Auf der Demonstration wurde derweil auf schnelle und konkrete Maßnahmen gedrängt. Willi Münzenberg, Funktionär der Sozialistischen Jugendinternationale und später "Pressezar" der KPD, der zu den Rednern zählte, forderte in einem Antrag "für die streikenden und revolutionären Arbeiter die technische Übergabe eines Betriebes zur Herstellung einer Zeitung". Er begründete dies "mit der Übermacht der bürgerlichen Presse, die teilweise täglich zweimal erschien, während für die politischen Gruppen der Demonstranten keine oder vielmehr nur eine kleine Zeitung erschien" – so beschrieb Münzenberg selbst in "Die Rote Flut" sein Agieren. Dem stimmten die Rätevertreter zu.
Die Forderung der Spartakisten nach Herausgabe von 1000 Gewehren lehnten sie ab, delegierten allerdings mit Albert Schreiner einen Spartakusanhänger zur Beaufsichtigung der Sicherungskompanien. Die Nachricht von der Verhaftung des USPD-Ministers Fischer durch Soldaten machte den ASR misstrauisch.
Eine Redaktionsgruppe sollte das Blatt erstellen, doch als sie nach der Sitzung beim "Stuttgarter Neuen Tagblatt" in der Torstraße ankam, hatten bereits etwa 50 bewaffnete Demonstranten das Verlagsgebäude besetzt. "Die Demonstration am 9. November war als friedliche geplant, sie ist aber über die Köpfe der Führer hinausgewachsen", erklärte der Spartakist Unfried im ASR die Besetzung. Die Redaktionsgruppe konnte sich dennoch "in loyaler Form" mit der Geschäftsleitung einigen und mit den Arbeiten an dem "Die rote Flut" getauften Blatt beginnen.
Hahn sah in der "Besetzung" allerdings "einen Angriff auf das Eigentum, der mich zum Eingreifen zwinge", und "beginnenden Terror und Diktatur". Er befahl ein militärisches Vorgehen seiner 15 Sicherungskompanien mit über 3000 Soldaten und verhaftete zunächst die ihm zur Aufsicht beigegebenen Arbeiter- und Soldatenräte, denen dann im Bahnhof von den Soldaten angedroht wurde, "sie totschlagen zu müssen". In der Akademie, dem vom Militär genutzten Gebäudekomplex der früheren Hohen Karlsschule, wurden Waffen beschlagnahmt. Im "Spartakusprozess" stellte sich später heraus, dass die Waffen von dem Matrosen Reisinger, einem der Lockspitzel Hahns, deponiert worden waren. Das Stuttgarter Bürgertum hatte erhebliche Geldbeträge für die "Bestechung" dieses Personenkreises gesammelt.
Das Tagblattgebäude wurde umstellt, Fritz Rück, der erste Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrats, eilte zum Bahnhof. Auf seine Frage, wer den Befehl gegeben habe, öffnete Hahn nur die Tür zum Nebenzimmer, in dem sich die Minister Blos und Lindemann aufhielten. Zurückgekehrt forderte Rück die Besatzung auf, die Waffen niederzulegen. Als Hahn um 4.30 Uhr das Zeitungsgebäude stürmen ließ, wurde kein Widerstand geleistet. Die Besatzung durfte, so Hahn, "unter Entgegennahme von Prügeln in die Gegend entweichen".
10. Januar: die ersten Toten
Die Revolution war in Stuttgart bis dahin fast unblutig verlaufen. Doch am 10. Januar schossen Regierungssoldaten aus einer von ihnen besetzten Druckerei und töteten mindestens vier, nach anderen Berichten sieben bis acht Demonstranten und Neugierige. Am Nachmittag waren die schwer bewaffneten und mobilen Sicherungskompanien Herr der Lage.
Leutnant Hahn machte derweil seinem Kriegsminister Ulrich Fischer und dem Co-Regierungschef Arthur Crispien deutlich, wer inzwischen das Sagen hatte: "Morgens erschienen Crispien und Fischer bei mir im Bahnhof, da sie gehört hätten, dass hier Maschinengewehre aufgestellt seien, um die Demonstranten zu empfangen. Ich stellte es keineswegs in Abrede, dass der neue Bahnhof nicht nur stark befestigt sei, sondern zeigte auch in zuvorkommender Weise den beiden Herrn Ministern meine Vorbereitungen und die Aufstellung der Maschinengewehre, die die Königstraße, die Anlagen und den alten Bahnhof absolut beherrschten. Ich fügte noch bei, dass auch ein Minenwerfer für indirekten Schuss auf den Schlossplatz und andere Ansammlungsorte Stuttgarts aufgestellt sei. Unter fürchterlichem Protest gegen die Überschreitungen meiner Vollmacht verließen sie den Bahnhof. Die Demonstrationen verliefen an sich ruhig, obwohl die Stimmung eine hochgespannte war."
Als kurz darauf im Bahnhof eine Regierungssitzung stattfand, an der auch Crispien und Fischer teilnehmen wollten, fauchte Blos Crispien an, "er solle sich zum Teufel scheren" und ließ ihn nicht in den Raum. So endete die sozialistische Revolutionsregierung. Crispien und Fischer appellierten an den Arbeiterrat, der aber letztlich Blos unterstützte und Hahns Vorgehen deckte.
Der Spartakistenprozess
In der folgenden Nacht ließ Hahn die führenden Spartakisten verhaften und rechtswidrig in Schutzhaft nehmen. Als "württembergischer Noske" wurde er später von der Linken beschimpft (Der MSPD-Politiker und nach einem eigenen Zitat "Bluthund" genannte Gustav Noske war verantwortlich für das harte Vorgehen und den Einsatz von Freikorps bei der Niederschlagung unter anderem der Januarkämpfe in Berlin). Vor dem ASR erklärte Hahn am 13. Januar allerdings, "dass er mit seiner Person dafür bürge, dass die Sicherheit der Inhaftierten gewährleistet ist". Zwei Tage später wurden in Berlin Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nach ihrer Verhaftung ermordet, während das Stuttgarter Schwurgericht die angeklagten Spartakisten im Juni freisprach.
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Fritz Hirschmann
am 23.01.2019