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Stuttgarter Zeitungen im Ausverkauf

"More of the same"

Stuttgarter Zeitungen im Ausverkauf: "More of the same"
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Wer in hiesigen Breiten noch eine regionale Tageszeitung liest, darf sich bald auf Einheitsbrei freuen. Das erwartet Medienwissenschaftler Horst Röper nach dem angekündigten Verkauf der Stuttgarter Zeitungen, der "Eßlinger Zeitung", des "Schwarzwälder Boten" und der "Böblinger Kreiszeitung" an den Verlag der Ulmer "Südwest Presse".

Herr Röper, was bedeutet der angekündigte Verkauf der Regionalzeitungen durch die Südwestdeutsche Medienholding an die "Südwest Presse" in Ulm für die Zeitungslandschaft hier im Südwesten?

Das ist ein ganz gehöriger Konzentrationssprung, denn bisher gehören diese Blätter der Gruppe der baden-württembergischen Zeitungsverleger und der Medienunion aus Ludwigshafen und noch den Ebners von der "Südwest Presse" in Ulm – und denen gehört das nun komplett. Die haben ja in den letzten Jahren schon viele Lokalzeitungen zugekauft und sind damit nun ein ganz großer Player in der Zeitungslandschaft.

Was erwartet damit die Leserinnen und Leser von "Stuttgarter Zeitung/Nachrichten", "Eßlinger Zeitung", "Böblinger Bote" und "Schwarzwälder Bote"?

Mehr Einheitstexte. Wir haben ja in all diesen Konzentrationsfällen immer wieder beobachten müssen, dass die Redaktionen ausgedünnt werden und journalistische Texte, die früher nur in einer Zeitung erschienen, dann gleich in vielen erscheinen, also more of the same. Das Gegenteil von Vielfalt. Nicht viele verschiedene Berichte von vielen Journalist:innen, sondern ein Journalist berichtet für viele, viele Zeitungen.

Und das bedeutet wiederum was?

Dass der Leser keinerlei Möglichkeiten hat, sich aus unterschiedlichen Quellen zu informieren. Und dass das Machtverhältnis wechselt. Wenn ein Politiker einem Journalisten ein Interview gewährt und dieser Journalist – ich sag mal: – die Hälfte der Auflage einer Tageszeitung in einem Bundesland versorgt, dann hat dieser Journalist einen gewaltigen Einfluss.

Nun sagen Verleger:innen ja gerne, man könne das alles nicht mehr finanzieren, also diese klassische Berichterstattung. Ist Journalismus tatsächlich ein finanzielles Verlustgeschäft?

Nein, ein Verlustgeschäft ist es sicherlich nicht, aber wir haben auch nicht mehr diese besondere Situation, die bis zur Jahrtausendwende den Verlegern Renditen in die Taschen spülte, die lagen manchmal bei 25 Prozent, also einer Größenordnung, die man ansonsten in der Industrie und im Handel nicht kennt. Diese hohen Renditen gibt es sicherlich in der Branche so nicht mehr. Und ja, viele Verleger weinen – das kann man ja nachvollziehen – und versuchen nun immer noch, Renditen zu erwirtschaften, die oberhalb von dem liegen, was wir aus anderen Branchen kennen. Dem einen gelingt es, dem anderen nicht.

Wem gelingt es?

Naja, zum Beispiel solchen, die sich sehr breit aufgestellt haben. Wie etwa die "Südwest Presse" in Ulm, die nicht nur über eine Vielzahl von Tageszeitungen und Anzeigenblättern verfügt, sondern daneben auch noch Fachzeitschriften und vieles andere mehr hat.

Wenn wir auf die lokale Ebene sehen, beobachten wir eine starke Ausdünnung der Inhalte. Welche Folgen hat das?

Auf der Ebene des Lokalen kennen wir ja in Deutschland kaum noch Orte oder Landkreise, wo es noch ein vielfältiges Erscheinungsbild gibt, also mehrere Zeitungen, die auch Lokales berichten. Das ist heute die große Ausnahme, das gibt es ja selbst in Stuttgart nicht mehr, da hat man auch einen Einheitsbrei. Wenn es überhaupt noch zwei Zeitungen gibt, dann sind sie oft in Kooperation miteinander verbunden und bringen eben dann häufig identische Sichtweisen, identische Texte.

… wie bei der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". Mittlerweile müsste jeder wissen, welche Folgen medialer Einheitsbrei hat: Politikverdrossenheit, Anfälligkeit für Fake News und so weiter. Trotzdem passiert nichts von Seiten der Politik. Kann Politik da nichts tun?

Natürlich könnte Politik handeln. In anderen Ländern hat man ja schon vor Jahrzehnten begonnen, etwas für die Zeitungsvielfalt zu tun. Aber ich bin gar nicht überzeugt von Ihrer These, dass alle Welt weiß, was es bedeutet, wenn Politik auch im Lokalen kaum noch dargestellt wird. Ich glaube, das ist überhaupt nicht allen klar. Und vielleicht ist es für manchen Politiker auch ganz schön, wenn er nicht kritisiert wird.

Solche gibt es sicherlich. Aber es gibt auch Bürgermeister:innen und Gemeinderät:innen, die sauer sind, wenn aus ihren Rathäusern nicht mehr berichtet wird.

Ja, es gibt ja immer wieder Proteste, wenn irgendwo eine Lokalredaktion eingestellt wird. Viele Kommunalpolitiker – sicherlich nicht alle – wissen um die ganzen entscheidenden Vorteile, die eine ordentliche Lokalberichterstattung für die Kommunen bringt. Und wir wissen vor allem aus Studien aus den USA, dass mit dem Sterben von Lokaljournalismus viele andere Vorgänge verbunden sind, auf die man nicht gleich kommt: Beispielsweise nimmt die Korruption zu, und zwar jegliche Art von Korruption. Auch die Verschuldungsneigung in den Gebietskörperschaften nimmt zu. Also es geht um mehr als den Verlust von Information für den mündigen Bürger.

Und trotzdem tut sich nichts auf der politischen Ebene. Haben Sie eine Idee, warum nicht?

Es war immer schwierig für die Politik, in diesen Markt einzugreifen. Man hatte ja nach dem Zweiten Weltkrieg beim Neuaufbau unseres Mediensystems die Printmedien ganz gezielt der Privatwirtschaft überlassen. Eingriffe da hinein kann natürlich die Gefahr bergen, dass die Politik das dann zielgerichtet für sich selbst nutzt. Also Subventionen beispielsweise nur dann, wenn es eine genehme Berichterstattung gibt oder ähnliches. Aber es gibt natürlich Wege, die eine solche Möglichkeit der Korruption oder der Steuerung verhindern. Skandinavien zeigt das seit vielen Jahren.

Was machen die Länder im hohen Norden anders?

Es gibt unterschiedliche Wege in Skandinavien, alle sehen vor, diejenigen zu unterstützen, die sehr kleine Auflagen haben. Ein Kriterium kann auch sein, wie viele Journalisten tätig sind. Also Geld bekommt nicht derjenige, der zwar eine kleine Auflage hat, aber journalistisch nichts Eigenständiges leistet, sondern er muss nachweisen, dass eine Redaktion tätig ist, die für Vielfalt in der Berichterstattung sorgt. Den Rahmen setzt die Regierung beziehungsweise das Parlament und dann wird ein neutrales Gremium zwischengeschaltet, das diese Gelder nach klaren Kriterien weitergibt.

Es gibt also Modelle in Europa, die funktionieren.

Eine Vielzahl von Modellen. Wir sind eines der wenigen Länder, in dem es eine solche Art der Printmedienförderung nie gegeben hat. Ich finde, wir haben längst den Zeitpunkt erreicht, wo das hätte passieren müssen, um eben ein wenig an Vielfalt noch zu erhalten.

Zurück zu Baden-Württemberg: In großen Teilen der Republik beherrschen bereits ein bis zwei Medienkonzerne den Zeitungsmarkt. Ist mit dem Verkauf der SWMH-Regionalzeitungen Baden-Württemberg nun nachgezogen?

In Teilen vielleicht. Baden-Württemberg hatte längere Zeit unter den Flächenländern immer noch einen relativ kleinteiligen Lokaljournalismus. Aber hier wird ja schon seit Jahren an vielen Stellen gekauft und so gibt es zwar noch viele Titel, aber diese Titel kaschieren nur, dass dahinter häufig nur ein Besitzer steht. Da wird oberflächlich Vielfalt gezeigt, aber dahinter stecken ein paar wenige Konzerne, das gilt auch längst in Baden-Württemberg.

Herr Röper, hat das Kartellamt schon mal Zeitungsfusionen untersagt?

Ja klar, das haben sie schon, vor allem in früheren Jahren. Da wurden einige Fusionen untersagt. Nachdem der Bundestag aber mehrfach das Kartellrecht gerade in puncto Medienvielfalt zahnloser gemacht hat, haben die Richter beim Bundeskartellamt in Bonn kaum noch Möglichkeiten, solche Fusionen zu untersagen. Und insofern werden sie heute in aller Regel genehmigt.

Wie schnell wird Ihrer Einschätzung nach das Bundeskartellamt den Verkauf der hiesigen Zeitungen an den Verlag der "Südwest Presse" genehmigen?

Das ist eine vielschichtige Fusion, die da angestrebt wird, das wird dauern. Die Kartellrichter müssen sich ja erst mal ein Bild machen. Die müssen sich diese ganzen lokalen Märkte der einzelnen Zeitungen ansehen: Gibt es da noch irgendeinen Wettbewerb? Würde diese Fusion einen anderen Wettbewerber in eine ganz schlechte Position bringen? Also zumindest müssen sie sich das alles mal angucken. Und da es ja heute nichts mehr an Literatur und intensiven Studien über die Zeitungsmärkte gibt, können sie auf nichts zurückgreifen, gibt ja nichts. Insofern ist das schon aufwendig und wird eine Weile dauern. Im Normalfall prüfen die auch alle Anzeigenblätter in solch einem Gebiet, die ja auch betroffen sind. Da geht es um die Werbewirtschaft. Das ist schon umfassend.


Horst Röper, 73, ist immer noch einer der führenden Zeitungswissenschaftler in Deutschland. Der Dortmunder war Mitbegründer des Formatt-Instituts, das regelmäßig Studien zur Pressekonzentration erarbeitete. Seitdem der Experte sich 2020 zur Ruhe gesetzt hat, gibt es keine neueren Daten mehr zur Medienkonzentration.

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2 Kommentare verfügbar

  • Thomas Rothschild
    vor 6 Stunden
    Antworten
    Nachdem es auf die Fusion von Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung keine nennenswerten Reaktionen gab und sich die Leser'innen den radikalen Qualitätseinbruch widerspruchslos gefallen ließen, besteht wenig Hoffnung, dass die feindliche Übernahme durch die Südwest Presse signifikante…
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