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VfB und Olympiaheuchelei

Grüße vom Betzenberg

VfB und Olympiaheuchelei: Grüße vom Betzenberg
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Irgendwie symbolisiert der VfB Stuttgart eine Stadt voller Zweitklassigkeit. Da schauen wir lieber auf den Eiskanal bei Olympia. Sein schwäbischer Schöpfer könnte bei S 21 helfen.

Verzeihen Sie mir, liebe Leserinnen und Leser, meinen möglicherweise ungebührlichen Defätismus, aber: Dann steigen wir halt ab! Mit "wir" meine ich, ganz leidendes Vereinsmitglied, den VfB Stuttgart, beziehungsweise dessen Bundesligateam. Seit vielen Wochen die mit Abstand am schwächsten auftretende Mannschaft, die vorne zu wenige Tore erzielt und hinten zu viele Fehler macht, bei einem mittlerweile schon relativ deutlich sichtbaren Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz und unter Berücksichtigung aller Signale, Indizien und Stimmungen, die aufzufangen sind rund um den VfB – da muss ich mich doch zumindest mal mental auf den Abstieg vorbereiten.

Weil aber Schöntrinken über einen derart langen Zeitraum der eigenen Gesundheit einen Bärendienst erwiese (die Alkoholmengen müssten angesichts der über Monate miserablen Auftritte erheblich sein), male ich mir lieber schöne Bilder im Kopf. Von schönen Auswärtsfahrten, die für mich, wohnhaft in Heidelberg, rein räumlich eher noch Heimspiele sind als die Auftritte im rund 125 Kilometer entfernten Stuttgarter Neckarstadion. Fahr' ich halt mit der S-Bahn via Böhl-Iggelheim nach Kaiserslautern auf den Betzenberg. Oder – vielleicht, vielleicht – sogar auch mal mit der Straßenbahn rüber nach Mannheim zum Auftritt des VfB beim SV Waldhof. Oder gleich mit dem Fahrrad über die Felder raus nach Sandhausen, wo man nach Gastspielen des VfB nebst großer Auswärtscrowd ohnehin kaum bis überhaupt nicht wieder wegkommt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. KSC im neuen Stadion (S-Bahn), Darmstadt 98 im modernisierten "Bölle" (Eisenbahn) – es könnte jede Menge Spiele geben, die für mich dann in der kommenden Saison recht einfach zu erreichen sind. Und seien wir doch mal ehrlich: Hat die Stadt Stuttgart, ehemals von Hölderlin als "Fürstin der Heimat" tituliert, höherklassigen Fußball überhaupt verdient?

Ist nicht mittlerweile so vieles in der Landeshauptstadt und drumherum bestenfalls zweitklassig, dass der Profifußball sich da mit anderen zentralen Themen grad an einen Tisch setzen könnte? Der jämmerliche, gleichwohl mit voller Absicht betriebene Niedergang der Stuttgarter Zeitungsnachrichten wird ja glücklicherweise hier in Kontext thematisiert, wo es ansonsten überhaupt keine Medien mehr gibt in dieser Stadt. Der Bahnhofsneubau mit all seinen haarsträubenden Details ebenso. Die Innenstadt als Ort des Verweilens völlig unerträglich schon seit vielen Jahren – es ist einfach ein großes Elend in und mit Stuttgart, der Landeshauptstadt des einstmals besten aller Bundesländer, wo heute die Unterklassigkeit aus allen Poren kriecht. Nur nach Ansicht des Kochprolls Tim Mälzer in dessen vor midlifekriselnden Männerflüchen nur so triefendem TV-Format Kitchen Impossible sind wir bundesweit noch ganz oben – in Sachen Kulinarik. Wobei anzumerken ist, dass Mälzer sicher eher den Badischen Teil des Landes gemeint hat, der Hanseatische Haubenkoch.

Vielleicht sollte die Alb von Hand abgetragen werden

Flugs also in die Ferne geschweift, wo das Gute liegt so gar nicht nah, gleich bis Fernost, China, Peking bzw. Zhangjiakou, wo allerdings bis auf unsere ewig güldenen Rodlerinnen, Skeletonis und Bobfahrer auch fast gar nichts glänzt. Bei allem berechtigten Echauffieren über die menschenfeindlichen und spaßbefreiten Winterspiele 2022 kommt mir freilich ein bissle arg kurz, dass das gesamte Zeug dort alles ja weder von den bösen Chinesen noch den eisenharten Russen entworfen wurde, sondern im Falle der Abfahrtspiste vom Eidgenossen Russi und im Falle des 500 Millionen bis 2,5 Milliarden Euro teuren Eiskanals sogar vom Stuttgarter Uwe Deyle, wobei nicht zuletzt auch die pünktliche Fertigstellung dieses Großprojektes verwundern muss angesichts des eher schleichenden Baufortschritts bei Stuttgart 21.

Vielleicht sollte die Bahn einfach werktätige Minderheiten und Randgruppen zwangsrekrutieren und/oder der Bund nochmal zehn Milliarden zuschießen und den Albaufstieg nicht durchtunneln lassen, sondern ihn einfach mit Mann und Maus komplett abtragen. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die gigantische Skisprunganlage in Zhangjiakou ebenfalls von einem der Unsren entworfen wurde, namentlich von Hans-Martin Renn aus Fischen im Allgäu, also quasi einem weiteren Schwaben sogar, wenn auch einem bayrischen. Nimmt man noch die Sportartikler aus Herzogenaurach und anderswo dazu, so kommen wir unterm Strich doch auf ganz schön viele einheimische Leute, die ganz schön viel profitieren oder sogar maßgeblich mit involviert sind in die Perversitäten in Fernost, wogegen die heimische Fußball-Bundesliga im Intrigenranking geradezu langweilig erscheint.

Da kommt die von DFL-Chefin Donata Hopfen und Bayern-Boss Oliver Kahn angeschobene Diskussion um die Einführung von Playoff-Runden gerade recht, die Fans ein bisschen aufzuschrecken und aufzuwecken aus ihrer Lethargie, auf dass sie alle lebhaft mitreden und überlegen und sich mit dem Fußball beschäftigen – weil ja doch zu befürchten ist, dass auch dann nicht mehr so eifrig ins Stadion gegangen wird wie früher, wenn endlich wieder volle Auslastung möglich ist. Angenehmer Nebeneffekt für DFL und Co: Vor lauter Hysterie um die Playoffs ist dann kaum mehr Raum für Protest dagegen, dass die Investoreneinfluss-Begrenzungsregel namens 50 plus 1 schwuppdiwupp abgeschafft wird.

Und damit am Ende dieses Textes nochmal eine ganz persönliche Meinung steht, behaupte ich, dass an der Fußball-Bundesliga Reglementkosmetik zu betreiben überhaupt nichts an der bestehenden Langeweile ändert, solange nicht das finanzielle Ungleichgewicht unter den Clubs behoben wird. Hierzu müsste freilich die Verteilung des großen Fernsehgeldes grundlegend geändert werden. Und das werden etliche Clubs der Liga gar nicht wollen. Unser Herzensverein VfB könnte ohnehin erst dann wieder mit dem großen FC Bayern mitstinken, wenn nach der grundlegenden Andersverteilung des TV-Geldes auch noch Gehaltsobergrenzen wie in der amerikanischen Profifootball-Liga NFL eingeführt würden. Bis dahin wird es aber wohl noch ziemlich lange dauern. Und ob der VfB dann noch oder wieder in der höchsten Spielklasse dabei ist, das kann aus heutiger Sicht durchaus bezweifelt werden. Der Betzenberg lässt grüßen.


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