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Badisches Staatstheater Karlsruhe

Neuanfang ohne Zauber

Badisches Staatstheater Karlsruhe: Neuanfang ohne Zauber
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Vorwürfe von Mobbing und Machtmissbrauch zwangen den Generalintendanten am Staatstheater Karlsruhe 2020 zum Rücktritt. Die politische Theaterführung kündigte an, daraus zu lernen und Beschäftigte stärker einzubeziehen. Stattdessen werden die Rechte ihrer Vertretung beschnitten.

Im Sommer 2020 offenbarte sich das toxische Arbeitsklima am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. "Kontrollzwang, beständiges Misstrauen und cholerische Ausfälle", lautete das Urteil des Personalrats über den Führungsstil des damaligen Intendanten Peter Spuhler. Die Krise ist inzwischen vier Jahre her, und spätestens mit dem neuen künstlerischen Intendanten Christian Firmbach soll sie nach dem Willen der politisch Verantwortlichen ein Ende haben.

"Aus unserer Sicht hat sich das Arbeitsklima und die Zufriedenheit verbessert", teilt das für die Staatstheater zuständige baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst auf Anfrage mit. Bei sozialen Kontakten und Entwicklungsmöglichkeiten hätten die befragten Mitarbeiter:innen positive Bewertungen abgegeben. Insgesamt läge das Badische Staatstheater bei der Zufriedenheit der Beschäftigten wieder im bundesweiten Durchschnitt. Der eingeleitete "Reform- und Zukunftsprozess" habe zahlreiche Veränderungen gebracht, sagt auch die Sprecherin des Badischen Staatstheaters. Eine Dienstvereinbarung für partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz sowie der Ausbau von Fortbildungsangeboten und der innerbetrieblichen Kommunikation habe die Arbeitsatmosphäre deutlich verbessert. Mehr Mitsprache für den Personalrat beinhaltet der Prozess aber nicht.

Zu große Machtfülle eines Intendanten

Die Krise am Staatstheater Karlsruhe hat eine intensive Diskussion über Machtstrukturen und Führungsstile in kulturellen Institutionen ausgelöst. Die Vorwürfe gegen den einstigen Generalintendanten Spuhler wogen schwer: Mobbing, unangebrachtes Verhalten und Machtmissbrauch. Im Theater habe ein Klima der Angst und Einschüchterung geherrscht. Die politische Führung des von der Stadt Karlsruhe und vom Land getragenen Staatstheaters schaute lange zu. Auch als der Personalrat die Vorwürfe öffentlich vorbrachte, versuchten die damalige Wissenschafts- und Kunstministerin Theresia Bauer (Grüne) und der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) zu beschwichtigen. Sie seien irritiert über die Art und Weise der vorgebrachten Vorwürfe und warfen den öffentlich auftretenden Beschäftigten und dem Personalrat "Kampagnencharakter" vor, der "Vertrauen zerstöre" und eine konstruktive Lösung verhindere. Doch eine eingeleitete Untersuchung bestätigte die Probleme. Knapp ein Jahr später musste Spuhler gehen. Da sein Vertrag erst im Jahr 2019 um sieben Jahre verlängert wurde, konnte er noch eine hohe Abfindung erreichen.

Eine Strukturkommission aus zwei Landtagsabgeordneten und zwei Karlsruher Stadträt:innen, die von einem Experten beraten wurde, sah sich das in Karlsruhe praktizierte Modell des Generalintendanten genauer an. Und sollte ab Februar 2021 eine neue Leitungsstruktur für das Badische Staatstheater finden. Knapp ein Jahr später hielt die Kommission in ihrem Bericht fest: Es sei "stark zu bezweifeln, ob ein Unternehmen in der Größe des Badischen Staatstheaters und mit den Besonderheiten des Theaterbetriebs, seinen komplexen und ausdifferenzierten Anforderungen und Erwartungen, von einer Person gut geführt werden kann." Aufgrund der Komplexität sei das Modell eines Generalintendanten "keine zukunftsfähige Leitungsstruktur".

Dreierspitze als Lösung

Stattdessen wurde als kurzzeitige Interimslösung eine Dreierspitze installiert. Dieses "kollektive Leitungsmodell" sei für die Reorganisation des Staatstheaters am besten geeignet, lautete das Urteil der Strukturkommission. Die Begründung überraschte: Zwar sei die Doppelspitze aus einer künstlerischen und einer kaufmännischen Leitung ein vielfach bewährtes Leitungsmodell, es würde aber die positiven Erfahrungen der Interimslösung außer Acht lassen. Allerdings war die Interimsspitze zu diesem Zeitpunkt nur etwas mehr als einen Monat zu dritt im Amt.

Im kommenden September vervollständigt der neue Intendant Christian Firmbach mit den schon länger in dieser Position tätigen Johannes Graf-Hauber als kaufmännischem Intendanten und der künstlerischen Betriebsdirektorin Uta-Christine Deppermann auch offiziell die Dreierspitze. "Im Rahmen des Neustarts möchten wir programmatisch eine große Bandbreite an Geschichten, Themen, Kunstformen und Angebotsformaten präsentieren, die für alle Zielgruppen etwas bieten", beschreibt das Staatstheater den Fokus der neuen Spielzeit. "Wir wollen Theater für und mit Karlsruhe machen, den begonnenen Reformprozess fortsetzen und im Zuge dessen auch neue künstlerische Impulse setzen." Doch nicht alle in der Belegschaft sind mit Firmbach als Kopf der Dreierspitze zufrieden. "Wir hätten uns eine andere Wahl als Intendanten gewünscht", sagt eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben will. An seiner vorherigen Theaterstation in Oldenburg soll sich der neue Intendant nicht nur Freunde in der Belegschaft gemacht haben. In Karlsruhe fürchten einige von Firmbach ein "antiquiertes Denken" und einen "elitären Ansatz", der für die heutige Theaterlandschaft nicht mehr zeitgemäß sei. Die neu geschaffene Position der leitenden Opern- und Konzertdramaturgie ist mit Firmbachs Ehefrau Stephanie Twiehaus besetzt.

Neue Zielgruppen benötigt

Nicht nur für Karlsruhe gilt: Längst ist es für die Theater schwieriger geworden, die Säle zu füllen. Im vergangenen Jahr erreichte das Staatstheater etwas über 250.000 Besucher:innen. Zehn Jahre zuvor waren es noch fast 20 Prozent mehr. "Früher war es schwer, überhaupt Karten zu bekommen. Jetzt wird das alte Stammpublikum immer weniger", sagt eine weitere Mitarbeiterin. Das bestätigt ein Bericht des Landesrechnungshofs zum Staatstheater aus dem vergangenen Jahr: "Bei den Abonnenten ist ein kontinuierlicher Rückgang festzustellen." Die strategische Perspektive solle auf neue Zielgruppen gerichtet und diese durch spezifische Programme gezielt erschlossen werden, schlägt der Rechnungshof vor.

Ein solches spezifisches Programm könnte "Kultur ohne Grenzen" sein, das unter der Interimsintendantschaft zu einer eigenständigen Initiative des Staatstheaters wurde. Mit eigenständigen, niedrigschwelligen Angeboten sollen Menschen mit Migrationshintergrund generationenübergreifend direkt angesprochen und zum Theaterbesuch animiert und begleitet werden. "Es sagt ja schon der gesunde Menschenverstand, dass Theater auf neue Zielgruppen zugehen müssen", sagt die Projektkoordinatorin Tina Schüler. Neben Kindern und Jugendlichen seien Menschen mit Migrationshintergrund eine wichtige Gruppe. Schüler darf das Projekt nur noch bis Ende Juli leiten, denn das Badische Staatstheater stellte keine Mittel mehr zur Verfügung.

"Bewusstsein fehlt"

"In diesem Jahr haben wir für 'Kultur ohne Grenzen' mehr als 50 neue Teilnehmende gewinnen können. Insgesamt erreichen wir mehr als 200 Menschen für das Theater", sagt Schüler voller Unverständnis für die Entscheidung der Mittelstreichung. Immer wieder seien andere Kulturinstitutionen der Stadt auf sie zugekommen, wie sie es geschafft hätte, dass so viele Menschen mit Migrationshintergrund ins Staatstheater kämen. Auch das Kulturamt habe das Projekt beispielhaft genannt. "Wir haben viel mit der Politik gesprochen, aber die alleinige Entscheidungsgewalt liegt beim Intendanten", sagt die Projektleiterin.

Doch bei der Theaterleitung sei dafür kein Bewusstsein vorhanden. Weil für Menschen mit Migrationshintergrund eine beziehungsorientierte Arbeit wichtiger sei als die Orientierung am Angebot, hat sie eine WhatsApp-Gruppe, die Tag und Nacht frequentiert wird, erzählt Schüler. Dabei denkt sie an eine junge Australierin, die in ihrer Heimat immer ins Theater ging, aber erst mit dem Projekt die Schwelle ins Badische Staatstheater überschritt. "Wie viele unserer Teilnehmenden hat sie sich vorher nicht reingetraut. Da geht es auch um Fragen, was soll ich anziehen oder wo sind die Toiletten."

Durch die "hohen Einsparauflagen" könne "Kultur ohne Grenzen" leider nicht fortgesetzt werden, begründet das Badische Staatstheater das Ende des Projekts. In den kommenden Jahren erhalte das Staatstheater knapp eine Million Euro weniger Zuschüsse von Stadt und Land. Trotzdem arbeite das Theater an der Erschließung neuer Zielgruppen, sagt die Staatstheater-Sprecherin. Schon jetzt seien 23 Prozent des Publikums Schüler:innen oder Student:innen. Unter den Menschen, die zum ersten Mal das Staatstheater besuchen, sei jede:r Dritte jünger als 30 Jahre. Mit dem Ausbau der Angebote für junge Menschen solle das Theater auch attraktiver für Familien und diverser werden.

Weniger Mitbestimmung für Personalrat

"Strukturell hat sich gar nichts verändert", sagt eine Mitarbeiterin. Sie fürchtet, dass auch in dem neuen Leitungsmodell die Machtfülle zu stark auf den Intendanten ausgerichtet ist. Das Wissenschafts- und Kunstministerium sieht diese Gefahr nicht und verweist auf Verhaltensregeln für eine gute und konstruktive Arbeitsatmosphäre, die von Beschwerdestellen und Verfahrensabläufen ergänzt werde. Doch im Personalrat wünscht man sich mehr Mitsprache. Als Entscheidungsgremium über neue Intendanten und als Kontrollorgan fungiert der Verwaltungsrat, der ausschließlich aus Politiker:innen aus Stadt und Land besteht. Ende 2021 wünschten sich die Personalräte der Landestheater in Karlsruhe, Stuttgart und Tübingen auch vor dem Hintergrund der Krise in Karlsruhe ein Stimmrecht in diesen Aufsichtsgremien, wie sie in einem Brief an die Spitze des Kunstministeriums und die Oberbürgermeister der Städte zum Ausdruck brachten. Bis dato durften die Personalvertretungen nur als Gäste teilnehmen und bei wichtigen Entscheidungen auch mal die Sitzung verlassen. Es gehöre heute zum allgemeinen wissenschaftlichen Standard, dass das Einbinden der Mitarbeitenden in die Prozesse unverzichtbar sei. So müssten "die Mitarbeitenden mehr mit in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden", argumentierten die Personalräte in dem Brief.

Doch statt ihre Mitbestimmung und Beteiligung auszubauen, kappte das Ministerium die Beteiligung der Personalräte in den Aufsichtsgremien ganz. Die Rechte und Pflichten des Personalrats seien im Landespersonalvertretungsgesetz abschließend geregelt, erklärt das Ministerium. Die über Jahre geübte Praxis der Teilnahme an den Sitzungen des Verwaltungsrats müsse daher beendet werden. Stattdessen solle künftig eine neu geschaffene und zu wählende Beschäftigtenvertretung die Stimme der Beschäftigten sein. Ein Stimmrecht ist aber auch hier nicht vorgesehen.

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4 Kommentare verfügbar

  • Antje
    am 12.09.2024
    Antworten
    Liebe Karlsruher, Ihr wisst gar nicht, welch ein Glück Ihr habt!
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