Die "Stuttgarter Erklärung", verfasst von der 140. Bauministerkonferenz (BMK) vergangene Woche am Nesenbach, klang nicht schlecht. In dem Papier bekennen sich die Minister:innen zum "Bündnis bezahlbarer Wohnraum", das jährlich 400.000 Neubauwohnungen hervorbringen soll, davon 100.000 geförderte. Auch die Gastgeberin Nicole Razavi (CDU), Baden-Württembergs Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, will "alles dafür tun, dass der Motor beim Wohnungsbau nicht ausgeht". Selbst die von der Bundesregierung geplante Ausweitung des Wohngeldes, das bei Haushalten mit geringem Einkommen die explodierenden Energiekosten auffangen soll, findet ihre Zustimmung. Und da staunt wiederum Rolf Gaßmann, der Vorsitzende des Mietervereins Stuttgart. Wenn er mehr Gemeinwirtschaft im Wohnungsmarkt einfordert, um bezahlbare Grundmieten auch in Bestandsimmobilien zu sichern, tritt Razavi auf die Bremse.
Aber der Reihe nach. Im August scheuchten Medienberichte die Branche auf, wonach der größte deutsche Wohnungskonzern Vonovia bundesweit 67.000 Wohnungen im Wert von rund 13 Milliarden Euro verkaufen will. Das wäre mehr als jede zehnte Wohnung aus seinem Portfolio. Derzeit besitzt das Dax-Unternehmen rund 500.000 Wohnungen in 400 Städten und Gemeinden hierzulande. Rund einer Million Menschen geben diese bislang ein "Zuhause", wie es Vonovia nennt. Den Berichten zufolge soll der Abverkauf auch in Baden-Württemberg stattfinden, wo der Bochumer Immobiliengigant 19.800 Wohnungen besitzt. Rund 4.500 davon allein in Stuttgart.
Auslöser des Abverkaufs sind die steigenden Zinsen. Die teure Übernahme des Konkurrenten "Deutsche Wohnen" für rund 20 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ließ die Nettoverschuldung um fast das Doppelte auf 45,2 Milliarden Euro in die Höhe schießen. Höhere Kapitalkosten verteuern die Schuldentilgung – was den Wohnungsriesen nun zu überfordern droht, der im ersten Halbjahr noch 1,06 Milliarden Euro operativen Gewinn erwirtschaftet hat. Die Unsicherheiten spiegeln sich an der Börse wider: der Wert der Vonovia-Aktie hat sich seit Jahresbeginn halbiert, der Kurs fiel zuletzt auf ein Fünfjahres-Tief. Die Verkäufe sollen nicht nur frisches Geld in die Konzernkasse spülen, sie könnten auch Investoren beruhigen.
Brandbriefe an Kretschmann und Nopper
Mieterschützer Gaßmann dagegen sorgt sich, dass Vonovia die Immobilien zu Höchstpreisen an Privatanleger loszuschlagen versucht. Etwa die im Stuttgarter Nordbahnhofviertel, wo der Konzern rund 1.300 ehemalige Eisenbahnerwohnungen besitzt. Deren Bewohner müssen meist mit kleinem Einkommen über die Runden kommen. "Eine solche Privatisierung der Wohnungen würde zu Verdrängung durch unbezahlbare Mieten und zu Eigenbedarfskündigungen führen", erklärte Gaßmann und forderte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) zum Handeln auf. Land und Stadt sollten die zum Kauf angebotenen Vonovia-Wohnungen erwerben, verlangte er in Brandbriefen.
2 Kommentare verfügbar
Nico
am 03.10.2022Ja klar doch. Was sonst.
Durchblick? Charakter? Integrität? Mitmenschlichkeit?
'Armer Konrad' Remstal Aufstand Bauern Beutelsbach.
Heut wie immer.