Die 436 Seiten sind zur Verschlusssache erklärt. Dabei gehörte die akribische Auflistung und Auswertung von Zitaten, Interviews, Facebook-Einträgen und Reden, die das AfD-Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) auflistet, eigentlich sogleich in den bundesdeutschen Gemeinschaftskunde- oder Politikunterricht. Fast tausend Fußnoten weist die eindrucksvolle Fleißarbeit auf. Und BfV-Präsident Thomas Haldenwang hat der Partei bei der Analyse der "tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" eindeutig eine Warnung zukommen lassen. Die AfD stehe am Scheideweg, sagte der Nachfolger des in Unfrieden geschiedenen Hans-Georg Maaßen vor der Hauptstadt-Presse und begründete dies vor allem mit Äußerungen gegen die Menschenwürde, "die ein besonderes Schutzgut unserer Verfassung ist".
Verstärkt ins Blickfeld gehört nach Einschätzung der PrüferInnen in der Kölner Behörde unter anderem ein Baden-Württemberger, der schon immer zu Unrecht den eher Gemäßigten zugerechnet wurde. Habitus und berufliche Herkunft verliehen ihm bisher die Aura des Besonderen: Marc Jongen, Landessprecher der Südwest-AfD und einst Mitarbeiter und Vertrauter von Star-Philosoph Peter Sloterdijk, wird als Vordenker eingestuft. Herausgekommen bei diesem Denken sind Sätze wie dieser: "Durch die Migranteninvasion ist nicht nur die politische Souveränität des Landes verletzt, sondern es wurde auch die psychische, die psychopolitische Integrität dieses sozialen Großkörpers, den wir das Volk oder die Nation nennen, verletzt. Also in psychopolitischer Hinsicht war das zweifelsohne ein Akt der Gewalt, wie er in vergleichbarer Größenordnung sonst eigentlich nur in Kriegszeiten vorkommt." Oder: "Nur durch einen weitgehenden Austausch der 'Eliten' ist unser schwer geschundenes Deutschland noch zu retten!"
Neben Jongen kommt Ralf Özkara im BfV-Report ebenfalls ausführlich zu Wort. Der war bis vor wenigen Monaten Jongens Co-Vorsitzender im AfD-Landesverband und ist inzwischen Referent im bayerischen Landtag. Die VerfassungschützerInnen attestieren ihm, "in besonders vehementer Weise gegen Migranten und Asylbewerber agitiert" zu haben. Aufgerollt wird, wie er "den Fußballspielern Ilkay Gündogan und Mesut Özil anlässlich der öffentlichen Diskussion um deren gemeinsames Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und das anschließende Ausscheiden Özils aus der deutschen Nationalmannschaft abgesprochen hat, sich in Deutschland integriert zu haben".
Özkara: Linker Selbsthass führt zu "Deutschlandabschaffung"
Im Mai 2018 machte sich Özkara auf Facebook über die beiden Deutschen mit türkischen Wurzeln her: "Gündogan und Özil stehen sinnbildlich für Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund, die nie in ihrer Zielgesellschaft angekommen sind. Und das wiederum liegt in nicht unerheblichem Maße an dieser Zielgesellschaft selbst: Eine Gesellschaft wie die deutsche, die sich schwer damit tut, ihren Wunsch nach kulturellem Selbsterhalt und nationalstaatlicher Selbstbehauptung selbstbewusst zu artikulieren und stattdessen lieber im Schuldkult schmort, einen Hass aufs Eigene schürt und zu moralischer Selbstbesessenheit in derart exzessivem Ausmaße neigt, dass sie alles Fremde idealisiert und für Migranten den sozialstaatlichen Spendenmodus aktiviert, wird kaum den Druck auf neue Mitbürger ausüben können, der nötig wäre, damit sich diese Menschen integrieren oder gar assimilieren."
Per Facebook hat sich Özkara, der gebürtig Schramberger heißt und den Namen seiner türkischstämmigen Frau angenommen hat, auch eingemischt in die Debatte um eine Relativierung der Verbrechen der Wehrmacht beim Kyffhäuser-Treffen 2017, dort, wo sich die ganz Rechten unter den AfDlern gegenseitig anspornen: "Die Medienmeute stürzt sich neuerdings - mal wieder - auf unseren Spitzenkandidaten Alexander Gauland, weil er in seiner Rede auf dem Kyffhäusertreffen gesagt hat, dass wir stolz auf unsere Wehrmachtssoldaten sein sollten und unser Geschichtsbild sich nicht auf die schlimmsten zwölf Jahre deutscher Geschichte beschränken sollte", schrieb Özkara. Und weiter: "Dem ist nichts hinzuzufügen! Gaulands Aussage ist richtig. Und Gaulands Aussage ist wichtig. Richtig und wichtig in einer Zeit, in der Kasernen politisch korrekt umbenannt, Bilder in Kasernen abgehängt und Militärtraditionen der Wehrmacht mit Füßen getreten werden. Jeder anständige Russe, Franzose, Spanier oder Pole ehrt seine Vorfahren und sein Erbe. Warum nicht auch wir Deutschen?" Natürlich dürften "nicht alle Aspekte unserer Geschichte pauschal in den Dreck" gezogen werden, so Özkara, denn das führe "zu dem unser Land zersetzenden Selbsthass der Linken, der vor den massiven Gefahren, denen unser Land ausgesetzt ist, deimmunisiert und in letzter Konsequenz zur Deutschlandabschaffung führt".
Bezüge zur Identitären Bewegung
BfV-Präsident Haldenwang selber und der zuständige Abteilungsleiter Joachim Seeger haben die Grenzen für eine Prüfung durch den Verfassungsschutz erläutert, vor allem bei ParlamentarierInnen. Das Grundgesetz verlangt in Artikel 38 für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, dass sie "in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt" werden, "Vertreter des ganzen Volkes" und "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, sondern nur ihrem Gewissen unterworfen" sind. Gerade darauf hebt Seeger ab, wenn er von dem "besonderen gesetzlichen Schutz" für Parlamentarier spricht. So dürften beispielsweise Parlamentsreden zur Bewertung von politischen Einstellungen nicht oder nur in sehr engen Grenzen herangezogen werden. Aktivitäten im Parlament werden dagegen durchaus ausgewertet. So betreibt die AfD-Bundestagsfraktion die Internetseite "www.messereinwanderung.de" oder "www.afdbundestag.de/messereinwanderung". Diese suggeriere, heißt es in dem Gutachten, "unter der Überschrift 'Masseneinwanderung bedeutet Messereinwanderung' eine seit 2015 stetig anwachsenden Zahl von 'Messerangriffen'" und stelle diese wiederum in einen direkten Zusammenhang mit der Einwanderung.
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Andromeda Müller
am 01.02.2019NSU u.v. mehr schon vergessen ? Wolfgang Kraushaar: "Verena Becker und der Verfassungsschutz" , …