Die dreifache Mutter erinnert sich an ein Gespräch mit dem zuständigen Schulrat vor sechs oder sieben Jahren, bei dem sie sich um eine einzige zusätzliche Stelle bemühte: Es ging um 28 Stunden für eine interne Krankheitsvertretung und um die individuelle Förderung von Kindern. Selbst dieses Verlangen blieb unerfüllt. Immer und immer wieder habe sie vorausgesagt, wie die Bildungsschere in Stuttgart auf diese Weise auseinandergehen werde. Dass sie recht behalten sollte, schmerzt sie umso mehr, weil allzu viele spätestens seit der Ankunft der vielen Flüchtlinge 2015 "die Augen einfach verschlossen haben und die Entwicklung nicht sehen wollten".
Hamburg hatte sich da schon lange auf den Weg gemacht. An der Elbe hätte die Altenburgschule nicht eine, zwei oder drei Stellen mehr bekommen. In Hamburg hätte es bis zu 50 Prozent mehr Lehrkräfte gegeben, 50 Prozent mehr als an privilegierteren Standorten in Rotherbaum und Blankenese. In Stuttgart wäre das vergleichbar mit dem Killesberg. Ungleiches ungleich zu behandeln war eines der größten Versprechen von Grün-Schwarz nach der Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg. Festgeschrieben schon im vielzitierten Sondierungspapier der späteren Koalitionspartner ist, wie es im Wissenschaftler:innen-Deutsch heißt, die sozialindexbasierte Ressourcenverteilung. "Die Entkoppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg rücken die Verhandlungsparteien ins Zentrum", wird in diesem Papier verkündet, die andere Verteilung von Lehrkräften sei eine "echte Innovation für mehr Bildungsgerechtigkeit".
Wenig Geld für Bildung im reichen Baden-Württemberg
Daraus wird vorerst nichts. Sang- und klanglos sind die Pläne eingesammelt worden, und die Erprobungsphase ist bis aufs Schuljahr 2026/2027 verlängert. Die offizielle Begründung ist absurd. Denn einerseits laufen Modelle bereits seit September an gut 30 Standorten in den Schulamtsbezirken Tübingen, Lörrach und Biberach, andererseits sollen vier Grundschuljahre lang Erfahrungen gesammelt werden. Die Phase würde 2025/2026 enden, also erst einige Monate nach der nächsten Landtagswahl. Dazu wird ohnehin nur verschleiert, woran es wirklich hakt: am Geld.
Für Baden-Württemberg hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) errechnet, dass 1.900 zusätzliche Stellen nötig wären, wollte die Landesregierung ihren eigenen Anspruch erfüllen. Zum einen wären aller Wahrscheinlichkeit nach so kurzfristig keine Lehrkräfte zu finden, weil viel zu wenige Studienplätze vorhanden sind – ebenfalls zu Einsparzwecken. Zum anderen würde die grün-schwarze Koalitionsspitze die notwendigen Mittel gar nicht herausrücken. Grüne und schwarze Entscheidungsträger:Innen hängen nämlich der These an, im Wesentlichen sei genug Geld da, bloß müsse es irgendwie besser verteilt werden. Das ist erst recht unzutreffend. Die Hansestadt steckt nach den Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt durchschnittlich 12.600 Euro pro Kopf in Grundschüler:innen. Das reiche Baden-Württemberg liegt dagegen mit gut der Hälfte, nämlich 6.700 Euro am Tabellenende, wo der Länderdurchschnitt von 7.400 deutlich unterboten wird.
Das Ärgste kommt noch, wenn es ab 2026 den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab der ersten Klasse umzusetzen gilt. In Hamburg arbeiten schon heute alle Grundschulen im Ganztag und sind dementsprechend durchfinanziert. Strukturell besteht zugegeben der Vorteil, dass der Stadtstaat Stadt und Bundesland zugleich ist. Damit liegt die Schulträgerschaft in einer Hand. Entscheidungsprozesse sind schlanker, Landtagsabgeordnete und Gemeinderäte müssen nicht wegen divergierender Interessen in den Clinch gehen. So gesehen wird es im Südwesten aber erst recht kompliziert. Diesen Rechtsanspruch zu erfüllen, wird dieser und der nächsten baden-württembergischen Landesregierung sowie den Kommunen als Schulträgern größte Anstrengungen abverlangen.
Kein Schulfrieden in Sicht im Süden
Um den Nachholbedarf einzuordnen, reicht nicht mehr nur der Blick zurück, denn der zeitliche Vorlauf an der Waterkant ist inzwischen Teil der Geschichtsbücher. 2002 präsentierte die damalige rot-grüne Bundesregierung ihre Pläne für den Ausbau von Kitas, Krippen und Ganztagsschulen. "Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern", erklärte SPD-Generalsekretär Olaf Scholz in erkennbar lockerer Gesprächssituation. Die von der Union geschürte Aufregung schlug immer neue Wellen. "Im Rückspiegel verblasst das auf der Ehe basierende Lebensideal der Mutter-Vater-Kind-Beziehung", jammerte damals die "Welt" und pochte darauf, dass "die Väter des Grundgesetzes in Artikel 6 Absatz 1 Ehe und Familie unter besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellten".
1 Kommentar verfügbar
EGuther
am 07.12.2022Was ist eigentlich aus der letzthin angekündigten Kabinettssitzung zum Thema Bildung geworden? In STN oder STZ und den angeschlossenen Lokalzeitungen wurde nix berichtet?