegenüber dem Spiegel. "Versteckter Leerstand ist in den Städten schon jetzt ein riesiges Thema." Obwohl große Teile der Büroflächen nicht genutzt seien, kämen die Unternehmen nicht aus den bestehenden Mietverträgen raus, stellt Wingerter fest.

In neuen Bürokomplexen steht viel leer

Trotzdem werden in den Großstädten weiter Büroimmobilien gebaut. Alleine im vergangenen Jahr wurden in Baden-Württemberg über 3.000 Nichtwohngebäude mit insgesamt 4,3 Millionen Quadratmetern Nutzfläche genehmigt. Davon sollen in den großen Städten Freiburg, Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart knapp 400.000 Quadratmeter entstehen. Das entspreche bei der statistischen Durchschnittsgröße von 97 Quadratmetern 44.329 neuen Wohnungen. Tatsächlich wurden 2022 im Südwesten 3.631 Wohnungen zum Bau freigegeben.

Viele der Baugenehmigungen für Bürogebäude wurden bereits vor den großen Einschnitten im Zuge der Corona-Pandemie geplant. Mit fast 8.000 Nicht-Wohngebäuden, die genehmigt, aber noch nicht fertiggestellt sind, zählte Baden-Württemberg zuletzt einen großen Bauüberhang. Damit warten in den kommenden Monaten noch einmal doppelt so viele gewerbliche Flächen auf neue Mieter:innen als im vergangenen Jahr insgesamt neu genehmigt wurden.

Die schleppende Nachfrage nach Büroräumen ist schon jetzt bei großen Neubauten erkennbar. Auf dem ehemaligen Güterbahnhofgelände am Stuttgarter Neckarpark steht die Dibag Industriebau kurz vor dem Abschluss der Bauarbeiten für einen neuen Bürokomplex. Von den insgesamt 20.000 Quadratmetern konnte sie zuletzt aber nur 600 als vermietet vermelden. In Karlsruhe werden rund um den Hauptbahnhof mehrere neue Bürogebäude gebaut. Im kürzlich eröffneten Bürotel am Wasserturm steht noch die Hälfte der Büroflächen leer. Das gleiche gilt für den noch im Bau befindlichen Büro- und Hotelkomplex KADrei einige hundert Meter entfernt. Der zuständige Bauentwickler Florian Küntzle bezeichnet dies schon als Ergebnis einer "sehr gut laufenden Vermarktung". Krause vom ifo-Institut sorgt sich durch die Flächenreduktion der Unternehmen um Folgen für den Immobilienmarkt, der wegen gestiegener Zinsen und Baukosten ohnehin unter Druck stehe.

Gewerbeflächen bringen weniger Geld

In den baden-württembergischen Großstädten gehen die Verwaltungen allerdings weiter von einer steigenden Nachfrage nach Büroflächen aus. "Der Bedarf an Büroräumen wird mit einem steigenden Angebot an Arbeitsplätzen auch weiter zunehmen", heißt es auf Nachfrage von der Stadt Freiburg. Dabei beruft sie sich unter anderem auf ein Gewerbeflächenentwicklungskonzept, das aber bereits 2019 erstellt wurde. Auch in Karlsruhe sieht die Stadtverwaltung den aus ihrer Sicht steigenden Flächenbedarf durch ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigt. Dies bezieht zwar die Auswirkungen der Corona-Pandemie ein, geht jedoch davon aus, dass nur etwa sechs Prozent der Unternehmen ihre Büroflächen reduzieren. Zwar sei bei "Neu- und Umzugsplänen von Unternehmen mit Flächenreduzierungen zu rechnen", geht die Stadtverwaltung doch von größeren Einschnitten aus. Sie hofft aber, dass die Unternehmen die überflüssigen Büroplätze in Gemeinschaftsflächen "für interaktives Arbeiten oder zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität" umwandeln.

Das ifo-Institut ist da skeptischer und sorgt sich angesichts der Entwicklung um die ohnehin schon teils von Leerstand im Einzelhandel gebeutelten Innenstädte. Die Stadtzentren seien besonders vom Rückgang der Büronutzung betroffen, sagt Krause. "Dort gibt es überdurchschnittlich viele Büros, und die Geschäfte dort leiden wegen Homeoffice zudem unter niedrigeren Einzelhandelsumsätzen." In Stuttgart erreichte der Leerstand bei den Büroimmobilien mit 364.000 Quadratmetern einen zuletzt vor zehn Jahren erreichten neuen Höchststand. Unter dem kryptischen Motto "Die Anforderungen steigen – die Chancen auch", hofft die Stadtverwaltung in ihrem jüngsten Büromarktbericht mit dem Abflachen der Inflation auf eine Erholung des Marktes im Jahr 2024.

Wie schwierig die Vermarktung von Büroimmobilien derzeit ist, zeigt ein Blick auf den Kapitalmarkt. Der Umfang neuer Darlehen für Gewerbeimmobilien ist im 1. Quartal dieses Jahrs im Vergleich zu den beiden Vorjahren um fast die Hälfte zurückgegangen. Dies zeigen Zahlen des Verbands der Pfandbriefbanken (vdp). Zwar seien die Mietpreise gestiegen, der Kapitalwert für Büroimmobilien aber um fast acht Prozent zurückgegangen. Aufgrund der Unsicherheiten erwartetet der vdp-Geschäftsführer Jens Tolckmitt weitere Zurückhaltung bei der Investition in Immobilien. "Die Renditeanforderungen an Immobilieninvestitionen sind gestiegen, da andere Asset-Klassen wie Anleihen an relativer Attraktivität gewonnen haben."

Büros zu Wohnungen: In Calgary geht das

Auch in der Immobilienbranche wächst die Unsicherheit. "Bei Büroimmobilien war ein deutlicher Rückgang an Nachfrage aufgrund von Homeoffice zu spüren und viele Firmen sind auch nach Corona und aktuell dabei, sich langfristig und auch nachhaltig in den Büroflächen zu verkleinern und anzupassen", sagt Dominik Nothwang, der Geschäftsführer des Immobilienmaklers Warelog Real Estate Stuttgart. Vermieter seien teilweise gezwungen, ihre Mietpreise zu senken oder flexiblere Mietbedingungen anzubieten. Gefragt seien flexible Lösungen mit untervermietbaren Coworking-Spaces oder kurzfristige Mietverträge. "Wir als Makler müssen aber auch hier immer wieder feststellen, dass viele Eigentümer nicht diese Flexibilität aufweisen und eher einen Leerstand in Kauf nehmen, anstatt sich den aktuellen Entwicklungen anzupassen", zeigt sich Nothwang etwas ernüchtert.

Der Makler beobachtet aber auch, dass einige Immobilieneigentümer schon alternative Nutzungen für ihre Büroflächen suchen und diese in Hotels oder auch in Wohnungen umwandeln, "um die Leerstandsproblematik zu lösen". In Karlsruhe wurden nach Angaben der Stadtverwaltung 2021 durch die Umnutzung von gewerblichen Flächen in Wohnraum 226 neue Wohnungen geschaffen. Diese Wohnungen hätten fast ein Drittel aller in diesem Jahr neu geschaffenen Wohnungen in der Stadt ausgemacht. In der Freiburger Verwaltung ist hingegen kein Projekt bekannt, bei dem ein Bürogebäude in Wohnungen umgewandelt wurde. Die Umwandlung eines Büro- in ein Wohngebäude sei sehr teuer, vermutet die Verwaltung auf Anfrage als Ursache dafür. Angesichts der Wohnungsknappheit sehen sich dagegen andere Städte zum Handeln gezwungen. So werden in der Frankfurter Bürostadt Niederrad derzeit Büroräume in Hunderte Wohnungen umgebaut. Einen großen Wurf wagt der Stadtrat von Calgary. Die kanadische Stadt stellt Millionen Dollar bereit, damit aus leerstehenden Büros großflächig bezahlbarer Wohnraum wird.

Mit Büros lässt sich mehr verdienen

Doch bei den Immobilienentwicklern herrscht diesbezüglich zumeist Skepsis. Eine Umnutzung in neuen Wohnraum hänge stark vom Zuschnitt der Büroimmobilie ab, sagt Jens Herrmann von Instone Real Estate. "Oftmals stehen die erforderlichen Umbaumaßnahmen in keinem Verhältnis zum Bau eines neuen Gebäudes. Nach unserer Erfahrung ist es häufig sinnvoller, ein nicht mehr benötigtes Bürogebäude abzureißen und auf den ohnehin schon versiegelten Flächen dann zeitgemäßen, ideal zugeschnittenen Wohnraum mit den neuesten energetischen Standards zu errichten." Ähnlich äußerten sich auf Kontext-Anfrage auch andere Immobilienentwickler. 22 Unternehmen ließen aber die Fragen nach der Zukunft ihrer Büroimmobilien unbeantwortet, darunter auch die im Neckarpark tätige Bülow AG oder der Ludwigsburger Projektentwickler DQ Quadrat.

Zu den vielen Unsicherheiten kommt in den Großstädten noch ein anderes Problem für alle Immobilienprojekte, wie beispielhaft die Karlsruher Verwaltung betont: "Ganz grundsätzlich ist in Karlsruhe ein Mangel an Flächen zu attestieren – sowohl für Gewerbe als auch für das Wohnen." Trotzdem werden in der politischen Diskussion Gewerbe- und Wohngebiete zumeist getrennt statt gemeinsam gedacht. So schlägt das Karlsruher Gewerbeflächengutachten mehr exklusive Flächen für die Wirtschaft und einen restriktiveren Umgang mit dem Wohnungsbau vor. Den zunehmenden Verteilungskampf um knappe Flächen gewinnt in der Regel die kapitalträchtigere Seite. Das Ziel, bis 2035 wieder ausreichend bezahlbaren Wohnraum in der Stadt zu schaffen, hat die Karlsruher Verwaltung jedenfalls schon abgeschrieben. Dies sei nur unter Einbeziehung der Umlandsgemeinden zu erreichen.


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2 Kommentare verfügbar

  • Stefan Schulz
    am 17.11.2023
    Antworten
    Man müsste Bauvorschriften dahingehend ändern, dass eine flexible Nutzung neuer und bestehender Immobilien (Büros, Praxen, Wohnungen, Geschäfte) ohne große Umbauten möglich ist.
    Außerdem müsste Leerstand sanktioniert werden.
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