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Fußballweltpolitik

Big Business bigott

Fußballweltpolitik: Big Business bigott
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Den Russen frieren sie ein, der Scheich darf weiter köpfen. So ist Fußball. Meint unser Kolumnist, Einwechselspieler in spe fürs FIFA-Council.

Es ist ja schon ziemlich verstörend zu sehen, dass 77 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, also nach 77 Jahren des mehr oder weniger friedlichen Austarierens einer stabilen Weltordnung, die zwar immer wieder gestört wird von kriegerischen und anderen unmenschlichen Aktionen, die aber im Großen und Ganzen doch ganz gut gehalten und, mehr als den meisten anderen, uns Mitteleuropäern ein Leben beschert hat, in dem das größte Problem wir selbst waren – dass also trotz all des Tarierens und Bündeschmiedens und Politikmachens eine einzige Person dazu in der Lage ist, eine atomare Supermacht in den Krieg zu führen. Nix Gremien, nix Diskussion, nix Debatte – einfach nur Putin. Alle um ihn herum: Puppen. 77 Jahre Weltpolitik im Handstreich weggewischt. Dass so etwas möglich ist ...

Probleme haben jetzt auch solche, die bis vor Kurzem noch in Geld schwammen und unverwundbar schienen gegen alle möglichen Ereignisse finanzieller oder auch politischer Natur. Zum Beispiel der Chelsea Football Club in London, kurz FC Chelsea, Champions-League-Sieger zuletzt unter dem schwäbischen Welttrainer Thomas Tuchel, davor 2012 in München auch Finalsieger gegen den FC Bayern München im so genannten "Finale dahoam". Denn der Club gehört Roman Abramowitsch, einem sehr reichen Russen, der obendrein als einer der ganz engen Vertrauten von Wladimir Putin gilt. Und die Regierung des Vereinigten Königreichs hat Roman Abramowitsch eingefroren, sprich: seine Besitztümer beschlagnahmt. Konten, Immo, Jachten, Fußballclub – was man halt so hat als Oligarch. Beziehungsweise hatte, denn jetzt ist es weg. Und weil Besitzer Abramowitsch gebannt ist, zerfällt Chelsea womöglich. Keine Spielertransfers mehr, keine Eintrittskartenverkäufe mehr, nur das ganz schmale Budget für die Fahrten zu den Auswärtsspielen. Denn mitspielen dürfen sie noch, zumindest bis zum Ende der Saison, weil können ja die Spieler, Mitarbeiter und Fans nichts dafür, dass sie dem Fußballclub eines Oligarchen anhängen.

Beim FC Bayern, unserer deutschen Fußball-Supermacht, reiben sie sich schon die Hände, denn jetzt könnte die ursprüngliche Strategie doch noch aufgehen, die da lautet: Mir tun so als wären mir Schwaben, geben erstmal kein Geld für neue Spieler aus, sondern warten in aller Ruhe ab, bis es etliche Konkurrenten wegen der Coronakrise reißt – dann kriegen wir tolle Spieler nämlich quasi umsonst. Weil irgendwo müssen die Jungs ja kicken, ihren Beruf ausüben. Und selbst wenn sie eigentlich nicht beim FC Bayern spielen wollten, so ist das am Ende des Tages immer noch eine Superadresse im Fußball, vielleicht sogar die allererste Adresse, jetzt, wo das mit den Superreichen im Fußball ein bisschen schwierig geworden ist. Toni Rüdiger, Kai Havertz, Timo Werner, jetzt kommen drei der besten deutschen Spieler vielleicht ganz von selbst nach München, die man unter normalen Umständen schon aufgrund der Inkompetenz des derzeit leitenden Personals niemals bekommen hätte.

Schwierige Bedingungen für die Superreichen freilich nur auf den ersten Blick. Denn Abramowitschs/Chelseas Platz im Big-Fußball-Business können die mehr als zweifelhaften Leute aus Newcastle einnehmen. Die saudischen Scheichs, denen der Newcastle United FC gehört, lassen unliebsame Journalisten zersägen und haben grade vergangene Woche an einem einzigen Tag 81 (in Worten: einundachtzig) Menschen von Staats wegen hinrichten lassen. Köpfen lassen, um es ein wenig zu präzisieren. Vielleicht haben Sie ja davon gehört. Dagegen mutet Roman Abramowitsch doch geradezu an wie ein Schoßhund. Denn er liebte seinen FC Chelsea, den Fußball, er hat alles dafür getan, ihn zu hegen, ohne Gewinnerzielungsabsichten und ohne massenhaft Leute umzubringen.

Das soll unter keinen Umständen eine Entschuldigung für den Putin-Vertrauten (und sicher auch Günstling) Abramowitsch sein – aber es zeigt allzu deutlich die Bigotterie der Branche Profifußball. Und da haben wir über PSG, also Paris St. Germain, noch gar nicht geredet, dessen Eigentümer aus Katar den Gegner nach der Niederlage noch im Kabinentrakt mit dem Tod bedrohen und nebenbei am russischen Überfall auf die Ukraine richtig gut mitverdienen.

Einmal ordentlich durchkehren!

Detail am Rande: Am Tag des Abramowitsch-Banns unterzeichneten Russland und Katar in Doha ein bilaterales Abkommen über die Zusammenarbeit im Sportbereich. Im Rahmen dieses Treffens sprachen die beiden Sportminister auch über die Vorbereitungen zur WM 2022 in Katar – an der Russland gar nicht teilnehmen darf. Russland und Katar hatten vom FIFA-Exekutivkomitee im Jahre 2010 in einer Doppelvergabe die Weltmeisterschaften 2018 bzw. 2022 zugesprochen bekommen. Die US-Justiz hatte Korruption bei der Vergabe festgestellt. Ob die beiden sich auch nochmals klipp und klar dazu bekannt haben, die UN-Konventionen nicht nur anzuerkennen, sondern auch umzusetzen? Rhetorische Frage, das.

Das Geschachere um die Präsidentschaft und den weiteren Kurs beim DFB, beim Deutschen Fußball-Bund, ist dagegen das reinste Bauerntheater, wie der hervorragende Kollege Stephan Uersfeld neulich treffend meinte. Vielleicht braucht der DFB ja genau das: ein langweiliges Bauerntheater mit einem noch langweiligeren Regisseur Bernd Neuendorf als Präsident. Denn den Langweilern kann man zumindest eines nicht unterstellen: dass sie auf Kosten und zum Schaden des Verbandes ihre eigene Show abziehen und Intrigen spinnen, statt ihr Amt im Sinne des deutschen Fußballs auszuüben. Zu dem übrigens auch der Frauenfußball gehört.

Und falls jemand fragen sollte, jetzt, wo nach den Ohrfeigen für die Herren Koch und Peters auch die Personalien der deutschen Repräsentanten in den Gremien des Weltfußballs wieder offen sind: Ich stehe gerne zur Verfügung, sowohl für das UEFA-Exekutivkomitee wie auch für das FIFA-Council. Ich war sogar schon mal auf dem Züriberg im FIFA-Hauptquartier, und ich kann Ihnen sagen – Todesstern nix dagegen, atombombensicherer Sitzungsraum inbegriffen, ein Stockwerk überirdisch, alles andere tief unter Tage. In diesen Gremien, in diesen Ansammlungen größtmöglicher, nun ja, Vetterleswirtschaft ein wenig Staub aufzuwirbeln, das ist doch eigentlich eine Aufgabe, um die sich die Leute allein schon wegen der Kurzweiligkeit des Jobs reißen müssten. Plus natürlich wegen der Vergünstigungen. Maximal zwei Jahre da ordentlich durchkehren, dann abtreten, bevor man selbst korrumpiert wird – das wäre ein Ding!


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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 12 Stunden
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