Im vergangenen Jahr führte die Energiekrise, ausgelöst durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, zu heftigen Turbulenzen. Uniper als größter Gasimporteur des Landes musste fehlendes Gas aus Russland zu hohen Preisen aus anderen Ländern zukaufen, was in wenigen Wochen horrende Verluste auftürmte. Mit 15 Milliarden stütze der Staat den Konzern und übernahm im Gegenzug die Anteilsmehrheit. Auf Verbraucherseite ließen Preise und Spar-Appelle den Gasabsatz einbrechen. Laut Branchenverein Zukunft Gas wurden 2022 fast 15 Prozent weniger Gas verbraucht als im Jahr davor. Dennoch hatte Erdgas mit 23,8 Prozent weiterhin den zweitgrößten Anteil am deutschen Primärenergieverbrauch – nach Mineralöl.
Deutschland heizt weiter vor allem mit Erdgas. Aktuell arbeiten in der Hälfte der Heizungskeller noch Gasheizungen, außerdem wird rund 50 Prozent der Fernwärme mit Gas produziert. Bei den neu installierten Heizungen blieben mit Gas betriebene Heizsysteme Marktführer, sie erreichten 2022 einen Marktanteil von rund 60 Prozent.
Lobbyverein hat ein engmaschiges Netzwerk geknüpft
Damit dies so bleibt, mischt ein Lobbyverein der Branche hinter den Kulissen kräftig mit: "Zukunft Gas". Der Verein, der bis Ende 2020 "Zukunft Erdgas" hieß, vereint knapp 130 Unternehmen aus der Gas-Wirtschaft. Neben Stadtwerken sind auch Global Player mit von der Partie, etwa der Öl- und Gaskonzern Shell, der allein zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortet. Eines der Hauptanliegen des Vereins: Erdgas als klimafreundlichsten fossilen Brennstoff und daher als notwendige "Brückentechnologie" in der Energiewende zu inszenieren, um das Gasgeschäft noch so lange wie möglich am Leben zu halten, beschreibt das Online-Lexikon Lobbypedia einen der "zentralen Akteure der Gaslobby in Deutschland".
Nimmt die Politik die deutschen Klimaziele ernst, dann muss die Erdgas-Ära 2045 weitgehend enden. Im Geschäft bleiben will die Branche deshalb mit "erneuerbaren Gasen" wie Wasserstoff (H2), verteilt und verfeuert in ihren Leitungen und Kraftwerken. "Dabei geht es zum einen darum, die Gasinfrastruktur zu erweitern und die Kosten auf die Verbraucher abzuwälzen", sagt Nina Katzemich vom Verein Lobbycontrol. Absehbar ist jedoch bereits heute, dass klimaneutrales H2 aus Wind- und Solarenergie nicht ausreichend verfügbar ist, um alle fossilen Stoffe zu ersetzen. Deshalb wittert die Branche bereits ein milliardenschweres Zusatzgeschäft: Wasserstoff auf Basis von Erdgas, wobei klimaschädliches CO2 abgeschieden und gespeichert wird (Carbon Capture and Storage CCS). Nach der H2-Farbenlehre entsteht so türkiser oder blauer Wasserstoff. Allerdings ist H2 zu dekarbonisieren energieintensiv und teuer, die CO2-Speicherung umstritten. Dagegen arbeitet die "Stimme der Gas- und Wasserstoffwirtschaft" bereits an. Die Bundesregierung müsse den deutschen Gasmarkt zum "europäischen Wasserstoff-Drehkreuz" entwickeln, so Zukunft Gas.
Um erfolgreich zu sein, hat der Verein ein engmaschiges Netzwerk geknüpft. Seit Gründung 2013 steht Timm Kehler als Vorstand und Geschäftsführer an seiner Spitze. Seit 2020 ist er zudem Präsident der NGVA, der Lobbyvertretung der Europäischen Erdgasindustrie. Pikant auch: Kehler war lange als Manager bei BMW tätig. Der Münchner Autobauer setzt als einziger deutscher Hersteller weiter auf Wasserstoffantriebe.
Ein aktuelles Statement von Kehler zur GEG-Novelle liest sich wie ein Sprechzettel für Wärmepumpengegner bei "Bild" und FDP. "Es ist falsch, wenn auf Bundesebene pauschal vorgegeben wird, wie die Wärmeversorgung von Gebäuden zukünftig auszusehen hat und welche Energieträger zum Einsatz kommen dürfen", plädiert Kehler für eine "zielgerichtete Wärmeplanung in den Kommunen" – was die Wärmewende allerdings um Jahre weiter verzögern würde.
Verflechtungen zwischen Verein und Politik
Kurze Drähte in die Politik besitzt der Aufsichtsratsvorsitzende des Vereins, Friedbert Pflüger. "Mit ihm hat der Verband einen extrem vernetzten und aktiven Gaslobbyisten an seine Spitze gesetzt", so Lobbypedia. Der Christdemokrat Pflüger wurde von Nord Stream 2 bezahlt und flankierte den Pipelinebau mit Studien, enthüllte kürzlich der Spiegel. Vor Putins Überfalls auf die Ukraine warnte er vor Sanktionen gegen Russland.
Ein Blick lohnt auch auf den Vereinsbeirat, aus dessen Kreis gegen Habecks Heizungspläne agitiert wird, stets ohne die Mitgliedschaft bei Zukunft Gas transparent zu machen. Etwa durch Kai Warnecke. Bei "Bild" warf der Präsident des Eigentümerverbands "Haus und Grund" dem Wirtschaftsminister vor, die Kosten für die Wärmewende viel zu niedrig anzusetzen.
Direkte Verbindungen zu FDP-Ministern tun sich im Beiratsbereich "Politik/öffentliche Institutionen" auf. Beirat Klaus Bonhoff leitet im Hauptberuf die Grundsatzabteilung im Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing. Beirat Gerhard Holtmeier ist seit Dezember 2022 Geschäftsführer der UBG Uniper Beteiligungsholding GmbH. In dieser Funktion wurde er auf Vorschlag von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im März als neues Mitglied des Aufsichtsrats des Mutterkonzerns Uniper bestellt.
Stadtwerke Esslingen werben offen für Gas
Fragen wirft das Gebaren einzelner Vereinsmitglieder auf. So bewerben die Stadtwerke Esslingen (SWE) Erdgasheizungen bis heute als effiziente, saubere und kostengünstige Art der Wärmeversorgung, während man zugleich "aufgrund der aktuellen Situation an den Energiemärkten momentan leider keine Sondertarife im Bereich Gas" anbieten kann.
Tricksen und täuschen im Sinne von Zukunft Gas? "Diverse Studien von Energieverbänden und Bundesbehörden zeigen auf, dass Gas als Energieträger sowohl preislich als auch hinsichtlich der CO2- und Feinstaubemissionen anderen, konventionellen Energieträgern überlegen ist", versucht sich ein SWE-Sprecher auf Anfrage herauszureden. Nichtsdestotrotz begrüße man die Diskussion um Erdgas. Denn sie beschleunige den Ausbau der erneuerbaren Energien, den man bereits aktiv mit vorantreibe, ergänzt er – und verkündet Überraschendes: "Die Stadtwerke Esslingen waren mehrere Jahre Mitglied bei Zukunft Gas, unsere Mitgliedschaft endet zu Ende dieses Jahres."
Diesem Beispiel müssten eigentlich weitere Mitglieder des Vereins folgen. Denn die Mehrzahl von ihnen sind als Stadtwerke oder regionale Versorger im Besitz von Kommunen und öffentlichen Trägern, die sich längst zum schnellen Ausstieg aus fossilen Energien bekannt haben.
21 Kommentare verfügbar
chr/christiane
am 19.05.2023Am 17.11.2022 hat der Bundesratsausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (mit Kenntnis des Wirtschaftsausschusses? ) eine Empfehlung veröffentlicht.
Eigentlich ging es um…