KONTEXT:Wochenzeitung
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Ministerin Nicole Razavi

"Giftige Mischung für den Wohnungsbau"

Ministerin Nicole Razavi: "Giftige Mischung für den Wohnungsbau"
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Fehlende Wohnungen, teure Mieten, unwillige Investoren – der Wohnsektor ist in einer Krise. Nicole Razavi (CDU), in Baden-Württemberg zuständig für Wohnen und Landesentwicklung, hält das Land für keinen guten Häuslebauer und kritisiert die Heizungspläne und Effizienzhaus-Vorgaben der Grünen.

Frau Razavi, Ihr Vater hat persische Wurzeln, Ihre Mutter kommt aus Danzig, Sie selbst wurden in Hongkong geboren. Mit 21 Jahren sind Sie in die CDU eingetreten. Wären die Grünen nicht passender gewesen?

Ich komme aus einem politisch interessierten Elternhaus: sehr weltoffen, liberal, aber auch wertegebunden. Weder das politische Engagement noch die Parteimitgliedschaft wurden mir vorgegeben. In Tübingen habe ich Politikwissenschaften studiert, mir intensiv Gedanken gemacht, welche Partei mit meinen politischen Vorstellungen am ehesten übereinstimmt und mir die Programme von SPD, FDP, Grünen und CDU vorgenommen. Schlussendlich war und ist es die CDU, die am besten zu mir passt. Das hat vor allem mit dem Menschenbild zu tun, das Eigenverantwortung in den Mittelpunkt rückt.

Sie sagen, Sie möchten den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben.

Das ist der Punkt, warum ich in der CDU bin: Ich glaube, dass nicht der Staat bestimmen sollte, wie sich Menschen zu verhalten haben. Als älterer Mensch ziehe ich vielleicht lieber in eine barrierefreie Etagenwohnung mit Aufzug mitten in der Stadt und habe kurze Wege für alle wichtigen Erledigungen – als junge Familie ziehe ich vielleicht lieber aufs Land mit einem großen Garten.

Der Ressourcenverbrauch von Einfamilienhäusern ist riesig und sie sorgen für Zersiedelung. Ist das noch zeitgemäß in Zeiten des Klimawandels?

Es gibt immer noch sehr viele Familien, die vom eigenen Haus träumen. Warum sollte ich ihnen das verbieten wollen? Zugleich müssen wir aber klüger mit Flächen umgehen. Was wir nicht wollen, ist ein Ort wie ein Donut: außen die fetten Ränder und die Ortsmitte ist leer und leblos. Also müssen wir schauen, wo es Brachflächen und Lücken gibt – oder ob es zum Beispiel eine Chance gibt, auf einstöckige Gebäude oder Supermärkte eine Etage obendrauf zu setzen. Innerorts gibt es – auch im Bestand – oft viele Potenziale, die man heben kann.

Beim modularen Bauen werden ganze vorgefertigte Räume zur Baustelle geliefert und dort zusammengefügt. Ist das die Bauart der Zukunft?

Eine von mehreren. Modulares Bauen bedeutet nicht mehr Plattenbauten à la DDR, denn heute kann man hochwertig seriell bauen, gerade im Holzhybridbau, also einer Kombination aus Holz und Beton. Dafür müssen wir die Ausschreibungsbedingungen verbessern. Andere Länder wie Österreich oder die Schweiz sind uns da einen Schritt voraus.

736 Sozialwohnungen

Im vergangenen Jahr ist erstmals seit fünf Jahren die Zahl der Sozialwohnungen in Baden-Württemberg gestiegen: 2.167 Sozialwohnungen wurden neu geschaffen, während 1.431 aus der Sozialbindung fielen. Damit erhöhte sich der Bestand an Sozialwohnungen um 736: von 51.551 im Jahr 2021 auf 52.287 Wohnungen Ende 2022. (fra)

Ihr Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen gibt es seit 2021. Was hat sich seitdem getan?

Eine ganze Menge. Im letzten Jahr haben wir zum Beispiel dank einer deutlich verbesserten und erhöhten Förderung den Turnaround beim sozial geförderten Wohnungsbau hinbekommen: Es sind mehr neue Sozialwohnungen entstanden, als alte aus der Bindung gefallen sind. Vor wenigen Wochen haben wir das virtuelle Bauamt auf den Weg gebracht. Bauanträge können damit bald vollständig digital eingereicht und bearbeitet werden. Wir haben auch das Aufstellen von Mobilfunkmasten deutlich vereinfacht, die Campingplatzverordnung verschlankt und im Bereich der Landesplanung eine Planungsoffensive mit allen zwölf Regionalverbänden gestartet, um so schnell wie nur möglich das Flächenziel von mindestens zwei Prozent für Windkraft und Freiflächen-Photovoltaik zu erreichen. Außerdem haben wir die Installation von Photovoltaikanlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden erleichtert. Das sind nur ein paar Beispiele von vielen.

Aktuell ist die Bauwirtschaft in der Krise. Woran liegt das?

Sicherlich auch an der internationalen Entwicklung: Aufgrund des Ukrainekriegs haben sich die Bedingungen fürs Bauen extrem verschlechtert – durch Zinssteigerungen, Energiepreissteigerungen, Materialknappheit. Hinzu kommt der Fachkräftemangel Das alles ist eine ganz giftige Mischung. Der Motor im Wohnungsbau droht aktuell auszugehen, Projekte werden eingestellt. Deshalb muss jetzt alles auf den Tisch, was das Bauen erschwert, verlangsamt und verteuert.

In Baden-Württemberg sind 36.000 wohnungslose Menschen in Einrichtungen untergebracht, mehr als in jedem anderen Bundesland. Viele Menschen mit Wohnung geben mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens fürs Wohnen aus. Ist Wohnen nicht ein Menschenrecht?

Ja, und da gilt die große Überschrift: Jede Wohnung zählt. Das Angebot muss größer werden, damit sich diese Situation nicht weiter verschärft. Das Thema Obdachlosigkeit ist dabei ein Thema für sich, das im Sozialministerium angesiedelt ist. Für Baden-Württemberg ist es eine veritable Standort- und Zukunftsfrage, dass Arbeitskräfte hier bezahlbaren Wohnraum finden. Wir sind eng besiedelt, hoch attraktiv, haben eine tolle Landschaft, tolle Städte, tolle Gemeinden. Zu uns wollen viele Menschen kommen, doch die Bedingungen machen es schwierig. Wir als Land tun alles, was uns möglich ist, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen: Unser Wohnraumförderprogramm hat mit einer Milliarde Euro im Doppelhaushalt ein so großes Volumen wie seit 30 Jahren nicht mehr. Und die Antragssituation ist extrem gut. Auch beim Wohngeld tun wir gemeinsam mit dem Bund viel: Durch die Wohngeldreform konnten wir zu Beginn des Jahres die Unterstützung erhöhen und den Kreis der Berechtigten massiv ausweiten. Das ist gezielte Hilfe für alle, die auf dem freien Wohnungsmarkt finanziell an ihre Grenzen stoßen.

Sie sagen, die Antragssituation sei "extrem gut", die Wohnungen fehlen trotzdem.

Wir haben, was die Zahl der Sozialwohnungen angeht, jahrelang mit den Folgen des Verkaufs der vielen LBBW-Wohnungen gekämpft, die alle eine Sozialbindung hatten. Jetzt wollen wir die endlich erreichte Trendwende verstetigen, und die Antragssituation ist gut. Zwischen Antragstellung und Fertigstellung vergeht jedoch eine gewisse Zeit, und das ist derzeit meine Sorge: Wir haben viele Anträge, doch die Bedingungen fürs Bauen müssen sich dringend wieder verbessern. Die Entscheidungen der Bundesregierung in den letzten zwei Jahren sind da wenig hilfreich. Der plötzliche KfW-Förderstopp vor dem Ukraine-Krieg hat bei vielen, die bauen wollten, für Verunsicherung gesorgt. Dieses Jahr hat sich die Geschichte wiederholt mit dem Streit um das Heizungsgesetz.

Das geplante Verbot neuer Gas- und Ölheizungen ab 2024 ist Ihnen zufolge keine gute Idee.

Da bin ich nicht die einzige, die das so sieht. Deshalb wird der Gesetzentwurf gerade von der Ampel überarbeitet. Dafür war es höchste Zeit. Die jetzt in der Bundesregierung geführte kritische Diskussion ist richtig, und ich kann nur hoffen, dass das Ergebnis die Menschen mitnimmt und nicht weiter abschreckt. Mich haben unter anderem die kurzen Fristen gestört, der Zwang, die unklare und komplizierte Förderung sowie die Fixierung auf die Wärmepumpe. Eine Wärmepumpe alleine hilft in einem Haus aus den 60er-Jahren so gut wie nichts, da man das ganze Haus sanieren muss. Das wird extrem teuer, und viele Menschen haben das Geld nicht. Wärmenetze sind eine gute Idee, Fernwärme- und Nahwärmenetze, gerade für alte Häuser. Viele müssten sich so gar keine neue Heizung einbauen. Die Kommunen müssen die entsprechenden Wärmeplanungen aber erst einmal machen. Insofern zäumen wir hier das Pferd gerade von hinten auf. Was das Habeck-Ministerium von den Menschen verlangt, können sie nicht erfüllen. Stattdessen tun sie dann gar nichts. Insofern ist es eine Sackgasse, in die die Ampel da eingebogen ist.

KfW-Förderstopp für Effizienzhäuser

Die Bundesregierung hat im Januar 2022 angesichts einer Flut an Anträgen und drohender Mehrkosten die Förderprogramme für energieeffizientes Bauen und Sanieren der Förderbank KfW gestoppt. Betroffen waren Förderungen in Form von günstigen Krediten und Tilgungszuschüssen für die Finanzierung von Effizienzhäusern 55 (EH 55). Die Förderung der Effizienzhäuser 40 (EH 40) lief indes weiter und soll demnächst aufgestockt werden.

Effizienzhäuser sind energiesparende Gebäude, deren Kennzahl angibt, wie energieeffizient sie im Vergleich zu einem Vergleichs-Neubau sind. Die ausschlaggebenden Kriterien sind dabei der Gesamtenergiebedarf und die Wärmedämmung. Gemäß der Bundesförderung verbraucht ein EH 40 nur 40 Prozent, ein EH 55 nur 55 Prozent der Primärenergie des Referenzgebäudes. Seit 1. Januar 2023 ist laut Gebäudeenergiegesetz der EH-55-Standard für Neubauten vorgegeben, bis zum 1. Januar 2025 sollen jedoch die gesetzlichen Neubauanforderungen an den EH-40-Standard angeglichen werden. (fra)

Welche Alternativideen haben Sie für einen klimafreundlicheren Gebäudesektor?

Die Bauministerkonferenz, deren Vorsitzende ich aktuell bin, fordert einstimmig einen Paradigmenwechsel: Der Bund fixiert sich bislang zu sehr darauf, in unschöner Regelmäßigkeit die Vorschriften fürs Dämmen zu verschärfen. Bei älteren Gebäuden macht Dämmen natürlich durchaus Sinn, aber im Neubau die Anforderungen nun noch einmal hochzuschrauben – von EH 55 auf EH 40 – kostet nur noch mehr Geld und bringt dem Klimaschutz praktisch nichts. Klara Geywitz, Bundesbauministerin, hält von diesen Habeck-Plänen ebenfalls nichts, wie ich aus Gesprächen mit ihr weiß. Wir müssen den Blick weiten und den Treibhausgas-Ausstoß des gesamten Gebäudes betrachten. Und zwar über die gesamte Lebenszeit des Gebäudes hinweg, nicht nur im Betrieb. Wir brauchen zudem Technologieoffenheit, was die Energieversorgung eines Gebäudes und was das Baumaterial angeht. Manches Baumaterial, das von unseren Vorfahren genutzt wurde, wird gerade wieder neu entdeckt. Zum Beispiel Lehm. Jetzt erkennt man: Moment mal, die waren ja gar nicht so dumm.

In Deutschland fehlen laut Studien 700.000 Wohnungen. Wieso baut das Land nicht selbst?

Weil das Land nicht der bessere Häuslebauer ist. Wir würden die gleichen Bedingungen vorfinden wie jeder private oder öffentliche Bauherr und Investor. Mit einer Landeswohnbaugesellschaft wäre noch keine einzige Wohnung neu geschaffen. In anderen Ländern, die das haben, hat sich nichts geändert. Ein Land schafft damit nicht einfach so mehr Wohnraum.

Durch eine Landeswohnbaugesellschaft könnte das Land immerhin garantieren, dass die Mieten bezahlbar sind.

Dafür müsste es erstmal diesen Wohnraum geben. Ich bin überzeugt: Ohne die privaten Vermieter und Investoren geht es nicht – ohne die Kommunen und ohne die Genossenschaften auch nicht. Da sind so viele Player am Markt, und die brauchen gute Bedingungen, um investieren zu können. Wir können und sollten nicht den Mietpreis diktieren. In Berlin ist durch den Mietendeckel die Hälfte der Wohnungen vom Markt verschwunden, bis dann das Bundesverfassungsgericht diese Zwangsmaßnahme für verfassungswidrig erklärt hat. Mit erhobenem Zeigefinger und mit Überregulierung erreicht man das Gegenteil von dem, was man erreichen möchte: Angebot verschwindet, Investoren verschwinden, bereitwillige Vermieter verschwinden. Und in Baden-Württemberg ist es vor allem der private Vermieter, der Wohnraum zur Verfügung stellt.

In Wien funktioniert der kommunale Wohnbau ziemlich gut. Könnte das nicht ein Vorbild sein?

Wien wird uns oft als gutes Beispiel der Vergesellschaftung vorgehalten. Doch Wien ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass es der Staat nicht besser kann. Ja, die Mieten sind niedrig, doch der Zustand der Wohnungen ist oftmals katastrophal. Die Mieter müssen selber investieren, müssen selbst reparieren. Da relativiert sich das ganz schnell. Wir haben vorhin vom Menschenrecht gesprochen: Für mich ist beim Wohnraum nicht nur das Adjektiv "bezahlbar" wichtig, sondern auch "würdevoll". Das müssen wir hinbekommen. Deshalb sind die Kommunen so wichtig. Sie können vor Ort kluge Bodenpolitik machen wie zum Beispiel die Stadt Ulm.

Was macht Ulm besser als andere Kommunen?

Die Stadt Ulm betreibt seit weit über 100 Jahren eine sehr vorausschauende Bodenpolitik, sucht den Kontakt mit Eigentümern. Und wenn sich eine Möglichkeit ergibt, dann investiert sie gezielt in den Wohnungsbau oder sucht Investoren. Ulm ist eine hochattraktive Stadt – und dennoch ist die Durchschnittsmiete dort vergleichsweise niedrig. Das geht nur mit einem ausreichend großen Angebot.

Mehr als 70 Prozent der Mieter:innen in Deutschland wünschen sich ein Eigenheim. Die Wohneigentumsquote beträgt hingegen 46,5 Prozent. Liegt das allein an den schwierigen Bedingungen oder gibt es im Land der Häuslesbauer etwa eine Kultur des Mietens?

Wir liegen in Baden-Württemberg mit unserer Eigentumsquote von 52,6 Prozent sechs Prozentpunkte über dem Bundesschnitt. Insgesamt liegt Deutschland im europaweiten Vergleich auf dem vorletzten Platz vor der Schweiz, und das kann uns nicht zufriedenstellen. Dafür gibt es viele Gründe, einer davon ist sicher die Bezahlbarkeit. Deshalb würde ich mir wünschen, dass wir bei der Grunderwerbssteuer eine Lösung finden, die den Ersterwerb von selbstgenutztem Wohneigentum erleichtert. Aber auch unsere Wohnraumförderung ist hier ein wichtiger Faktor: Allein im letzten Jahr konnten wir durch vergünstigte Darlehen rund 1.300 Familien dabei helfen, sich den Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen.


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2 Kommentare verfügbar

  • W. Buck
    am 08.06.2023
    Antworten
    Bla, bla, bla... mehr an Kommentar ist das Gewäsch der Frau Razavi nicht wert.
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