Wie weit sich einige FDP-Politiker:innen in Energie- und Klimafragen von der Realität verabschiedet haben, konnte man ebenfalls am 20. Juni in Freiburg erfahren. Auf Einladung der Students for Future sprach dort Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin) über "Zeitenwende und Klimakrise". In seinem Vortrag an der Albert-Ludwigs-Universität erläuterte der Professor für Regenerative Energiesysteme vor einem überfülltem Hörsaal, dass es wegen der Abhängigkeit vom russischen Kriegsverbrecher Putin und der rasanten Erderwärmung "jetzt eine richtige Energierevolution" braucht – und warum E-Fuels für Autos dafür keine Lösung sind.
Bei einem "Weiter so" beim Klimaschutz werde der Temperaturanstieg 3 bis 4 Grad bis zum Jahrhundertende erreichen. "Das ist die radikalste Klimaveränderung, die wir jemals gesehen haben werden", warnt Quaschning. "Da braucht man kein Klimaforscher sein um zu wissen, dass das nicht spurlos an uns vorbeigehen wird." Die Erwärmung sei aber nicht gottgegeben. Jede:r persönlich, jedes Land, jeder Kontinent könne und müsse jetzt seinen Beitrag leisten, um die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. So wie es das Pariser Klimaabkommen verlangt. "Da hat sich der Planet verändert, aber wir können die Folgen noch beherrschen", so Quaschning.
Für das 1,5 Grad-Ziel dürfen aber nur noch begrenzte Mengen an Kohlendioxid ausgestoßen werden. Laut Wissenschaftler:innen ist das weltweite CO2-Budget bereits im Jahr 2044 ausgeschöpft. Bei 1,7 Grad Erwärmung müsse die Welt 2054 klimaneutral sein, erläutert Quaschning. "In Deutschland haben wir aber das Problem, dass wir doppelt so viel CO2 pro Kopf ausstoßen wie der Weltdurchschnitt." Wenn jeder Mensch gleich viel zur Erderwärmung beitragen darf, sei der deutsche CO2-Anteil für das 1,5 Grad-Ziel bereits 2030 und für das 1,7 Grad-Ziel bereits 2035 verbraucht. Die Bundesregierung jedoch strebt Klimaneutralität erst ab 2045 an. "Das ist im Vergleich zu Vorgängerregierungen ambitioniert. Dennoch wird Deutschland seinen pariskonformen Klimaschutzbeitrag verfehlen und eher bei zwei Grad landen."
Atomkraft als Ablenkungsmanöver
Was ist zu tun? Den größten Hebel bietet die Energieversorgung, da sie für 80 Prozent der CO2-Emissionen steht. "Für derzeit 20 Prozent Erneuerbare am Gesamtenergieaufkommen haben wir 30 Jahre gebraucht", führt Quaschning aus. Jetzt sei die Herausforderung, in zwölf Jahren von 20 auf 100 Prozent zu kommen. Unmöglich? "Wir können eine Technologie von Null auf Hundert in zwanzig Jahren bringen", verweist er auf Smartphones, die es erst seit 2007 gibt. Seitdem wurden weltweit viele Milliarden in Hard- und Software für die mobilen Computer investiert. "Es ist keine Frage der Technik, nicht des Geldes, sondern schlicht des Willens", überträgt Quaschning dies auf Klimaschutz. Falsch sei dabei, auf Kernenergie zu setzen. "Für die Energiewende bräuchten wir 200 bis 300 neue Kernkraftwerke innerhalb der nächsten zehn Jahre", betont er. Allein dies zeige, wie absurd die von Union und FDP angefachte Diskussion sei: "Das sind Ablenkungsmanöver, die nicht weiterhelfen."
"Wir müssen vor allem runter mit dem Energieverbrauch", fordert er dagegen. Im Wärmebereich müssten Wärmepumpen Gasheizungen ersetzen. Dadurch lasse sich der Energieverbrauch selbst bei ungedämmten Häusern um zwei Drittel senken. Noch heizt etwa die Hälfte aller Deutschen mit Gas. Laut Koalitionsvertrag soll es ab 2025 ein Einbauverbot "light" geben: Neue Gasheizungen sind dann weiter erlaubt, wenn sie 65 Prozent erneuerbare Energien einkoppeln. Das reicht Quaschning nicht: "Wir brauchen ein Einbauverbot für Gas- und Ölheizungen und zwar sofort."
Wichtig sei auch eine echte Verkehrswende. Die Motoren seien zwar effizienter, CO2-Einsparung aber durch größere und mehr Autos zunichte gemacht worden. Inzwischen gibt es hierzulande 48 Millionen Kfz für 83 Millionen Einwohner. Für die gleiche Bestandsdichte weltweit bräuchte es drei Milliarden PKW zusätzlich, deren Herstellung den Planeten an Belastungsgrenzen bringen würde. "Wir können in Deutschland nur so viel Auto fahren, weil ein Großteil der Erdbevölkerung zu arm dafür ist. Das ist ja kein Zukunftsmodell", fordert er ein neues Mobilitätsverhalten. "Wir müssen die Anzahl der Autos hierzulande mindestens halbieren."
Keine Zukunft sieht Quaschning für Benziner und Diesel. "Verbrenner sind keine Fahrzeuge, sondern fahrende Heizungen. Weil deren Motoren 70 Prozent der Kraftstoffenergie in Abwärme und nur 30 Prozent zum Fahren umsetzen", erläutert er. Andere Antriebe seien da bedeutend besser: "Das Elektroauto hat Wirkungsgrade von 80 bis 90 Prozent." Umwandlungsverluste machen das Wasserstoffauto ineffizienter: "Um die gleiche Strecke wie mit dem E-Mobil zu fahren, braucht es hier zwei- bis dreimal so viel Solaranlagen oder Windräder", rechnet er vor. Die Energiewende werde so viel schwieriger.
Die "Bild"-Zeitung vermisst den Geruch von Benzin
Noch schlechter schneiden E-Fuels ab. Elektrolytisch wird zunächst aus Wasser, Windstrom und Kohlendioxid Wasserstoff erzeugt, dieser zu Methanol und dann zu einem Diesel-Ersatz synthetisiert. Bei dessen Verbrennung entweicht das zuvor aus der Luft entzogene CO2. "Das geht technisch alles, aber die Effizienz ist eben saumies", der Strombedarf des Verfahrens sei enorm. Im Vergleich zum Batterieauto brauche man fünfmal so viel Energie - die man irgendwo herkriegen muss. "Herr Lindner hat die Lösung dafür im windreichen Süden Chiles gefunden", erwähnt er. Dort baut der Stuttgarter Autobauer Porsche derzeit für 70 Millionen Euro eine Pilotanlage, die noch in diesem Jahr 135.000 Liter E-Fuels erzeugen soll. Ab 2026 sollen jährlich 550 Millionen Liter an synthetischem Treibstoff mit Tankern nach Deutschland verschifft werden.
Diese Menge deckt aber nur einen Bruchteil des Bedarfs. "Wenn wir die deutsche PKW-Flotte mit E-Fuels aus Chile antreiben wollen, braucht es siebenmal so viel Strom wie ganz Chile heute selbst verbraucht", so der Ingenieur. Billig wäre der Wundersprit ohnehin nicht: Der Liter E-Fuel kostet derzeit 4,50 Euro. "Das wird ein Rohrkrepierer", prognostiziert Quaschning.
6 Kommentare verfügbar
Gerald Wissler
am 12.07.2022Wo sollen denn all die (teuren) Rohstoffe für die vielen E-Autos herkommen, wenn es keine Verbrenner mehr geben darf ?
Wie groß und effektiv werden eigentlich die Batterien, die die Verbrennungsmotoren in LKW, Schiffen und Flugzeugen…