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Stuttgarter Pressehaus

"Wir sind schockiert!"

Stuttgarter Pressehaus: "Wir sind schockiert!"
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Ein Akt der Verzweiflung, ein Hilferuf? Auf jeden Fall ein Manifest gegen eine Manager-Riege, die eine "historische Umwälzung" will und nicht weiß, was sie tut. Dagegen wehren sich 227 Beschäftigte im Stuttgarter Pressehaus mit einem Brief in bisher einmaliger Schärfe.

In eigener Sache sind JournalistInnen eigentlich selten laut, was sich auch darin ausdrückt, dass sie kaum streiken. Selbst die Banker sind hier weiter. Das hat mit ihrem Selbstverständnis zu tun, das ihnen das Gefühl vermittelt, eher eine künstlerische Natur zu sein als eine lohnarbeitende, womit sich eine Affinität zum Arbeitskampf weitgehend ausschloss. Im Zuge der Entwicklung des Pressewesens, die sich als sehr bedrückend darstellte, erwies sich diese Einschätzung zwar als ziemlich weltfremd, aber haltbar. Für die Gewerkschaften sind sie deshalb unsichere Kantonisten, mit denen sie ungern in den Streik ziehen.

So auch in diesem Jahr. Wieder einmal standen Tariferhöhungen an, im untersten einstelligen Bereich, die von der Deutschen Journalistenunion (dju/Verdi) nicht tatenlos hingenommen werden wollten - von ihrem Mitverhandler, dem Deutschen Journalistenverband (DJV), aber schon. In diesem Berufsverband fühlen sich auch Chefredakteure zuhause, die wenig Lust haben, auf der Straße zu stehen, zumal für 1,5 Prozent mehr Lohn. Also hat sich der DJV flink mit den Verlegern geeinigt und Verdi war auch nicht allzu traurig, weil das Theater mit den Pressebengels einem echten Gewerkschafter eigentlich immer suspekt war.

Sauer waren sie in Stuttgart, einem der letzten gallischen Dörfer der Widerborstigkeit. Zumindest wenn's ums Streiken ging. "Ganz entschieden" protestierte der dju-Landesvorstand bei der Berliner Verdi-Zentrale, nachdem die KollegInnen von "Stuttgarter Zeitung" (StZ) und "Stuttgarter Nachrichten" (StN), zusammen StZN, für den Kampf gestimmt hatten. Und das aus gutem Grund. Nicht wegen der 1,5 Prozent, sondern wegen ihrer beruflichen Existenz, wegen ihrer Zukunft. In der Tat, es hätte eine Bühne werden können, auf der sie ihre Lage und jene der ganzen Branche hätten öffentlich machen können. Das eigene Blatt war ja Sperrgebiet.

Niemand weiß, wer die Schnapsidee geboren hat

So schrieben 227 Beschäftigte, also 80 Prozent der Redaktionsmitglieder, einen Brief an alle großen und kleinen Gesellschafter der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), an die Geschäftsführer und Chefredakteure, die nicht weniger von ihnen verlangen als eine "historische Umwälzung" und dies nichts anderes ist als ein Offenbarungseid. Wieder mal Stellen weg, diesmal 55, wieder ein redaktioneller Umbau, der allerdings derart absurd ist, dass die Zusammenlegung beider Redaktionen anno 2015 geradezu als genial betrachtet werden kann. Man kann es nicht oft genug sagen: Keine Ressorts mehr, stattdessen Thementeams, die sich um "Liebe und Partnerschaft" und um "Freizeit und Unterhaltung" kümmern sollen. Dies sei, schlussfolgern die KollegInnen, eine "Katastrophe". Strukturell und inhaltlich. Sie hätten auch noch intellektuell hinzufügen können. Bis heute weiß niemand, wer die weltweit exklusive Schnapsidee geboren hat und welcher Verleger warum zugestimmt hat.

Ihr Brief ist voller nie dagewesener Bitterkeit. Ein Manifest gegen eine Managerriege, die in ihren Augen (und die sehen es klar) alles zerschlägt, was diese Zeitungen einmal ausgemacht hat: die Qualität, die Köpfe, der Anspruch. Ihre Fragen kommen wie Kanonenschläge: Warum soll das Publikum für Inhalte zahlen, die keinen Mehrwert haben? Warum die zunehmende Boulevardisierung? Wie ernst nehmen wir unsere KundInnen noch? Warum gilt nur noch der Blick auf die Zahlen? Was unterscheidet uns noch von Angeboten, die nur auf Quote schielen? Warum werden Identität und Glaubwürdigkeit zerstört? Erfüllen wir unseren Anspruch noch, die Vierte Gewalt zu sein, die Mächtigen zu kontrollieren? Alles Fragen, die an den Grundfesten einer Presse rütteln, die von sich behauptet, demokratierelevant zu sein. Der Brief endet mit der Forderung: "Lassen Sie ab von diesem radikalen Kurs!"

Zu erwarten ist das nicht. Das einzige, was sich bisher geändert hat, ist das verbale Marketing jenen gegenüber, die sich kritisch zu Wort gemeldet haben, im Pressehaus als Entscheider identifiziert worden sind und die Seele massiert bekommen sollen. Welcher Kommunikationsguru auch immer dies empfohlen haben mag, seit Wochen bietet die Chefetage Gespräche an: sei's Stuttgarts OB Frank Nopper, Tübingens OB Boris Palmer, den grünen Landespromis Winfried Hermann und Petra Olschowski, den Landräten aus der Metropolregion, der grünen Fraktionsspitze im Regionalparlament. Und wir werden den Verdacht nicht los, dass sie die Liste mithilfe von Statements in Kontext (etwa hier und hier) zusammengestellt hat.

Manager Dachs könnte auch Schrauben verkaufen

Schnell ging es mit den Landräten. Zwei Wochen nach ihrem Offenen Brief an die Geschäftsführung der SWMH und ihrer Tochter Medienholding Süd (MHS), in dem sie das Verschwinden des Lokalen beklagten, saßen sie mit Joachim Dorfs in einer Videokonferenz. Der StZ-Chefredakteur versicherte einmal mehr die Hochhaltung der Qualität bei gleichzeitiger Reduktion der Redaktion. Die Kreisfürsten schlossen daraus, dass es bei dem Spagat wohl gut wäre, ein "ergänzendes Informationsangebot" zu machen, das über die sozialen Medien ausgespielt werden könnte. Landrat Roland Bernhard aus Böblingen nennt das eine "Neuausrichtung", mit der er aber die Vierte Gewalt nicht überflüssig machen will. Das erledigt sie selbst. Aber, wer weiß, vielleicht entstehen hier neue Arbeitsplätze. Zusätzlich zu denen in den Pressestellen von Unternehmen, Verbänden und Ministerien, in die sich viele vor dem großen Kahlschlag gerettet haben.

Schriftlich äußert sich MHS-Geschäftsführer Herbert Dachs, dem die Betriebswirtschaftslehre offensichtlich in die Wiege gelegt worden ist. Er bittet die Regional-Grünen, die den Stellenabbau "mit großer Sorge" sehen, ihren Blick nicht nur auf diesen "betriebswirtschaftlichen Aspekt" zu richten, sondern auf seine "sehr viel differenzierteren" Maßnahmen, die darauf abzielten, in einem schwierigen Markt "zukunftsfähig" zu sein. Fest stehe dabei, dass "unser Geschäftsfeld" der lokale und regionale Journalismus ist und bleibe. Sehr ausgeklügelt schafft er beispielsweise die Stadtteilzeitungen ab und dünnt die Außenredaktionen aus, die in seinem "Geschäftsfeld" zu hohe Kosten verursachen als wären es Schlauchschellen von Schrauben-Würth.

Hauptsache, das Duschwasser fließt ab

Auch in der Korrespondenz mit seiner Kundschaft ist es die Ökonomie, die alles bestimmt, wobei ihm irgendjemand gesagt haben muss, dass es in diesem Pressewesen mal um mehr als um Geld gegangen ist. Ein Absatz aus einem Dachs-Brief an eine Leserin, die sich über die "Seichtigkeit" und ständig höhere Abopreise empörte, mag das verdeutlichen: "Es ist unabdingbar, dass wir als Medium in einer demokratischen Ordnung unserem Auftrag an eine neutrale, sachliche und faktisch richtige Berichterstattung gerecht werden. (…) Das ist uns aber nur möglich, wenn Sie auch zukünftig bereit sind, für die Leistung einen angemessenen Preis zu bezahlen und Ihr Vertrauen in die Unabhängigkeit unserer Inhalte nicht verlieren." Dann werde die Medienholding Süd eine "starke publizistische Kraft" in Baden-Württemberg bleiben. Die Frau sagt, sie habe große Zweifel, ob das, was ihr dieser Mann erzähle, von Nutzen sei.

Auf eine Antwort warten noch die Bezirksbeiräte aus dem Stuttgarter Süden. Sie versammeln sich unter einem Offenen Brief an die SWMH-Geschäftsführung alle Parteien: von den Grünen, über CDU, SPD, FDP bis zu Puls und den Freien Wählern. Ihr Thema ist die unterste kommunalpolitische Ebene, vielleicht die wichtigste und angewiesen auf einen Journalismus, der die notwendigen Informationen liefert. Sie fragen sich, wie das "temporäre Thementeams" und "flexible Reporter" zwischen "Events" und "Freizeit" bewerkstelligen sollen? Folgt man dem Brief der Belegschaft, dann gibt es darauf keine Antworten. Die Verantwortlichen wüssten es nicht, schreiben die KollegInnen, "gute Frage, das müsse man noch klären".

Da trifft es sich gut, dass das Pressehaus etwas "Großes" zu offerieren hat, mit dem es täglich "ein Stück besser" werden will: mit dem digitalen Angebot auf stuttgarter-zeitung.de, das in ein "frisches Gewand" gekleidet sei. Am Montag, 21.2.2022, 13.32 Uhr, erfreut es unter der Rubrik Wissen mit dem Versprechen zu zeigen wie ein verstopfter Duschabfluss zu reinigen ist. In zwei einfachen Schritten und ganz ohne Chemie. Aber keine Sorge, beruhigt das Pressehaus in einer Mail an seine AbonnentInnen, manche Dinge blieben gleich: "Unser Journalismus mit Haltung – aus Stuttgart, für die Region, über die Welt".


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1 Kommentar verfügbar

  • Claudia Heruday
    am 23.02.2022
    Antworten
    Es ist nichts hinzuzufügen. Der Brief der 227 trifft es genau.
    Als Schon-immer-die-Zeitung-Leserin leide ich überaus an dieser Entwicklung. Die Abo-Kündigung habe ich bisher immer nur in kritischen Briefen an die StZ angedroht. Die gefühlte "Selbst-Amputation" wird letztendlich aus finanziellen…
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