Wenn Deutschlands Zeitungsverlage sparen wollen, bauen sie mit Vorliebe Arbeitsplätze ab. Als etwa die Kölner DuMont Gruppe 2010 eine Berliner Gemeinschaftsredaktion für "Berliner Zeitung", "Frankfurter Rundschau" und "Kölner Stadt-Anzeiger" gründete, wurden zuallererst 50 von 190 gemeinschaftlichen Stellen gestrichen. Für Ärger sorgten auch immer wieder Stellenabbauprogramme des im Ruhrgebiet beheimateten WAZ-Konzerns mit der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung", die heute meist nur noch unter dem Titel "Funke-Mediengruppe" firmiert. Beim WAZ-Konzern, lange Zeit größte Regionalzeitung in Deutschland, summiert sich der Abbau über die Jahre auf fast 600 Mitarbeiter:innen. Begründet mit "betrieblichen Notwendigkeiten", gab es auch im Stuttgarter Pressehaus, Heimat der zur Gemeinschaftsredaktion fusionierten "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten", wiederholt Sparmaßnahmen. 55 Stellen sind in diesem Sommer betroffen, weitere 30 waren es schon einmal im Jahr 2016, um die die Redaktion sukzessive abgebaut wurde.
Haben die Redakteurinnen und Redakteure bei solchen Entscheidungen auch nur den Hauch von Chance, bei der Ausgestaltung mitzuwirken? Hier kommt der sogenannte Tendenzschutz ins Spiel: eine gänzlich deutsche Besonderheit, die die Freiheit von Journalist:innen gegenüber den Verlagen und das Recht auf betriebliche Mitbestimmung in Medienunternehmen deutlich einschränkt. Die gesetzlich verankerte Regelung degradiert Medienschaffende zu "abhängig Beschäftigten" – die dabei oft ähnlich engen Zwängen unterworfen sind wie Kirchenbedienstete. Selbst gewählte Betriebsräte haben – zumindest in den allermeisten Fällen – keine detaillierten Einblicke in die betriebswirtschaftlichen Zahlen eines Zeitungshauses.
Einen weithin einzigartigen Journalistenstreik hatte es vor einigen Jahren dort gegeben, wo ihn keiner erwartete: beim "Schwarzwälder Boten" in Oberndorf. Im Jahr 2011 traten die Beschäftigten zwölf Wochen lang in den Ausstand, zeitweilig legten bis zu 140 von 270 Mitarbeiter:innen die Arbeit nieder, weil der Verleger Richard Rebmann – der lange Zeit zugleich auch Geschäftsführer der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) in Stuttgart und damit Chef der Zeitungsverlage im Pressehaus Stuttgart war – die kleine Regionalzeitung in Untergesellschaften zerschlagen und die Tarifbindung aufheben wollte.
Umstrukturierung nicht mit Betriebsrat besprochen
Ob derartige Sparkonzepte notwendig sind, können die Journalistinnen und Journalisten – mangels Einblick in Geschäftszahlen – oft gar nicht beurteilen. Nicht nur in Oberndorf wurde die geplante Umstrukturierung nicht vorab mit dem Betriebsrat besprochen, auch der jüngste Stellenabbau im Stuttgarter Pressehaus wurde von oben herab verkündet. Protest wie in Oberndorf war in Stuttgart-Möhringen bislang nicht zu beobachten. Allerdings gab es einen von mehr als 200 Kolleg:innen unterzeichneten geharnischten Brief gegen "den Kahlschlag und einen drohenden Verlust an Vielfalt und journalistischer Qualität" (Kontext berichtete).
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Chris
am 05.08.2022