Die beiden Jungs gehen seit Wochen Geschichten erzählen. Sie pilgern zu Ministern, Fraktionschefs, Oberbürgermeistern und Landräten, per pedes oder Zoom, und sagen ihnen ihre Verse auf. Es sind im Wesentlichen derer drei. Erstens bedauern sie den Verlust von 55 Arbeitsplätzen zutiefst, aber daran ist die wirtschaftliche Lage schuld. Die ist, im Vergleich zu früher, schlecht. Zweitens werden sie die journalistische Qualität hochhalten, weil das schon immer so war. Das Lokale dem OB, das Regionale dem Landrat, das Land dem Minister. Drittens erklären sie, so viel Ehrlichkeit muss sein, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Menschen Berichte über ihr tägliches Wirken lesen wollen. Es sei denn, drüber steht: "Frau Oberbürgermeisterin eckt an". Nachzulesen bei "StZ plus" vom 21.10.2021.
Das ist der Burner, das geht durch die Decke, und das ist die Zukunft. Gudrun Weichselgartner-Nopper, First Lady Stuttgarts, parkt ihr BMW-Coupe auf den Stellplätzen der Bürgermeister und betrachtet das Rathaus als Familienbetrieb. Die beiden Jungs, Joachim Dorfs von der "Stuttgarter Zeitung" (57) und Christoph Reisinger (60) von den "Stuttgarter Nachrichten", können die Geschichte nicht oft genug erzählen.
Soweit Kontext die Heimgesuchten verstanden hat, haben sie nur Punkt eins kapiert. Die Ökonomie. Egal, ob es der SPD-Vorsitzende Andreas Stoch, die Oberbürgermeister Boris Palmer und Frank Nopper, die grüne Staatssekretärin Petra Olschowski, die Kreisfürsten der Monopolregion sind – das ist das kleine Einmaleins des Marktes. Abonnements und Anzeigen im Sturzflug, kein Ausgleich im Netz, macht zusammen Miese. Klar. Aber Weichselgartner-Nopper?
Die teuren Alten sollen raus. Und zwar schnell
Die Geschichte erzählen sie sich auch in der Redaktion, weil sie alle nach einer wie auch immer gearteten Zukunft suchen. Die Nopperisierung der Berichterstattung – ist es das? Andere gehen die Dinge anders an und rechnen. Die Geschäftsleitung hat ihren Abfindungsplan vorgelegt, der üppiger ausfällt als die vorherigen und vor allem eines zeigt: Die Leute sollen so schnell wie möglich raus, insbesondere die teuren Alten. Im Angebot sind 0,75 Prozent vom Monatsbrutto mal Dienstjahre bis maximal 115.000 Euro. Die 57- bis 61-Jährigen kriegen noch 30.000 extra, die 62- bis 63-Jährigen 10.000, plus 12.000 Euro "Turbo", wenn sie bis zum 13. April zustimmen. In der Ära Dorfs (seit 2008) und Reisinger (seit 2011) ist das die vierte Abfindungsrunde, nach der mindestens 150 RedakteurInnen das Pressehaus verlassen haben. Gewachsen sind nur ihre Chefredaktionen – bei abnehmendem Sachverstand.
Michael Trauthig, der Betriebsratsvorsitzende in Möhringen, ist seit 25 Jahren bei der StZ, hat viele gehen sehen, geschätzte KollegInnen, die das Weite gesucht haben, um der Enge zu entfliehen. Seit mehr als zehn Jahren gehört der promovierte Historiker dem Gremium an, seit 2015 ist er dessen Vorsitzender und hat erlebt, was den Gehirnen des Managements so entsprungen ist: Die Fusion der Redaktionen von StZ und StN, das "Medienhaus 1.0", das "Medienhaus 2.0", und jedes Mal wurde als großer Wurf verkündet, was ein schlichtes Sparprogramm war. Die Abschaffung der Ressorts soll weltweit sogar einmalig sein.
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Worf
am 17.06.2022Es scheint keinen Fachkräftemangel zu geben, sondern einen Mangel an billigen Arbeitskräften. Diese werden dann auch nach 40 Jahren, in denen sie in die Rentenkasse eingezahlt haben, nicht genug zum Leben übrig behalten, während die…