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Schauspieler:innen und Geld

"Und was machen Sie tagsüber?"

Schauspieler:innen und Geld: "Und was machen Sie tagsüber?"
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Schauspieler:innen lieben ihren Beruf und verdienen meist wenig. Mittlerweile wird auch ihnen klar: Wenn sie einigermaßen ordentlich bezahlt werden wollen, müssen sie selbst aktiv werden. Ein Besuch bei der Württembergischen Landesbühne Esslingen.

Die Zeit sei reif, mit den prekären Arbeitsverhältnissen an den Theatern endlich an die Öffentlichkeit zu gehen, sagte der Schauspieler Antonio Lallo im Interview mit Kontext im Juni 2021. Deshalb engagiert er sich in seiner Gewerkschaft und hat nach zwei Jahren einiges erreicht. Im Bühneneingangsbereich der Württembergischen Landesbühne Esslingen (WLB) leuchtet und blinkt jetzt neben dem Schwarzen Brett ein Info-Schaukasten der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA), der Gewerkschaft der Schauspieler:innen. Auf den ist Antonio Lallo, Ensemblemitglied und Vorsitzender des GDBA-Lokalverbandes Esslingen, besonders stolz. Der 49-Jährige ist unermüdlich im Werben von Gewerkschaftsmitgliedern. Da sei so ein "Eyecatcher" sehr nützlich. Mittlerweile sind 15 seiner 29 Ensemblekolleg:innen in die GDBA eingetreten. "Das ist ziemlich gut für ein kleines Haus wie unseres."

Erfolgreiche Tarifverhandlungen

Erst 1991 wurde an öffentlich getragenen Theater eine Mindestgage für Schauspieler:innen eingeführt. Sie lag damals bei 2.400 DM (etwa 1.230 Euro) und stieg in den folgenden 30 Jahren stückchenweise um 770 auf 2.000 Euro. Nach Tarifverhandlungen im Sommer 2022 zwischen den Künstler:innen-Gewerkschaften (Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles sowie Bundesverband Schauspiel) und dem Deutschen Bühnenverein für die Arbeitgeberseite stieg die Einstiegsgage in zwei Stufen ab dem 1. September 2022 auf 2.550 Euro und ab dem 1. Januar 2023 auf 2.715 Euro. Dazu kam eine Erhöhung um 200 Euro ab dem dritten Berufsjahr (= Mindestgage). Im Juni 2023 wurden weitere Erhöhungen verhandelt: Ab dem 1. März 2024 wird die Einstiegsgage von 2.715 auf 2.900 Euro und die Mindestgage von 2.915 auf 3.110 Euro erhöht. Die Tarifverhandlungen zur Arbeitszeit, über die seit Oktober 2022 gestritten wird, sind Ende Juni dieses Jahres fürs Erste gescheitert.  (gro)

Mitglieder zu gewinnen ist offenbar leichter geworden als noch vor ein paar Jahren. Schauspieler:innen neigen traditionell zum Einzelkämpfertum, auch weil sie ihre Gagen bis heute (über den Mindestlohn hinaus) individuell verhandeln. Aber die pandemiebedingte Vollbremsung gab plötzlich Zeit zum Nachdenken, dann kam die große Angst vor weiteren Einsparungen, riss doch Corona in die Kassen der Länder und Städte Riesenlöcher. In dieser Zeit bekam die müde erscheinende GDBA eine neue Präsidentin. Seit 2021 verleiht Lisa Jopt (41) der Gewerkschaft ein völlig neues Image. Sie verwandelte die GDBA im Sausewind in eine selbstbewusste Schauspieler:innengewerkschaft mit jungem, modernem, buntem Erscheinungsbild und öffentlichkeitswirksamem Auftreten.

Und schnell gelang ihr ein erster Sensationserfolg, der im Juni 2022 wie ein Blitz in die Welt der staatlich finanzierten, tarifgebundenen deutschen Theater einschlug: Als Ergebnis der Tarifverhandlungen mit dem Deutschen Bühnenverein für die Arbeitgeberseite steigt die monatliche Mindestgage für Schauspieler:innen von 2.000 Euro brutto in mehreren Stufen binnen zwei Jahren um 45 Prozent. Und es stehen noch weitere Tarifverhandlungen an, die vor allem die Verbesserung der prekären Arbeitsbedingungen des tariflichen NV (Normalvertrag) Bühne angeht, der für Schauspieler:innen gilt. Gestritten wird etwa über ein Modell für die Arbeitszeiterfassung.

Solche Erfolge animieren zum Eintritt in die GDBA, die vor der Jopt-Ära als "strumpfsockig" wahrgenommen wurde, wie der WLB-Schauspieler Oliver Moumouris (50), seit Kurzem Gewerkschaftsmitglied, konstatiert. Sie habe sich, erklärt Antonio Lallo, in den Tarifverhandlungen immer viel zu ängstlich verhalten, weil sie befürchtet habe, "dass die Theater weggespart werden, wenn man zu viel fordere. Aber es wurde dann trotzdem massiv gespart". Davon hat jetzt auch Moumouris genug. "Wir Schauspieler sind doch die Könige, das Blut des Theaters. Warum sind wir eigentlich immer die Deppen?"

Nächstes Ziel: gleiche Gage für Frau und Mann

Es herrscht spürbar eine "Wir werden immer mehr"-Euphorie. Auch der Schauspieler Martin Theuer (62) ist jetzt – nach 40 Berufsjahren – Gewerkschaftsmitglied geworden und als Schriftführer im Lokalverband aktiv. Gewerkschaftsarbeit habe früher der Ruch des Unkünstlerischen angehangen, sagt er, "das ist noch immer als Folklore in unseren Köpfen verwurzelt, dass es im Interesse der Kunst okay ist, sich ausbeuten zu lassen. Und der Beruf macht ja auch Freude." Und auch Elif Veyisoglu (47) ist jetzt Mitglied, "aus moralischen Gründen", wie sie sagt. Lily Frank (29), stellvertretende Vorsitzende des Lokalverbandes, gehört zur jungen Generation, für die der GDBA-Eintritt bereits selbstverständlich ist. Immerhin profitieren ja gerade die Einsteiger:innen von der Mindestlohnerhöhung: "Ich habe letzten Sommer hier angefangen und konnte von Vertragsbeginn an bis zum ersten Arbeitstag zusehen, wie meine Gage steigt."

Nach der Erhöhung der Einstiegsgage "träumen wir jetzt von einem Gagenstufenmodell nach Berufsjahren", erklärt Lallo, "bei gleicher Bezahlung: ob Mann oder Frau, oder ob man lange selbstständig war". Frauen verdienten bisher bis zu 24 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Aber auch die Schauspieler:innen müssten umdenken. Früher habe man sich gegen Gagendeckelungen gewehrt, um nach oben verhandeln zu können. Beides gehe aber nicht. Entweder Gagensystem oder freie Verhandlung nach oben. Da müssten jetzt Strukturen her. Denn die Erhöhung der Mindestgage führt dazu, dass die Relation zwischen den Gagen von Anfänger:innen und erfahrenen Schauspieler:innen nicht mehr stimmt. Eine Ungerechtigkeit, die auch für die beiden Intendanten der WLB, Friedrich Schirmer und Marcus Grube, ein Problem darstellt.

Endlich wird offen über Gagen geredet

"3.200 Euro waren bis vor zwei Jahren noch eine gute Gage", sagt Schirmer. "Wenn demnächst ein Anfänger 2.900 Euro kriegt, stimmt die Balance nicht mehr. Selbst einem 18-Jährigen, der hier ein bezahltes Betriebspraktikum macht oder vor dem Studium als Regieassistent arbeitet, müssen wir ja die Mindestgage zahlen. Was soll ich denn dann gestandenen Schauspieler:innen zahlen oder denen, die drei Kinder zu versorgen haben?", fragt er. Man bemühe sich, die Gehälter gerecht anzupassen. "Aber das können wir natürlich nur sehr moderat machen."

Weil GDBA-Chefin Lisa Jopt auch mit der Mär aufgeräumt hat, man dürfe über seine Gagen mit Kolleg:innen nicht reden, ist es nun kein Problem mehr, sie öffentlich zu machen. Moumouris, der 2016 mit einer Gage von 2.500 Euro brutto an der WLB angefangen hat, verdient jetzt in seinem 22. Berufsjahr 3.550 Euro, wie auch Veyisoglu, die von ihren 25 Berufsjahren 18 Jahre freischaffend war. "Die letzten zwei Gehaltserhöhungen wurden mir ohne Verhandlung zugestanden", sagt sie, "Das ist mir davor noch nie passiert." Theuer sagt, er habe jetzt eine Vier vorne stehen – nach 40 Arbeitsjahren. Und Lallo kriegt 3.750.

Zu ihren eigenen Gehältern wollen sich Marcus Grube und Friedrich Schirmer nicht äußern. Ausdrücklich befürwortet Schirmer, "dass sich die Kolleg:innen gewerkschaftlich organisieren. Unser Ensemble hier halte ich für verantwortungsbewusst und auch gesprächsbereit." Die Forderungen seien völlig legitim. "Als ich hier in Esslingen 2014 meine Intendanz antrat, lag die Mindestgage bei nur 1.650 Euro." Und das Leben sei hier teuer. "Aber ich bin nicht happy über die Verhandlungsform. Die fand ich etwas nassforsch. Das ging mir viel zu schnell. Da verabreden sich die neue GDBA-Präsidentin Lisa Jopt und die neue Geschäftsführerin des Bühnenvereins, Claudia Schmitz, und – dusch dusch dusch – explodiert über Nacht die Gage. Die Theater wurden nicht gefragt, und wir müssen das jetzt ausbaden." Man hätte das in verschiedenen Stufen, gekoppelt an andere Dinge, aushandeln können. Verhandeln heiße doch: "Ich gebe, du gibst."

Die Intendanten müssen rechnen

Das Problem für die WLB: Zu den Gagenerhöhungen im künstlerischen Bereich, die 475.000 Euro Mehrkosten verursachen, kommen noch die Gehälteranpassungen für die Gewerke-Abteilungen, die nach dem TV-L (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder) bezahlt werden: knapp eine halbe Million Euro mehr. Damit seien die Personalkosten, die 85 Prozent des Gesamtetats des Hauses ausmachen, von 2019 auf 2023 um 18 Prozent gestiegen. Eine verantwortungsvolle Tarifpolitik sehe anders aus, schaue über den eigenen Tellerrand auf den Gesamtbetrieb, sagt Grube. "Wir beschäftigen immerhin 140 festangestellte Mitarbeiter:innen."

Stadt und Land haben die Personalkostenerhöhungen bisher "ohne Muh und Mäh" mitgetragen, so Schirmer, "wir können nur hoffen, dass das so bleibt. Wenn nicht, führt das zu einer dauerhaften Zuspitzung der Spielräume im künstlerischen Bereich", ergänzt Grube. Das Haus selbst könne das nicht stemmen. "Wir sind heilfroh, die letzten drei Jahre mit sinkenden Einnahmen und explodierenden Ausgaben für Energie und Material mit zartblauen Augen davongekommen zu sein", sagt Schirmer. Die Folgen der Mehrkosten lägen auf der Hand: Man könne weniger Gäste ans Haus holen, die das Ensemble entlasten. Stücke würden kleiner besetzt, weniger Musiker:innen für musikalische Produktionen engagiert. Bei der Ausstattung müsse noch mehr gespart werden, die Produktionen müssten kommerzieller werden, um länger laufen zu können und mehr Ertrag zu bringen. Es sei an der Zeit, "nach anderen Modellen der Geldgewinnung zu suchen", so Grube, "Wie wäre es denn, wenn man mal wieder eine Vermögenssteuer einführen würde, die seit 1997 nicht mehr erhoben wird?"

Für die Schauspieler:innen geht es freilich nicht nur um die Gage, sondern auch um die prekären Arbeitsbedingungen, die mit dem tariflichen Normalvertrag Bühne verbunden sind: schwammige Arbeitszeiterfassung, Kettenverträge, Ruhezeitverletzungen, "geteilte Dienste", die den Tag in zwei Hälften (morgens und abends) aufspalten und für Alleinerziehende eine Kinderbetreuung unmöglich machen, oder die "Residenzpflicht" an freien Tagen: Bei jeder Aufführung müssen sie einspringen können für Erkrankte. Das sind Zusatzverpflichtungen, die in vielen anderen Berufen vergütet werden.

Elif Veyisoglu widerstrebt allerdings, "alles aufzurechnen", etwa das Textlernen in der Freizeit. Die Arbeitszeiterfassung sei "ein zweischneidiges Schwert". Ja, in fünf Premieren mitzuspielen, sei anstrengend, "aber in nur drei, das wäre mir auch zu wenig. Ich möchte ja arbeiten." Zudem gebe es Dinge, sagt sie, die liefen in Esslingen sehr gut. "Wir proben seit Längerem samstags nicht mehr, die Fahrten bei den Abstechern ins Umland werden mitberechnet, und nicht, wie andernorts üblich, nur zu 50 Prozent." Zudem tue das Haus alles, um den Schauspieler:innen nebenberufliche TV- und Film-Drehs zeitlich zu ermöglichen, bestätigt Antonio Lallo. Was willkommene Zusatzeinnahmen bedeutet.

Politik soll Theater besser verstehen

"Wir wollen", sagt Lallo, "keine Kunstverhinderer sein, sondern Kunstermöglicher". Und so sucht er mit dem Lokalverband den persönlichen Draht zu den Kommunalpolitiker:innen, wirbt für "sein" Theater, klärt über die Arbeitsbedingungen auf, über die nur wenige außerhalb des Theaters etwas zu wissen scheinen. Martin Theuer hat da einige Anekdoten zu erzählen, was ihm für Fragen begegnen, wenn er sagt, er sei Schauspieler: "Und was machen Sie tagsüber?" oder "Und was machen Sie beruflich?".

In der folgenden Woche werden sich Lallo und der Lokalverband mit dem Esslinger Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD) treffen. Schließlich sei der ja Vorsitzender des Verwaltungsrates des Theaters und habe großen Einfluss. Und im Rahmen der bundesweiten Aktion "40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten" wird der Lokalverband demnächst Politiker:innen ins Haus der WLB einladen, eine Führung machen, Mitarbeiter:innen vorstellen und eine kleine Sondervorstellung geben. Lallo: "Das können wir halt: Show, Entertainment, Poesie. Damit sie nicht nur trockene Infos bekommen, sondern gerne zu uns kommen." So will er das Theater ins Bewusstsein der Politik bringen: "Um sie für uns zu gewinnen."


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3 Kommentare verfügbar

  • gerhard manthey
    am 27.07.2023
    Antworten
    Nachklapp: Was macht die Schauspielerin ohne den Beleuchter, die Requisiteurin, den Schreiner die Garderobiere......,? Und warum sollen nicht alle in einer Gewerkschaft unter einem Tarifwerk sein?
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