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CDU und AfD

Klare Kante

CDU und AfD: Klare Kante
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Populist:innen haben Hochkonjunktur zum Auftakt der politischen Sommerpause. Beinahe täglich wird, auch von der CDU, eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Im Windschatten der sich verändernden Tonlage erklimmt die AfD demoskopische Höhen. Das ruft nach Gegenwehr.

Schleswig-Holstein geht mit gutem Beispiel voran. Die Parteichefs von CDU, Grünen, SPD, FDP und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) haben in Kiel gemeinsam Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD verabschiedet. Seit vergangenem Jahr sitzt die AfD nicht mehr im dortigen Landtag, dafür aber seit der Kommunalwahl im Mai in diversen Kommunalparlamenten. Es drohe, dass diese Partei "mit Schauanträgen, rechtsradikalen Äußerungen und anderen Handlungen versucht, die Kreistage, Stadt- und Gemeindevertretungen für sich zu instrumentalisieren und dabei auch die herausgehobenen Positionen der Kommunalvertretungen nutzen will." Egal, ob sie sich vor Ort ein bürgerliches oder moderates Gesicht gebe oder nicht, "sie ist rechtsradikal und teils offen rechtsextrem", heißt es angesichts des AfD-Kommunalwahlergebnisses im Mai von acht Prozent.

So gesehen müssten gemeinsame Anstrengungen der demokratischen Parteien hierzulande schon lange konzipiert sein. 2016 war die AfD aus dem Stand mit gut 15 Prozent in Baden-Württembergs Landtag eingezogen und fünf Jahre später wieder auf unter zehn Prozent geschrumpft. Inzwischen hat sie in Umfragen ihren Stimmenanteil fast verdoppelt. Dennoch offenbaren die Reaktionen auf den jüngsten Baden-Württemberg-Trend von Infratest dimap – 19 Prozent würden AfD wählen, wäre nächsten Sonntag Landtagswahl – eine schmerzliche Leerstelle. Sogar Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) irrlichterte durchs Dickicht. Er habe auch keine Erklärung, sagt er am Rande der letzten Plenardebatte vor den Sommerferien, um sich dann doch an einer zu versuchen: Ganz offensichtlich gebe es ein diffuses allgemeines Gefühl der Verunsicherung. Und das Vertrauen in die Politik gehe verloren.

Gemeinsam auf Solidarität setzen gegen den Hass

Besonders hilflos klingt, wenn der Regierungschef auf künftige Erkenntnisse der empirischen Sozialforschung vertrösten will – als gäbe es noch nicht genug Daten und Fakten. Sie zeigen beispielsweise, dass Männer mit niedrigem Bildungsabschluss überdurchschnittlich anfällig sind für rechte Parolen, dass bis in die Mittelschicht Abstiegsängste das Wahlverhalten beeinflussen. Und dass die diffuse Unzufriedenheit mit aktuellen Entscheidungen wie etwa dem Heizungsgesetz zu großen Teilen von der ziemlich katastrophalen Kommunikation herrührt. Zugleich sind aber Ansatzpunkte geliefert, um dem Trend nach Rechtsaußen entgegenzuwirken. Denn die Zahlen von Infratest dimap zeigen nicht nur, woher der Groll zumindest auch kommt, der sich in der Hinwendung zur AfD entlädt. Sondern ebenso, welche Milieus durch positive Impulse gestärkt und ermutigt werden müssten. So finden zwar 69 Prozent der AfD-Anhängerschaft die Asylpolitik der Landesregierung "gar nicht gut", 62 Prozent jener aber, die bei einer Wahl am kommenden Sonntag Grün bevorzugen würden, bewerten sie als gut und ebenso 46 Prozent der potenziellen SPD-Wähler:innen.

Es würde also auf fruchtbaren Boden fallen, den Rat des baden-württembergischen Linken-Landessprechers Elwis Capece zu beherzigen und sich eindeutig gegen Populist:innen zu positionieren, gemeinsam auf Solidarität statt auf Hetze zu setzen und insbesondere darauf, dass Menschenrechte unverhandelbar sind. Kretschmann jedoch schlägt alle Anfragen aus, die in Stuttgart mitregierende CDU in die Schranken zu weisen, nachdem der einflussreichste Baden-Württemberger in Berlin, Bundestagsfraktionsvize Thorsten Frei, sogar eine Grundgesetzänderung zulasten des Individualrechts auf Asyl ins Spiel gebracht hat. Dabei müsste der Ministerpräsident nur in seinen Philosophie-Zettelkasten greifen. "Finden des rechten Wortes im rechten Augenblick ist bereits Handeln", sagt Hannah Arendt. Und auch Aristoteles hilft weiter: "Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen." Allein Pascal Haggenmüller, der Landesvorsitzende vom linken Flügel der Grünen, versucht letzteres und nennt die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen "völlig inakzeptabel" und "nicht einmal diskutabel".

MP hegt keinerlei Zweifel

"Thomas Strobl hat mir zugesagt, dass die CDU in Baden-Württemberg alle Zusammenarbeit mit der AfD rigoros ablehnt. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Ich kenne keinerlei Vorkommnisse aus Baden-Württemberg, die mich daran zweifeln lassen." Ministerpräsident Winfried Kretschmann am 25. Juli 2023 bei der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung.  (jhw)

Gerade Baden-Württemberg hat schlechte Erfahrungen gemacht mit dem Versuch, die Rechten durch Annäherung an deren Positionen zu bekämpfen. Die von der Südwest-CDU massiv mitbetriebene Asylgrundrechtsänderung Anfang der 1990er-Jahre schwemmte für zwei Legislaturperioden die rechtspopulistischen "Republikaner" in den Landtag. "Wir sind anfälliger", sagt Kretschmann mit resignativem Unterton, als entstamme dies einem Naturgesetz und müsste nicht erst recht Anlass sein, sich den Koalitionspartner zur Brust zu nehmen.

Die CDU zuerst deutlich zu kritisieren für ebenso absurde wie unumsetzbare Vorschläge, etwa die Arbeitspflicht für Asylbewerber:innen, und danach einzubinden in die Abgrenzung der demokratischen Parteien gegenüber der AfD, hätte jedenfalls leicht erkennbare Vorteile – sachlich wie strategisch und gerade mit Blick auf die Kommunal- und die nicht zu unterschätzenden Europawahlen im kommenden Jahr. Denn schon jetzt machen im Europaparlament Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP) gemeinsame Sache mit Nationalist:innen und Populist:innen. Schon jetzt greift die Union auf der großen Berliner Bühne und hierzulande in den Räten nach AfD-Themen, speziell in der Landeshauptstadt Stuttgart.

Friedrich Merz, der Teppichausroller

Vor allem würden, wenn man sich nach Kieler Vorbild grundsätzlich gemeinsam positionierte, einschlägige Resolutionen oder Entschließungen zurück ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Wie jene der Südwest-CDU vom Sommer 2019 unter der Überschrift "AfD kann kein politischer Partner sein". Dazu würde unterstrichen, wie reibungslos das Miteinander der vier anderen Fraktionen im parlamentarischen Landtagsalltag normalerweise funktioniert. Ein Beispiel von vielen: Inzwischen sieben Mal haben die Abgeordneten von Grünen, CDU, SPD und FDP gemeinsam verhindert, dass die AfD Mitglieder ins Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) schickt. Einer Einrichtung, der die AfD schon ein Jahr nach ihrem Einzug ins Parlament – erfolglos – Stellen und Mittel streichen wollte, was für die LpB einem Aus gleichgekommen wäre.

Eine dialektische Steilvorlage, klare Grenzen zu ziehen, lieferte ausgerechnet der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz im ZDF-Sommerinterview – als Teppichausroller für die AfD und -wiedereinroller keine 24 Stunden später. Erst hatte Merz am Sonntag im Interview gesagt, wenn in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der AfD gewählt worden sei, dann seien das demokratische Wahlen, das habe man zu akzeptieren, "und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet." Am Morgen darauf ruderte er via Twitter wieder zurück: "Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt", schrieb er. "Es wird auch auf der kommunalen Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben."

Das verbale Hü und Hott des Unionschefs hat nun immerhin zur Folge, dass auf diese Weise der Blick allerorten neu geschärft ist. Listen kursieren im Netz, konkrete kommunale Kooperationen in Bautzen, Pirna oder Radebeul stehen plötzlich im Scheinwerferlicht. Landesverbände verweisen auf einschlägige Beschlüsse, von Kiel über Düsseldorf bis Stuttgart. "Wir Christdemokraten im Land haben das schon sehr früh als klare Richtschnur in unseren Beschlüssen im Jahr 2019 festgelegt", so Fraktionschef Manuel Hagel, der es "ehrlich gesagt" leid sei, "dieses Thema ständig wieder aufs Neue rumwälzen zu müssen". Und er beklagt die immer neu ausgelöste mediale Aufmerksamkeit, durch die der AfD eine Bedeutung zuteilwerde, "die sie in der Realität weder hat noch verdient". Mal sehen, ob und wie sich diese Erkenntnis konkret auf Politik und Themenwahl in der Südwest-CDU auswirkt.


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8 Kommentare verfügbar

  • Karsten Wehrmeister
    am 13.08.2023
    Antworten
    Die Parteien und vor allem die sog. Politiker und Politikerinnen müssen statt die ewigen Sprüche und Schuldzuweisungen fort zu führen, endlich einmal wieder Politik machen! Das heißt: für eine Position / Meinung auch gegen Widerspruch etc. einstehen und nicht immer die Fahne in den Wind hängen!…
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