Was weniger auffiel: 1916 ging Scherls Imperium – laut Eigenwerbung mit Kalendern und Adressbüchern jährlich 300 Millionen Druckwerke – an Alfred Hugenberg. Der stramm rechte Deutschnationale erarbeitete sich eine Monopolstellung in der Anzeigenakquise und damit auch über die Provinzpresse. Schairer übertrieb zwar ein wenig, als er schrieb, "dass vier Fünftel der ganzen deutschen Presse, dazu fast der ganze gewaltige Apparat von Kino und Radio, durch Hugenberg und seine Leute kontrolliert werden." Doch auch Carl von Ossietzky war der Meinung, dass "Hitler auch nicht den Bruchteil seines Erfolges hätte erringen können, wenn nicht die Riesenmacht Hugenbergs hinter ihm gestanden hätte."
Eine Monopolstellung suchte auch Hugo Stinnes zu erringen. "Some say he owns Germany", urteilte 1921 die "New York Times", "Manche sagen, er besitzt Deutschland". Zwei Jahre danach schrieb das ebenfalls in New York erscheinende"Time Magazine": "Sein Ziel ist die Herrschaft über die europäischen Stahlindustrien, und wie alle jene mysteriösen Figuren, die sich im Niemandsland der internationalen Politik bewegen, wird er es so einrichten, dass er gewinnt." Als der Großindustrielle 1924 starb, war er an mehr als 4.500 Unternehmen beteiligt.
Auch Stinnes wollte sich die Presse dienstbar machen. Im Mai 1920 kaufte er das frühere "Sprachrohr Bismarcks", die "Deutsche Allgemeine Zeitung". Diese konnte, als Spielball der Interessen hin- und hergeworfen zwischen Politik und der Industrie, dennoch "während der Weimarer Republik ihre zentrale Stellung auf dem Zeitungsmarkt behaupten und als 'Deutsche Times' firmieren", schreibt die Literaturwissenschaftlerin Barbara Wildenhahn.
Robert Bosch verhindert die Übernahme von rechts
Dieser Schachzug soll Robert Bosch bewogen haben, die Aktienmehrheit des Stuttgarter Zeitungsverlags zu erwerben, zu dem neben den zwei größten Stuttgarter Blättern – also dem "Stuttgarter Neuen Tagblatt" und der "Württemberger Zeitung" – noch die Deutsche Verlagsanstalt (DVA) gehörte. Bosch, der auch von Hugenbergs Manövern gewusst haben wird, wollte den liberalen Geist der württembergischen Presse vor einer Übernahme von rechts beschützen.
Zu den tonangebenden Liberalen im deutschen Südwesten gehörten Friedrich Naumann, Ernst Jäckh und Theodor Heuss. Naumannn, von Beruf Pfarrer, wurde 1907 von Heilbronn aus in den Reichstag gewählt. Im selben Jahr gehörte er mit dem Silberwarenfabrikanten Peter Bruckmann zu den treibenden Kräften bei der Gründung des Deutschen Werkbunds. Heuss war damals sein Privatsekretär, Jäckh Chefredakteur der "Neckar-Zeitung". Als Jäckh 1912 Werkbund-Geschäftsführer wurde, trat Heuss an seine Stelle.
Zu diesem Kreis stieß im selben Jahr auch Erich Schairer, der Heuss zuerst als Naumanns Privatsekretär, dann 1918 als Chefredakteur der Heilbronner "Neckar-Zeitung" ablöste. Nach seinem Theologiestudium in Tübingen hatte er es schon fast bis zum Pfarrer gebracht, als ihn der Philosoph und frühere Pfarrer Christoph Schrempf zum Atheismus bekehrte. Schairer wandte sich dem Journalismus zu: in der Praxis beim Reutlinger "Generalanzeiger", in der Theorie mit einer Promotion über "Christian Friedrich Daniel Schubart als politischer Journalist". Von nun an predigte er nur noch in der Zeitung.
Nach Zensur gründet Schairer seine eigene Zeitung
Als Redakteur der "Neckar-Zeitung" vertrat Schairer zunächst die liberale Linie Naumanns, wurde dann jedoch zum Pazifisten und Anhänger der Gemeinwirtschaft nach dem Modell des Ökonomen Wichard von Moellendorf – einem dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Seinem Verleger bei der "Neckar-Zeitung" passte das überhaupt nicht. Als Schairer im November 1919 gegen die Dolchstoßlegende polemisierte, der zufolge Sozialdemokraten und Pazifisten dem deutschen Heer am Ende des Ersten Weltkriegs in den Rücken gefallen seien, zensierte er dessen Leitartikel.
Schairer hatte genug. Wenn er 1.000 Abonnenten fände, plakatierte er an die Litfaßsäulen der Stadt, würde er eine Zeitung gründen. Er fand 600 und legte im Januar 1920 mit seiner "Sonntags-Zeitung" los, die erst in Heilbronn erschien, ab 1925 dann in Stuttgart. Anfangs machte Schairer buchstäblich alles allein, bis er sich nach einiger Zeit auch Mitarbeiter leisten konnte. "Er war Redakteur, Korrektor, Expedient, Inseratensammler und Werbemann in einer Person", erzählt am 100. Geburtstag Schairers 1987 Will Schaber, der 1923 bei der "Sonntags-Zeitung" angefangen hatte, "und am Freitag konnte man ihn sehen, wie er selbst in einem Handwagen den größten Teil der Auflage zum Heilbronner Hauptpostamt beförderte."
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Philippe Ressing
am 20.02.2022