Ausgerechnet Gerhard Brand, Landesvorsitzender beim Verband Bildung und Erziehung (VBE), wirft dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann dieser Tage vor, von dem, was heutzutage im Unterricht passiert, "ungefähr genauso viel zu verstehen wie ein Ziegelstein vom Schwimmen". Dabei saß der VBE ebenfalls im Bremserhäuschen, als es vor inzwischen elf Jahren darum ging, endlich aufzubrechen in eine neue Schulwelt: mit weniger Selektion und mehr Freude am gemeinsamen Lernen und Lehren, mit besser bezahlten (Grundschul-)Lehrkräften, dem Ausbau der Studienkapazitäten und mit der Entkoppelung des Bildungserfolg von den finanziellen Möglichkeiten des Elternhauses.
Nach Jahrzehnten der CDU-geführten Herrschaft im Südwesten stand 2011 so viel Richtiges im grün-roten Koalitionsvertrag ("Der Wechsel beginnt"), dass heute die Lektüre schmerzt: "Das baden-württembergische Schulsystem ist nicht auf der Höhe der Zeit. Es ist sozial ungerecht und basiert auf dem Prinzip des Aussortierens. (…) Die Bildungschancen dürfen nicht von der sozialen Herkunft oder vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Das wollen wir ändern."
Geschafft wurde das nicht. Und der Misserfolg hat viele Väter und Mütter. Eltern oder Gymnasiallehrkräfte, die sich elitär querlegten im groben Missverstehen, dass nur schwächere Kinder und Jugendliche vom gemeinsamen Unterricht mit besseren profitierten, aber keineswegs umgekehrt – obwohl viele Studien längst den Mehrwert für alle belegt hatten. CDU und FDP diskreditierten wider besseres Wissen und ohne Hemmungen die Reformbemühungen und redeten die neuen Gemeinschafts- anhaltend als Einheitsschulen schlecht, ohne jede Bereitschaft, die eigenen Fehler in der Vergangenheit ehrlich einzugestehen.
Der vorsichtig einsetzende Wechsel kam schnell ins Stocken. "Kein Gestaltungsvermögen und kein Change-Management", resümiert Doro Moritz. Die frühere Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW ist Chronistin der Irrungen, dabei hätte sie Eltern und Kindern, Jugendlichen und Lehrkräften den Aufbruch in eine gerechtere Schulwelt so sehr gewünscht. (Bildungs-)Politiker:innen von Grünen, CDU, SPD und FDP, die sich ernsthaft auf die Suche nach den Gründen für die vielschichtigen Schwierigkeiten im Land machen wollen, könnten starten mit der Lektüre einschlägiger Passagen in Moritz' letztem Statement vor der Landespressekonferenz im Herbst 2020.
Koalition im Krebsgang
Ihre Aufzählung reicht vom 2007 verfassten Brandbrief der 120 Schulleitungen und den unüberlegten Rettungsversuchen der Hauptschule durch die CDU über den Fehlstart von Grün-Rot 2011 mit der Kurzzeit-Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD), an deren Stuhl auch ihr Parteifreund und Nachfolger Andreas Stoch nutznießend sägte, über den nur vorübergehend positiven Start in eine neue Zeit mit Gemeinschafts- und mehr Grundschulen und die zu Recht hochgelobte regionale Schulentwicklung bis zu den Folgeschäden des Eintritts der CDU in die Landesregierung vor mittlerweile sechseinhalb Jahren.
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Helmut Gattermann
am 09.11.2022Trotzdem eine Frage: War Kurzzeit-Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer wirklich SPD oder trat sie nicht für…