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Wärmewende in Baden-Württemberg

Prinzip Hoffnung

Wärmewende in Baden-Württemberg: Prinzip Hoffnung
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900.000 Heizungen müssten im Südwesten ausgetauscht werden, ziemlich schnell und unter Verzicht auf fossile Energieträger. Nur so wären die Klimazwischenziele bis 2030 im Gebäudesektor zu erreichen. Eine ehrliche Bestandsaufnahme offenbart jedoch, wie wenig deckungsgleich Anspruch und Wirklichkeit sind.

Dass Wärmeerzeugung ein heikles Thema ist, wissen Umweltpolitiker:innen zwischen Main und Bodensee seit mehr als 15 Jahren. Die damalige CDU/FDP-Regierung in Baden-Württemberg legte republikweit einmalig erste konkrete Vorgaben zu einer regenerativen Verpflichtung vor. Demnach mussten ab 2009 – trotz erheblichen Widerstands von Hausbesitzer:innen und aus der Wirtschaft – in Neubauten zehn Prozent der Wärme aus erneuerbaren Quellen kommen. 2010 wurde diese Regelung beim Heizungstausch auf Altbauten ausgedehnt. 2015 dann hob Grünen-Umweltminister Franz Untersteller diese Quote an auf 15 Prozent. Der Protest der oppositionellen CDU war heftig.

So gesehen hätte sich Baden-Württemberg als Blaupause in puncto Wärmewende anbieten können. Die Vorreiterrolle ging auf der Wegstrecke aber sang- und klanglos verloren. "Der Wärmesektor macht fast die Hälfte des Energieverbrauchs aus", heißt es 2016 im ersten grün-schwarzen Koalitionsvertrag eher unverbindlich. "Deswegen wollen wir die Energieeffizienz im Neubau, insbesondere aber im Gebäudebestand weiter voranbringen und die Sanierungsquote im Land anheben." Maßnahmen zur Steigerung der Gebäudeeffizienz würden entwickelt und die gesetzlichen Grundlagen einer umfassenden Evaluierung unterzogen. Fünf Jahre später versprechen die alten neuen Partner wieder, die Wärmewende voranzutreiben und mehr zu tun für energieeffiziente Gebäude im Bestand.

Viel ist nicht passiert

Wie weit der Weg ist, machte kürzlich Claudia Kemfert deutlich. Im Auftrag der SPD Baden-Württemberg analysierte die Abteilungsleiterin für Energie, Verkehr und Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) den Status quo und die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten – immer unterstellt, die Landesregierung nimmt die eigenen Klimaziele weiterhin ernst. Ergebnis: 70 Prozent der Wohnungen in Baden-Württemberg sind nicht wirklich energieeffizient, sogar 75 Prozent werden mit Öl und Gas beheizt. Als positiv könnte bewertet werden, dass das Durchschnittsalter aller Heizungen bei fast 19, das der Ölheizungen sogar bei mehr als 21 Jahren liegt. Das unterstreicht den Erneuerungsbedarf und die Möglichkeiten, bei einer offensiven Informations- und Förderpolitik die Weichen hin zu mehr erneuerbarer Wärme richtig zu stellen.

Wenn es allerdings konkret wird mit der Wärmewende, springt vor allem die FDP in ihrer Doppelrolle im Dreieck, Opposition im Südwesten, Regierungspartei im Bund. Jüngstes Beispiel: die Pläne der beiden Bundesminister:innen Robert Habeck (Wirtschaft/Grüne) und Klara Geywitz (Bauen/SPD), wie deutlich mehr Wärmepumpen statt fossiler Heizsysteme in die Häuser kommen sollen. Sofort wurden "Schauermärchen" über Kosten und Umbauaufwand in Umlauf gebracht, wie Wärmepumpen-Erzeuger:innen sagen. Kemfert warnt dringend vor "Hamsterkäufen" und davor, sich jetzt noch schnell eine Gas- oder Ölheizung anzuschaffen. Und sie verlangt nach Aufklärung über die Zusammenhänge. Wer verspreche, dass sich Emissionsminderungen über den Markt regeln, der verschweige "wie hoch der CO2-Preis sein muss, um die notwendige Lenkungswirkung zu entfalten". Derzeit liegt er bei 25 Euro, er wird aber in Bälde und auf jeden Fall während der Lebensdauer jetzt angeschaffter Heizungen auf 200 Euro ansteigen. Kosten, die dann getragen werden müssen, und die viel Geld verschlucken werden, wenn Käufer:innen jetzt falsch entscheiden. 

Von Aufklärung kann allerdings keine Rede sein, wenn zum Beispiel die baden-württembergische Wohnbauministerin Nicole Razavi (CDU) die Pläne der Bundesregierung kritisiert. "Wir müssen beim Klimaschutz im Gebäudesektor besser werden", gesteht die Landtagsabgeordnete aus Geislingen, derzeit überdies Chefin der Bauminister:innenkonferenz von Bund und Ländern zu. "Aber bitte mit Augenmaß, Realitätssinn und verlässlichen Förderprogrammen, und nicht nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip." CDU-Fraktionschef Manuel Hagel sprach sogar von einem "völlig unbrauchbaren Vorschlag".

Die Zielvorgaben aufzuweichen, ist keine gute Idee

Viele Grüne wiederum sprachen gar nicht, blieben lieber in Deckung, statt Habeck zu helfen. Dabei hätte genügt, in die diversen Berichte zum Gebäudebereich insgesamt zu schauen. Zum Beispiel in jenen der Deutschen Energiespar-Agentur, aus dem hervorgeht, dass im Südwesten die Tradition der Häuslesbauer:innen und der hohe Anteil von Ein- und Zweifamilienhäusern nach besonderen Maßnahmen verlangt. Denn bundesweit sind die Emissionen im Gebäudebereich seit 1990 um mehr als 40 Prozent gesunken, im Südwesten gerade mal um 20.

Aus dem Fenster lehnt sich allein Umweltministerin Thekla Walker (Grüne), die von den Koalitionspartner:innen verlangt, "nicht immer nur 'geht nicht' zu schreien oder 'zu teuer'". Denn noch viel höhere Kosten würden bereits auf diese und auf künftige Generationen zukommen, wenn auf die Klimakrise nicht adäquat reagiert werde. Anders als Umweltpolitiker:innen von CDU oder FDP ist Walker Anhängerin und vor allem Verteidigerin der Sektorziele. Vom bloßen Prinzip Hoffnung, fordert sie, müssten sich alle verabschieden. Seit Anfang der Woche weiß sie sogar den Expertenrat für Klimafragen auf Bundesebene an ihrer Seite, der vehement vor einer Aufweichung von Vorgaben warnt.

Denn die Botschaft an die Bundesregierung im Speziellen und an alle politischen Verantwortlichen im Allgemeinen bei der Präsentation seines jüngsten Prüfberichts zur Entwicklung 2022 lautet zugespitzt: "Kein ernsthafter und belastbarer Fortschritt ohne strengen Rahmen." Alles andere, warnt die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrates Brigitte Kopf, erhöhe das Risiko für zukünftige Zielverfehlungen. Der Gebäudesektor steht schon deshalb besonders unter Druck, weil ein milder Winter und das veränderte Heizverhalten angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine die aktuellen Zahlen schönen. Eigentlich, so die Fachleute, die die Minderung der Treibhausemissionen zu überwachen haben, müsste ein Sofortprogramm zur Effizienzsteigerung und zur Wärmewende auf den Tisch.

Auf einen Lichtblick für Baden-Württemberg kann die Landesregierung dann doch noch verweisen, weil Städte und Gemeinden in die Wärmeplanung einsteigen, um ihre Versorgung langfristig klimaneutral umzubauen. Die 104 Großen Kreisstädte und Stadtkreise sind dazu sogar verpflichtet, viele kleinere ziehen freiwillig mit. Der Wermutstropfen: Bisher stehen auch diese Klimamaßnahmen, wie sie überhaupt schon so weit sind, nur auf dem Papier. Kemfert, die, wie sie sagt, solche Debatten seit 20 Jahren begleitet, mahnt dagegen dringend Fortschritte an, denn: "Wir haben keine Zeit mehr." Es komme "nicht irgendwann irgendwas wundersam vom Himmel geregnet". Schon gar keine emissionsarme neue Heizung.


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