In eigener Sache sind JournalistInnen eigentlich selten laut, was sich auch darin ausdrückt, dass sie kaum streiken. Selbst die Banker sind hier weiter. Das hat mit ihrem Selbstverständnis zu tun, das ihnen das Gefühl vermittelt, eher eine künstlerische Natur zu sein als eine lohnarbeitende, womit sich eine Affinität zum Arbeitskampf weitgehend ausschloss. Im Zuge der Entwicklung des Pressewesens, die sich als sehr bedrückend darstellte, erwies sich diese Einschätzung zwar als ziemlich weltfremd, aber haltbar. Für die Gewerkschaften sind sie deshalb unsichere Kantonisten, mit denen sie ungern in den Streik ziehen.
So auch in diesem Jahr. Wieder einmal standen Tariferhöhungen an, im untersten einstelligen Bereich, die von der Deutschen Journalistenunion (dju/Verdi) nicht tatenlos hingenommen werden wollten - von ihrem Mitverhandler, dem Deutschen Journalistenverband (DJV), aber schon. In diesem Berufsverband fühlen sich auch Chefredakteure zuhause, die wenig Lust haben, auf der Straße zu stehen, zumal für 1,5 Prozent mehr Lohn. Also hat sich der DJV flink mit den Verlegern geeinigt und Verdi war auch nicht allzu traurig, weil das Theater mit den Pressebengels einem echten Gewerkschafter eigentlich immer suspekt war.
Sauer waren sie in Stuttgart, einem der letzten gallischen Dörfer der Widerborstigkeit. Zumindest wenn's ums Streiken ging. "Ganz entschieden" protestierte der dju-Landesvorstand bei der Berliner Verdi-Zentrale, nachdem die KollegInnen von "Stuttgarter Zeitung" (StZ) und "Stuttgarter Nachrichten" (StN), zusammen StZN, für den Kampf gestimmt hatten. Und das aus gutem Grund. Nicht wegen der 1,5 Prozent, sondern wegen ihrer beruflichen Existenz, wegen ihrer Zukunft. In der Tat, es hätte eine Bühne werden können, auf der sie ihre Lage und jene der ganzen Branche hätten öffentlich machen können. Das eigene Blatt war ja Sperrgebiet.
Niemand weiß, wer die Schnapsidee geboren hat
So schrieben 227 Beschäftigte, also 80 Prozent der Redaktionsmitglieder, einen Brief an alle großen und kleinen Gesellschafter der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), an die Geschäftsführer und Chefredakteure, die nicht weniger von ihnen verlangen als eine "historische Umwälzung" und dies nichts anderes ist als ein Offenbarungseid. Wieder mal Stellen weg, diesmal 55, wieder ein redaktioneller Umbau, der allerdings derart absurd ist, dass die Zusammenlegung beider Redaktionen anno 2015 geradezu als genial betrachtet werden kann. Man kann es nicht oft genug sagen: Keine Ressorts mehr, stattdessen Thementeams, die sich um "Liebe und Partnerschaft" und um "Freizeit und Unterhaltung" kümmern sollen. Dies sei, schlussfolgern die KollegInnen, eine "Katastrophe". Strukturell und inhaltlich. Sie hätten auch noch intellektuell hinzufügen können. Bis heute weiß niemand, wer die weltweit exklusive Schnapsidee geboren hat und welcher Verleger warum zugestimmt hat.
1 Kommentar verfügbar
Claudia Heruday
am 23.02.2022Als Schon-immer-die-Zeitung-Leserin leide ich überaus an dieser Entwicklung. Die Abo-Kündigung habe ich bisher immer nur in kritischen Briefen an die StZ angedroht. Die gefühlte "Selbst-Amputation" wird letztendlich aus finanziellen…