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SWMH baut ab

Lokalpresse verschwunden

SWMH baut ab: Lokalpresse verschwunden
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Das Stuttgarter Pressehaus baut den Lokaljournalismus systematisch ab. Sehr zum Verdruss seiner Kundschaft, die jetzt nach Alternativen sucht. Der Konzern hat eine tolle Idee.

Beinahe nostalgisch könnte man werden, denkt man an die früheren Lokalausgaben der beiden Stuttgarter Blätter: etwa an den "Blick vom Fernsehturm" oder die "Nordrundschau". Darauf folgte eine ebenso geschrumpfte wie verwässerte Variante, "Aus den Stadtteilen" genannt. Und jetzt noch der erzwungene Abgang von 55 Redakteur:innen in der Gemeinschaftsredaktion von "Stuttgarter Zeitung" (StZ) und "Stuttgarter Nachrichten" (StN), was fast einem Viertel entspricht. Nach diesem Kahlschlag blitzen die 23 Stadtbezirke der Landeshauptstadt unter "Stuttgart und Region" nur noch punktuell auf. Auf eine "lokale" Spitzmarke wird fast gänzlich verzichtet, was die Kundschaft ziemlich orientierungslos zurücklässt. Vom Inhaltlichen ganz zu schweigen.

Nicht nur kündigende Abonnenten:innen kritisieren diese Entwicklung, auch von Seiten der Politik hagelt es immer wieder Kritik. "Kommunalpolitik braucht einen starken Lokaljournalismus" überschrieben die Landräte aus Böblingen, Esslingen, Rems-Murr, Ludwigsburg und Göppingen Anfang des Jahres ihren Brandbrief an die Geschäftsführer der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) und der Tochter Medienholding Süd (MHS). Ihre Pressebänke blieben leer, klagen sie, und das sei demokratieschädlich. (Kontext berichtete).

Wenigstens gibt es noch das "Blättle Süd"

Noch näher an der Basis ist Raiko Grieb, Bezirksvorsteher von Stuttgart-Süd und stellvertretender Referatsleiter im Wirtschaftsministerium. "Man merkt, dass es für die Kommunalpolitik schwieriger wird", sagt der SPD-Politiker. Vorankündigungen der öffentlichen Sitzungen und ihre Tagesordnung, einst eine Selbstverständlichkeit, erscheinen oft nur noch im Stuttgarter "Amtsblatt". Immer weniger Bürger:innen kommen. Grieb bedauert den "Rückzug" der beiden Stuttgarter Zeitungen. "Es fehlt die tagesaktuelle Berichterstattung", betont er. Früher sei immer eine Redakteurin da gewesen für StZ und StN, die sei vertraut gewesen mit dem Stadtbezirk. Sie kommt nicht mehr, stattdessen ploppen Fehlinformationen in den sozialen Netzwerken auf. "Wir hatten schon den Gedanken, journalistische Arbeit aus dem Bezirksbudget zu finanzieren", erzählt Grieb. Sein Glück ist Titus Häussermann, der ehemalige Geschäftsführer des Silberburg-Verlags. In seinem "Blättle Süd" findet noch Journalismus statt. "Er recherchiert, deckt auf, kommt selbst in die Sitzungen", freut sich Grieb.

Den Bürger:innen entgehe immer mehr von dem, was in öffentlichen Sitzungen beschlossen werde, weiß auch Jörg Trüdinger. Der SPD-Fraktionssprecher im Stuttgarter Osten, Organisator des großen Flohmarkts auf dem Karlsplatz, ist seit 18 Jahren Bezirksbeirat. Er berichtet von fünf Journalist:innen (StZ, StN, "Cannstatter Zeitung", dem Stuttgarter "Wochenblatt" sowie dem Organ des Handels- und Gewerbevereins "Stadtteil aktuell"), die berichtet haben. Heute Fehlanzeige. Und dabei bräuchten sie die Presse mehr denn je. Als Druckmittel gegen die Stadträte, die genau wissen, dass die Bezirksbeirät:innen nur beratende Funktion haben. Trüdinger befürchtet, dass wichtige Projekte für den Stadtbezirk quasi "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" besprochen werden. Das ist so in der Gemeindeordnung nicht vorgesehen.

Selbige verpflichtet die Städte, ihre Bürgerinnen und Bürger über die "allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde" zu unterrichten. Sven Matis, Leiter der Pressestelle der Landeshauptstadt, weiß, dass das schwierig ist. Den Rückzug des Stuttgarter Pressehauses aus dem Lokalen sieht er als Entwicklung wie in vielen anderen deutschen Städten. "Dahinter stehen wirtschaftliche Zwänge", beschreibt er, "aber auch veränderte Interessen des Publikums". Entsprechend reagiere das Rathaus. Mit dem Bespielen verschiedener Kanäle wie Twitter, Facebook, Instagram, mit Pressemitteilungen und "Amtsblatt", die demnächst eine "frische, zeitgemäßere Gestalt" bekommen sollen.

Im Referat für Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht verweist man auf die verlorene Vielfalt. Die Presse beschränke sich inzwischen auf die "ganz großen Themen", so Markus Rehm, persönlicher Referent von Bürgermeister Fabian Mayer. Heute seien sie froh, wenn ein, zwei Redakteure auftauchten. "Wenn dann ein und derselbe Bericht in mehreren Zeitungen erscheint", sagt Rehm, "ist eben die Pressevielfalt dahin, dann gibt es nur noch diese eine Quelle".

Auch die Kulturveranstalter leiden und suchen nach Auswegen. Etwa der vor 24 Jahren gegründete Kulturhausverein Untertürkheim. Damals wollte man die Kultur wieder zurück in die Stadtbezirke bringen, so Rainer Deiss, der Vorsitzende. Die Kleinkunstbühne in der Strümpfelbacher Straße bietet ein breites Spektrum von Theater, Kabarett, Lesungen – und findet medial kaum statt. Das war noch anders, als die "Eßlinger Zeitung" eigenständig und kein Appendix der Stuttgarter Blätter war. Heute ist der Platz im Veranstaltungskalender eher zufälliger Natur.

Der Konzern hat eine Idee: öffentliche Subventionen

Daraus entsteht eine fatale Spirale. Es kommen nur noch "Eingeweihte", es entsteht der Eindruck einer "lokalen, kulturellen Verödung", es schwinde das Interesse, selbst aktiv zu werden, und es entwickle sich eine generelle Uninformiertheit über viele brennende lokale Probleme: Grundversorgung der Bevölkerung, Wohnungsleerstand, Betrieb und Ausbau der Neckar-Schleusen, Abbau von Post- und Bank-Dienstleistungen. Resümee: Die oberen Neckarvororte haben keine Lokalpresse mehr.

Also müssen Alternativen her. Eine könnte der Blogger Klaus Enslin sein, der bereit ist, seine Plattform auszubauen zugunsten oben genannter Themen. Den Startschuss dazu hat ein Runder Tisch beim Kulturverein Untertürkheim gegeben, der 30 Interessierte um sich versammelt hat. Weiter gehen könnte es auch mit einer eigenen Internetzeitung. Auf dem Weihnachtsmarkt wollen sie mit einer Glocke herumgehen und die Alternative zur "verschwundenen Lokalpresse" ausrufen.

Die Nummer eins: die SWMH

Die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) hat den Axel-Springer-Verlag als Nummer eins bei der deutschen Tagespresse abgelöst. Sie ist jetzt die umsatzstärkste Gruppe. Das hat sie auch durch die zahlreichen Übernahmen kleinerer Zeitungen geschafft. Daten und Zahlen dazu sind in der 2020 erschienenen Studie von Horst Röper nachzulesen, die den bezeichnenden Titel trägt: "Schrumpfender Markt und sinkende Vielfalt". Sie erklärt vieles, nur nicht, warum der Stuttgarter Konzern öffentliche Subventionen braucht.  (jof)

Heftige Kritik an der lokalen Presse kam auch aus Stuttgart-Hedelfingen. Wie die lokale Internetzeitung "Wilih" (Was ist los in Heuriedbuch) berichtete,  erschienen im Oktober Holger Gayer (Geschäftsführender Redakteur bei den StZN) und Malte Busato (Chief Sales Officer der Südwest Media Network) zum Gespräch im dortigen Bezirksbeirat. Laut "Wilih" lieferte Gayer, der ein Vierteljahr zuvor noch versprochen hatte, die "ganze Bandbreite des kommunalen Lebens" abzubilden, eine ernüchternde Analyse: Jährlich sechs Prozent weniger Abonnenten, ein zu geringer Umsatz bei den Online-Abos und seit 20 Jahren sinkende Anzeigenerlöse. Eine Rückkehr zu mehr Lokaljournalismus sei derzeit nicht denkbar, konstatierte der frühere StZ-Lokalchef, da nicht wirtschaftlich.

Für dieses Problem zauberten die beiden dann doch noch eine phantastische Idee aus dem Hut: ein Newsletter mit Lokalkolorit. Die Neckarvororte könnten hierfür ein Pilotprojekt sein. Aber nur dann, wenn der Pressekonzern öffentliche Subventionen dafür erhalte.


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7 Kommentare verfügbar

  • Thomas Albrecht
    am 12.12.2022
    Antworten
    Ich bin einer von denen, die sich ein SWMH-Abo (online) leisten. Ohne Lokalzeitung kann man sich in die Lokalpolitik nicht einmischen. Warum wäre das eigentlich so schlimm, wenn es eine Plattform für lokale Nachrichten mit öffentlicher Finanzierung geben würde? Vielleicht hätte dann eine breitere…
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