Männer mit gereckten Fäusten – das sieht man auch nicht alle Tage auf dem Parkdeck des Stuttgarter Pressehauses. Die Drucker waren's, die vergangene Woche gegen ihre Kündigung protestierten. Wie in Kontext berichtet, sollen 198 Festangestellte und Aushilfskräfte gehen. Wer mag, könne sich aber wieder bewerben, sagt der Arbeitgeber, und in eine neue Firma (MHS Print) überwechseln, die keinen Tariflohn mehr bezahlt. Bis zu 30 Prozent weniger, rechnet der Konzernbetriebsratsvorsitzende Harald Pürzel vor, der aus München angereist ist und beklagt, dass die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), die Mutter der neuen GmbH, eine "asoziale Personalpolitik" betreibe – bei zweistelligen Umsatzrenditen.
Nicht ausgelastete Druckereien stören solche Margen. In Esslingen ist der "Bild"-Auftrag weggebrochen, in Möhringen sinken die Auflagen von StZ und StN dramatisch, und jetzt entfallen noch die Stadtteilzeitungen, die sogenannten fünften Bücher, was neue Probleme schafft. Sie werden in Lokalteile gezwängt, die bei der Kundschaft auf große Säuernis stoßen. In Kemnat etwa wird sie mit seitenlangen Berichten aus Esslingen traktiert, in Gerlingen mit Leonberg. Ein Verwirrspiel, das offenbar auch dessen Erfinder an den Rand der Verzweiflung getrieben und das Erscheinen der Zeitung gefährdet hat. Bei voller Belegschaft. Wie das wohl wird, wenn künftig ein Viertel fehlt?
Die liebe Leserschaft wird immer saurer
Aber die Eigen-PR für die neue Blattsparstruktur macht Mut. Das Ziel sei "Nahe dran zu sein an Ihnen", mit Beiträgen "von hoher Relevanz, in der Tiefe schürfend und mit Weitblick", schreiben die Führungskräfte. Nur die "lieben Leserinnen und Leser" scheinen nicht wirklich überzeugt. Der Betriebsrat spricht von Hunderten von Abo-Kündigungen, die Chefetage beruhigt ihre Mitarbeiter:innen mit der Botschaft, es sei "weniger schlimm" als erwartet, und die Rotationen spucken noch weniger Zeitungen aus.
Auch im redaktionellen Bereich schreitet der Kahlschlag zügig voran. Hier findet sich die tariflose ZGS Digital GmbH, das "Herzstück der Zeitungsgruppe Stuttgart (ZGS)", die Sammelstelle für die Inhalte von StZN, Eßlinger und Cannstatter Zeitung, der Böblinger Kreiszeitung, der Fellbacher Zeitung, der Leonberger Kreiszeitung, der Marbacher Zeitung sowie der Kornwestheimer Zeitung. Und weil die Führungsriege meint, nur noch aufs Digitale setzen zu müssen, werden künftig Redakteur:innen eben dort angestellt. Zu sehen in der aktuellen Stellenausschreibung für die Berliner Büroleitung.
Der bisherige Berliner Chef Christopher Ziedler wird das Haus verlassen, was schon für sich ein herber Verlust ist. Er wechselt zum "Tagesspiegel". Nun ist klar, dass auch seine Kollegin Katja Bauer geht, seit 20 Jahren berichtet sie aus Berlin. AfD, Extremismus, Populismus, innere Sicherheit sind ihre Themen, mit denen sie sich einen Namen gemacht hat. "Ein herber Verlust", heißt es aus dem Haus. Sie wird Redenschreiberin für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Bauer selbst will zu ihrem Weggang nichts sagen.
Wer demnächst den Job als neue:r Büroleiter:in in Berlin bekommt, kann sich darauf freuen, die "digitale Transformation eines der größten deutschen Medienhäuser aktiv" mitzugestalten, wie es in der Ausschreibung heißt. Angeboten werden dafür 30 Urlaubstage, Weiterbildung, "Karrierechancen" und das "Beste aus zwei Welten", nämlich: "Agile und dezentrale Firmen und Einheiten, eingebettet in die Stabilität einer Holding". BWL-Geschwurbel der gewöhnlichen Art, über das viele der 37 Journalist:innen, die das Abfindungsprogramm angenommen haben und das Haus verlassen, höchstens müde lächeln dürften. Zu den 37 kommt noch etwa ein Dutzend Abgänge von Rentner:innen oder Menschen, die gekündigt haben, erläutert der Betriebsrat in einem Schreiben, das Kontext vorliegt und in dem die Namen der Gehenden stehen, damit die Verbleibenden sich von ihren Kolleg:innen verabschieden können.
Vor allem Lokalredakteur:innen fliehen
Journalist:innen mit Anspruch leben von ihrer Erfahrung. Über Jahre bauen sie Netzwerke auf, lernen die mehr oder weniger wichtigen Menschen ihres Themenbereichs kennen, um das, was passiert, einordnen zu können. Wenn langjährige, ambitionierte Redakteur:innen gehen, hinterlassen sie eine große Lücke, wenn viele langjährige Redakteur:innen gehen, wird die Lücke noch größer. Die Berichterstattung zum Thema Schule und Kita in Stuttgart haben bislang Inge Jacobs und Barbara Czimmer gestemmt, auf Landesebene war Renate Allgöwer für diese Themen die Fachfrau. Alle drei gehen.
7 Kommentare verfügbar
Paul Herrmann
am 01.08.2022Völlig unnötig ist allerdings der Satz in der Übersicht, dass die von Frau Dake geschickte Liste "nicht gendert" ist.
Ich persönlich bin froh um jeden, der diesen neumodischen, aufgezwungenen, unnötigen Blödsinn nicht mit…