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Stephanie Reuter

Journalismus braucht die klügsten Köpfe

Stephanie Reuter: Journalismus braucht die klügsten Köpfe
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Große Verlage sparen ihre RedakteurInnen weg, die demokratische Aufgabe des Journalismus droht auf der Strecke zu bleiben. Ein Gespräch mit Stephanie Reuter, Geschäftsführerin der Rudolf-Augstein-Stiftung, über die Förderung des gemeinnützigen Journalismus und das Aufwachen der Politik.

Frau Reuter, wir erleben hier in Stuttgart die Auflösung einer einst stolzen Zeitung. Nach einem jahrelangen Schrumpfkurs nun der vorläufige Höhepunkt: 55 RedakteurInnen der StZN, das ist ein Viertel der Redaktion, sollen bis zum 1. Mai gehen. Braucht es noch mehr Beweise, dass der renditegetriebene Verleger-Journalismus keine Zukunft hat?

Das ist zu zugespitzt formuliert. Die Verlage tragen weiterhin zur Vielfalt bei. Die Frage, die sich mir stellt, ist vielmehr, ob es nicht möglich ist, mit exzellenter journalistischer Qualität auch heute noch Gewinne zu erwirtschaften. Aber, in der Tat, vielerorts passiert etwas anderes: Verlage streichen Stellen in ihren Redaktionen statt in notwendige Innovationen zu investieren – zu Lasten der Qualität. Dafür ist Stuttgart leider ein Beispiel. Absurd wird es, wenn ausgerechnet im Lokalen gespart wird. Denn das ist es doch, was die Menschen am meisten bewegt. Wenn hier immer weiter ausgedünnt und Redaktionen sogar zusammengelegt werden, sodass sich am Ende nur noch die Titelseiten, nicht aber die Inhalte unterscheiden, wird eine Vielfalt vorgegaukelt, die de facto nicht mehr da ist.

Medienkonzentration, Clickbaiting in dem hilflosen Bemühen, doch noch Gewinne herauszupressen, und die demokratische Aufgabe des Journalismus bleibt auf der Strecke? Doch mehr als eine steile These?

Das lässt sich leider teilweise beobachten, aber es gibt glücklicherweise auch eine Gegenbewegung. Ich gehe davon aus, dass unser Mediensystem in Zukunft auf drei Säulen ruhen wird. Wir haben einen gut ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der für unsere Demokratie unverzichtbar ist. Auch den Verlagsjournalismus wird es weiter geben. Neu hinzu kommt eine dritte Säule – und zwar in Bereichen, in denen der Markt versagt.

Stephanie Reuter ist in Plochingen geboren und mit der "Stuttgarter Zeitung" aufgewachsen. Ihre Oma liest sie immer noch. Wenn die Enkelin aus Hamburg zu Besuch ist im Schwäbischen, merkt sie, dass die Zeitung immer dünner wird. Seit 2011 ist Stephanie Reuter Geschäftsführerin der Rudolf Augstein Stiftung. Die studierte Journalistin kennt das Agenturgeschäft (dpa) ebenso wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Sie arbeitete für ZDF und SWR, aber auch für die Robert Bosch Stiftung. Reuter ist aktiv im Bundesverband deutscher Stiftungen. Zudem ist sie Sprecherin des Forum Gemeinnütziger Journalismus, in dem auch Kontext Gründungsmitglied ist.  (sus)

Sie sprechen von Non-Profit-Projekten wie Correctiv, Kontext, Investigate Europe, von einem Journalismus, der nicht auf Rendite ausgerichtet ist.

Ja, das ist der gemeinnützige, der gemeinwohlorientierte Journalismus. Dieser fokussiert weniger auf Reichweite und Rendite, hier geht es um Public Service im besten Sinne. Newsrooms mit dieser Ausrichtung soll das Steuerrecht zukünftig begünstigen, sodass sie andere Einnahmequellen anzapfen können wie Spenden oder Stiftungsförderung. Erkenntnis steht dann vor Erlösen. Früher ließ sich beides wunderbar kombinieren, heute ist das schwieriger, nachdem ein Großteil der Werbeerlöse an Plattformakteure wie Alphabet und Meta geht. Rudolf Augstein, der Namensgeber und Gründer unserer Stiftung, hat die goldenen Zeiten erlebt und hohe Renditen mit exzellentem Journalismus erwirtschaftet. Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Und deshalb brauchen wir solch neue Finanzierungsformen, um unsere mediale Vielfalt auch in Zukunft sicherzustellen. Für mich gehört unabhängiger Journalismus zur Daseinsvorsorge – ohne ihn funktioniert unsere Demokratie nicht.

Journalismus als Daseinsvorsorge, das hätten die Landräte in der Metropolregion Stuttgart mit ihren 2,7 Millionen Menschen auch gerne. Sie wenden sich mit einem offenen Brief an die Verantwortlichen des Stuttgarter Pressehauses aus Angst, dass ihre Pressebänke künftig leer bleiben. Dieser Brief wird aber in keiner Verlegerzeitung veröffentlicht. Eine bizarre Situation?

Das ist ein wunderbares Beispiel, weshalb wir journalistische Vielfalt so dringend benötigen. Wenn es Kontext nicht gäbe, wie würde die Öffentlichkeit davon erfahren? Es ist doch keinesfalls allgemein bekannt, in welcher Situation sich spezifische Teile des Journalismus befinden. Dass immer mehr Redaktionen zusammengelegt, dass sie ausgedünnt oder gar geschlossen werden. Wenn die PolitikerInnen jetzt ihre Sorge äußern, dass ihnen niemand mehr auf die Finger schaut, dann zeigt das doch, welche Relevanz der Journalismus hat.

Medienkritik war bisher nie die Stärke von PolitikerInnen. Die Gründe liegen auf der Hand.

Ja, sie wollen wieder gewählt werden und sind auf Berichterstattung angewiesen. An ihrer Stelle würde ich es auch so sagen, weil es objektiv richtig ist: Die Wächterfunktion der Presse ist sehr wichtig. Je weniger journalistische Akteure da sind, umso schwieriger lässt sie sich ausüben. Das ist besorgniserregend für unsere Demokratie.

Wir haben vor Kurzem auf Studien aus den USA hingewiesen, wonach in Landstrichen, in denen es keine Lokalzeitungen mehr gibt, die Korruption in Verwaltungen und Umweltvergehen in Betrieben zunehmen.

Es sinkt außerdem die Wahlbeteiligung und das ehrenamtliche Engagement, denn darüber berichtet ja auch keiner mehr. Das sind Zustände, die wir so nicht erleben möchten und die haben wir in Deutschland auch noch nicht. Aber es ist wichtig, auf die Finanzierungskrise und Konzentrationsprozesse aufmerksam zu machen, bevor Strukturen erodieren. Deshalb bin ich froh, dass es mit Kontext einen Pionier im Non-Profit-Journalismus in Stuttgart gibt.

Offensichtlich wird langsam auch in der Politik erkannt, dass die Entwicklung der Presse bedenklich ist und es diese dritte Säule braucht?

Im politischen Raum ist dieses Bewusstsein in den letzten Jahren glücklicherweise gewachsen. Das ist positiv. Neben der Diskussion um eine Zustellförderung für Printprodukte, für die die Verlegerverbände stark lobbyieren, fragen sich auch immer mehr PolitikerInnen, ob wir nicht auch andere Förderinstrumente für das weitere journalistische Ökosystem brauchen.

Im Berliner Koalitionsvertrag ist der gemeinnützige Journalismus jetzt zumindest aufgenommen. Was muss Ihrer Meinung nach passieren?

Ganz einfach: Der Non-Profit-Journalismus muss Rechtssicherheit als gemeinnützige Unternehmung bekommen und in konkrete Förderprogramme auf Bundesebene aufgenommen werden.

Die Anerkennung von Non-Profit-Journalismus als gemeinnützig ist das eine, die Förderung mit Steuergeldern das andere. Da stellt sich sofort die Frage der Staatsferne.

Natürlich ist es wichtig, die journalistische Unabhängigkeit zu wahren. Bei der Rudolf Augstein Stiftung fördern wir bewusst keine einzelnen Recherchen, sondern versuchen, das journalistische Ökosystem insgesamt zu stärken. Das tun wir, indem wir Innovationen befördern, die im besten Fall dem ganzen Feld zugutekommen. Wir investieren aber auch in infrastrukturelle Vorhaben. Auch bei staatlicher Medienförderung unterscheiden wir zwischen direkten und indirekten Förderinstrumenten – in vielen Ländern sehen wir inzwischen eine Kombination. Ich denke beispielsweise an Dänemark, Schweden oder Norwegen. Bei direkter Förderung kommt es auf kluge Governance-Strukturen an, die die Unabhängigkeit gewährleisten. Eine konkrete Möglichkeit sind Firewall-Organisationen, die zwischen Förderministerium und Empfänger geschaltet sind und die Mittel nach klaren Kriterien vergeben. In Deutschland könnte eine solche Aufgabe zum Beispiel das Netzwerk Recherche wahrnehmen.

Gemeinnütziger Journalismus bildet sich in Nischen, dort, wo Mangel herrscht. Das Ödland, das vom Stuttgarter Pressehaus zurückgelassen wird, weitet sich aus. Was tun?

Das Publikum merkt, dass seine Zeitung immer dünner wird und überall dasselbe drinsteht. Damit schafft sich der Journalismus selbst ab. Die Qualität geht zurück und irgendwann ist nicht mehr ersichtlich, warum ich als LeserIn immer mehr zahlen soll. Das ist gefährlich. Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit für das Thema etwa wie in Stuttgart durch die Positionierung der Landräte. Denn es muss deutlich werden, was die Gesellschaft verliert, wenn die journalistische Qualität und Vielfalt leidet. Wenn die vierte Macht im Staat ihrer Rolle nicht mehr gerecht wird. Aus meiner Sicht ist Journalismus ein öffentliches Gut, das es zu schützen gilt. Ich habe von der Daseinsvorsorge gesprochen. Also: Wir müssen uns überlegen, wie sieht ein Mediensystem der Zukunft aus. Und wie sieht eine zeitgemäße kluge Medienpolitik aus, die eben nicht lobbygetrieben ist. Interessenvertretungen traditioneller Medien werden sich kaum für das Entstehen neuer Konkurrenten und Geschäftsmodelle einsetzen.

Ja, soviel ist sicher: Der Bundesverband deutscher Verleger wird nicht für gemeinnützige Projekte kämpfen. Aber das wäre doch auch eine Aufgabe für die Stiftungen im Land. Journalismus scheint für sie eher irrelevant zu sein. Ändert sich das, wenn er als gemeinnützig anerkannt wird?

Wir haben in Deutschland knapp 24.000 Stiftungen, die über ein Milliardenvermögen verfügen. Aber 95 Prozent dieser Stiftungen können ausschließlich gemeinnützige Akteure fördern. Stiftungen schauen also in den Paragraf 52 der Abgabenordnung: Was ist eigentlich gemeinnützig? Und das sind derzeit Kunst und Kultur, Umweltschutz, aber auch Modellflug. Journalistische Organisationen können diesen Status aktuell nur über Umwege erlangen. Einige journalistische Start-ups sagen uns, dass sie diese Unsicherheit nicht eingehen möchten, sich über einen anderen Zweck anerkennen zu lassen. Sie verzichten daher lieber auf die Gemeinnützigkeit. Das bedeutet dann, dass Spenden nicht abzugsfähig sind und Stiftungen sie nicht fördern können. Die direkte Anerkennung der Gemeinnützigkeit wäre deshalb ein wichtiges Signal, um den Wert des Journalismus zu unterstreichen und Wachstum zu befördern. Und StifterInnen würden bei der Gründung ihrer Stiftung darüber nachdenken, ob sie diesen Zweck nicht fördern möchten. Das könnte zu einem Game Changer werden.Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit wäre ein wichtiges Signal, um den Wert des Journalismus zu unterstreichen.

Das dürfte in Ihrem Fall nicht so schwer gewesen sein.

Dass die Rudolf Augstein Stiftung Journalismus fördert, ist wenig verwunderlich, weil unser Stifter selbst Journalist war und sich zeit seines Lebens für Pressefreiheit und kritischen Journalismus eingesetzt hat. Doch von den 24.000 Stiftungen fördern aktuell weniger als 100 Organisationen aus dem Medienbereich. Das wollen wir ändern. Das wäre für viele Neugründungen, für viele Pioniere wie etwa Kontext, ein gutes Signal. Wir hoffen, dass dadurch mehr Geld ins System kommt.

Ein Blick in die Zukunft des Journalismus. Was wünscht sich die Journalistin Stephanie Reuter?

Ich wünsche mir, dass JournalistIn ein Traumberuf bleibt. Der Journalismus braucht die klugsten Köpfe, die leidenschaftlich und kritisch berichten. Das bedeutet, dass es zu keiner weiteren Prekarisierung des Berufs kommen darf. Vor allem aber müssen unsere Redaktionen diverser werden. Journalismus darf keine Frage des Habitus sein. Das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten. Das ist mir noch wichtiger als ein gut ausgestatteter Innovationstopf, den wir auch dringend bräuchten.


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1 Kommentar verfügbar

  • Philippe Ressing
    am 28.02.2022
    Antworten
    Um Fehleinschätzungen zu vermeiden: Kritische Berichterstattung über Lokalpolitik ist schon lange kein publizistischer Wert bei vielen Lokalmedien. Es kommt auf die kritische Distanz der Berichterstattung zu den Mächtigen - auch im Rathaus an. Die Ursache für die aktuelle Kritik der Lokalpolitiker…
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