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Stuttgarter Pressehaus

Auflösung einer einst stolzen Zeitung

Stuttgarter Pressehaus: Auflösung einer einst stolzen Zeitung
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Die StZN erfinden sich wieder einmal neu. Statt Politik und Wirtschaft sind Liebe und Partnerschaft angesagt. Das braucht weniger Leute, wird mehr gelesen und ist die Zukunft im Netz. Zurück bleibt eine fassungslose Redaktion, die 55 Stellen verliert und fragt, wem hier die Tassen im Schrank fehlen.

Am Ende der Nachricht hängen drei kotzende Emojis. "Ich kann nicht sprechen", schreibt der Kollege, "ich bin sprachlos". Um ihn etwas aufzumuntern, empfehlen wir, sich doch für das Thementeam "Liebe/Partnerschaft" zu bewerben. Die Antwort ist kurz und gallig: "Zu alt, zu teuer, kein Sexappeal". Ein Fetzen nur aus vielen Kontakten der vergangenen Tage, aber einer, der das Elend auf den Punkt bringt. Zu beklagen ist die unaufhaltsame Auflösung einer einstmals stolzen Zeitung.

Es erzählen Redakteurinnen und Redakteure der "Stuttgarter Zeitung", die fassungslos einem Unternehmen gegenüberstehen, das eine "regionale Medienhaus-Strategie 2.0" ausgerufen hat, die wie ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod erscheint. Künftig soll es nur noch bienenfleißige Storyteller geben, die vieles sein dürfen, nur keine Spezialisten, die sich der Flexibilität widersetzen. Klassische Ressorts wie Politik, Wirtschaft, Kultur werden abgeschafft und durch 22 Teams ersetzt, die Namen tragen wie "Freizeit/Unterhaltung", "Kriminalität/Innere Sicherheit", "Stadtleben/Events" oder, wie erwähnt, "Liebe/Partnerschaft". Die FAZ titelt "Ressortchefs raus, Digitalklicks rein" und sieht eine radikale Ausrichtung aufs Internet. Wie das bunte Allerlei in die Papierzeitung übertragen werden kann, weiß kein Mensch, ist aber auch nicht wichtig.

Weihnachten gab's noch Schokolade

Das komme einer Revolution gleich, glaubt die Chefredaktion, das sei einmalig in Deutschland. Abgekupfert in Amerika, halten Spötter dagegen. Ein "journalistischer Offenbarungseid", sagt eine Kollegin. Kurz vor Weihnachten haben sie von ihren Vorgesetzten noch eine Tafel Ritter Sport "Goldschatz" ins Homeoffice geschickt bekommen, verbunden mit dem Dank, dass viele Projekte "nur durch Ihren Einsatz" realisiert werden konnten. Für das neue Jahr wünsche man "viel Glück und Gesundheit".

Keinen Monat später, am 19. Januar 2022, sitzen dieselben Führungskräfte in einer Videokonferenz, um der Belegschaft ihre Hiobsbotschaft zu überbringen. Die Chefredakteure Joachim Dorfs ("Stuttgarter Zeitung"/StZ), Christoph Reisinger ("Stuttgarter Nachrichten"/StN), der Geschäftsführer der Medienholding Süd (MHS) Herbert Dachs, der designierte geschäftsführende Redakteur Holger Gayer und die Hoffnungsträgerin des Hauses, Swantje Dake, die das Digitale verantwortet. Mehr als 300 Personen sind zugeschaltet, Empörung, Wut, Tränen, Angst nehmen zu, je länger die Veranstaltung dauert.

Was der Betriebsrat als "Desaster", als "Plan ohne Verstand" und Mitarbeiter als "Massaker" geißeln, ist in der Tat ein Kahlschlag von nie dagewesenem Ausmaß: Jede/r Vierte soll gehen, macht 55 Stellen (davon 40 bei den StZN) und ein Einsparziel von 6,8 Millionen Euro. Die Ressortleiter müssen zurück ins Glied, weil sie nichts mehr zu leiten haben. Die Stadtteilzeitungen werden aufgelöst und ins Lokale integriert. Das macht eine Produktionslinie im Druckhaus entbehrlich und kostet voraussichtlich nochmals 20 Arbeitsplätze, die dahinter stehenden Familien nicht mitgerechnet. Sie hätten keine andere Wahl, behaupten Dorfs & Co., die Verleger ließen ihnen keine andere Chance. Sie zeigen sich zerknirscht.

Die Verleger wollen endlich Geld sehen

Man könnte jetzt sagen, für Dorfs böte sich eine Option bei der Industrie- und Handelskammer, wie es gerüchteweise hieß, aber das wäre nur eine individuelle Lösung. Strukturell ist sie schwierig, wie eine interne Dokumentation der Medienholding Süd (MHS), die zur Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) gehört, belegt. Unter der Überschrift "Wirtschaftlicher Handlungsdruck" weist die MHS (StZ, StN, "Eßlinger Zeitung", "Böblinger Bote") miserable Daten aus: elf Prozent Umsatzrückgang, Einbruch der Werbeerlöse um 30 Prozent. Die digitalen Reichweiten rutschen, Schuld ist die "allgemeine News-Verdrossenheit", die Papierpreise steigen um 82 Prozent gegenüber dem Vorjahr, der Mindestlohn erhöht sich, die Kurzarbeit fällt weg, und zu allem Übel hat Springer auch noch seinen Druckauftrag für die Bildzeitung beim 2017 gekauften Eßlinger Bechtle-Verlag gekündigt. "Der Arsch geht auf Grundeis", fasst ein früherer Topmanager zusammen.

Alles drückt auf die Bilanzen der Gesellschafter, die offenbar keine Lust mehr haben, Jahr für Jahr auf ihre Dividenden zu verzichten. Viele von ihnen, insbesondere die kleineren, haben immer noch schwer zu schlucken am Kauf der "Süddeutschen Zeitung", die einst 750 Millionen Euro gekostet hat. Für 80 Prozent der Geschäftsanteile.

Jetzt stimmen sie einer Harakiri-Aktion zu, die ihre eigenen Ansprüche, zumindest in den Sonntagsreden, ad absurdum führt. Bildung, Orientierung, vierte Gewalt, ja wo sind sie denn? Stattdessen the same procedure as every year: Sparen, meist auf Kosten des Personals, das hinausbefördert oder, wie der Restbestand im Pressehaus, "kreuz und quer" durch die Redaktion versetzt wurde. Ohne Rücksicht auf Qualifikationen und persönliche Befindlichkeit, sagt ein Lokalredakteur, der es "aufgegeben" hat, die Spar- und Abfindungsrunden zu zählen. Jetzt wird es noch toller, jetzt wird direkt auf den Bauch gezielt. Das Stichwort lautet Leserbindung.

Die Digitalchefin ist die Gewinnerin

Reporter arbeiten in Teams, heißt es, die "nach Reichweiten- und Abozielen gesteuert werden". Das verheißt nichts Gutes beziehungsweise verschlimmert nur das Vorhandene. Wenn es im Bett nicht mehr klappt, der Schwertmord am Fasanenhof, das Rumpsteak grüßt, die Gehälter beim Daimler – das ist die "Fokussierung auf die wirklich relevanten Geschichten", die es zu optimieren gilt. Angeblich hat die Geschichte über die Verdienstmöglichkeiten beim Autobauer granatenmäßig gezündet, derart nachhaltig, dass sie zur Blaupause für die Thementeams wurde. Seitdem hört eines auf den Namen "Automobilwirtschaft". Da hält nur noch die Geschichte über "Frau Oberbürgermeisterin" Nopper mit, die einen eigenen Parkplatz am Rathaus will. Die ist durch die Decke gegangen.

Das freut die Digitalchefin Dake, die 2015 von der Wundertüte "stern.de" gekommen ist und sich nach eigener Einschätzung als "Nervensäge mit dem Digitalmantra" empfohlen hat. Folgt man ihrer Tätigkeitsbeschreibung, notiert im November 2021 zum 75-jährigen Jubiläum der "Stuttgarter Nachrichten", dann misst sie täglich, welche Geschichten "Sie, liebe Leserinnen und Leser" besonders schätzen. Ihre Interessen, schmeichelt sie, seien Grundlage und Ansporn für ihre Arbeit. Das mag so manches gestandene Mitglied der Redaktion nicht unbedingt unterschreiben, weil man ja auch eine eigene Meinung haben könnte beziehungsweise einen grundgesetzlichen Auftrag hat, aber die Klickzahlen weisen 2020 als das erfolgreichste Digitaljahr von StZN aus. Monatlich 6,4 Millionen Nutzer, 61 Prozent mehr als im Vorjahr, bis dato 16.000 voll zahlende Abonnenten. Aber Obacht. Die User von heute sind volatil, und zahlen wollen sie auch nicht, was bereits in 2021 zu einer "Underperformance" , so die MHS, führte.

Die Latte liegt also hoch. Dake will das Printhaus in ein digitales Medienhaus "verwandeln", das sei zwar "hölleanstrengend", meint die 43-Jährige, aber mache ihr Tag für Tag Freude. Das spricht für eine hohe Belastbarkeit, ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, die Lust aufs Entpolitisieren und die Zuversicht, im Dschungelcamp überleben zu können. So ist sie 2020 in die Top Ten der regionalen ChefredakteurInnen geklettert, zur wichtigsten Figur in der journalistischen Führungsriege geworden und wird, als nächster Karriereschritt, auch noch in die Geschäftsleitung der Medienholding Süd einziehen. Das ist praktisch, weil man dann nicht mehr zwischen Anzeigenabteilung und Redaktion trennen muss. Im MHS-Sprech heißt das "Führung aus einer Hand", was es den Thementeams gewiss erleichtert, den Vorgaben von oben zu folgen, die ausweisen, wieviel Digitalabos sie generieren sollen. Man könnte es auch journalistisches Rotlicht nennen.

Die StZ-Auflage hat sich nahezu halbiert

Nun sind nackte Zahlen das eine, ihre Aussagekraft das andere. Geld verdienen die Verleger nach wie vor mit ihren Papierzeitungen, der Digitalanteil liegt meist bei unter zehn Prozent. Aber weil sie auch nicht mehr an das Gedruckte glauben, es verludern lassen und nicht mehr investieren, setzt sich dessen Negativtrend ungebremst fort. Die Auflage der "Stuttgarter Zeitung" hat sich in den vergangenen 15 Jahren nahezu halbiert und liegt mittlerweile bei 82.000 Exemplaren. Gestiegen ist immer nur der Preis, gefallen die Qualität.

Dazwischen wurde "Der neue Stuttgarter Weg" eröffnet. 2015 war es, als SWMH-Geschäftsführer Richard Rebmann befand, StZ und StN müssten ihre Redaktionen zusammenlegen, wobei schon damals von höherer Flexibilität die Rede war. Selbige zeigte sich zumindest im Streichen von Stellen, 35 an der Zahl, und in der listigen Täuschung des Publikums, dem weiterhin zwei unterscheidbare Titel versprochen wurden. Am Ende waren sie eben doch austauschbar. Sechs Jahre später bleiben von den 24 Exklusivautoren, die den Unterschied ausmachen sollten, noch traurige drei.

Und jetzt? Wird wieder einmal gefragt, wer weg will? Es gibt ein sogenanntes Freiwilligenprogramm, das allen die Freiheit verspricht, zu wählen zwischen Gehen und Bleiben, und dennoch nur ein Scheinangebot ist. Es werden keine 55 sein, die sich abfinden lassen, und dann kommen die Kündigungen. Kurz nach der Benachrichtigung über den Kahlschlag sagt Chefredakteur Joachim Dorfs im Fernsehen: "Wir werden die Qualität hochhalten".


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21 Kommentare verfügbar

  • Emilia Landowski
    am 17.02.2022
    Antworten
    Die StZN hat ihr Layout geändert. Heißt das, wenn Geschäftsleitung und Redaktion die Leser inhaltlich nicht überzeugen können, dann soll wenigstens optisch Aufbruchsstimmung verbreitet werden? Die Deutung des neuen Layouts überlasse ich anderen, inhaltlich spricht man in Möhringen neuerdings jedoch…
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