"Fischen bei der AfD" nennen Grüne im Landtag das, was CDU-Abgeordnete gerade versuchen. Wenn sie, wie Winfried Mack aus dem Wahlkreis Aalen meinen, von "den Bürgern" behaupten zu müssen, die wollten nicht, "dass den Notleidenden der Anreiz zur Arbeit, der Anreiz zum Energiesparen, der Anreiz zur Eigenverantwortung genommen wird". Die wüssten, "wie sie mit dem, was sie mit ihrer Hände Arbeit verdienen, dieses verfehlte, ungerechte System bezahlen müssen". Oder die Wirtschaftsministerin. Nicole Hoffmeister-Kraut, Miterbin bei Bizerba, ist eigentlich eine freundliche Frau. Keine Scharfmacherin, nicht besonders profiliert, aber verlässlich auf der Seite der ArbeitgeberInnen. Etwa wenn es darum geht, angeblich zu hohe Mindestlöhne zu kritisieren und die Tarifbindung zu problematisieren. Jetzt singt die 50-jährige Volkswirtin die Leistung-muss-sich-wieder-lohnen-Arie mit.
Ein garstig Lied, das harmlos klingt und doch seit Jahrzehnten vorrangig zwei Zwecken dient: denen unten Beine machen und denen oben ein gutes Gewissen beim Zulangen. Ersteres verbirgt sich hinter dem technokratischen Begriff vom Lohnabstandsgebot. Ihm zufolge muss staatliche Hilfe für einen warum auch immer arbeitslosen Menschen prinzipiell deutlich unter dem Einkommen der Menschen "aus der hart arbeitenden Mitte der Gesellschaft" liegen, die "jeden Morgen früh aufstehen". So jedenfalls die derzeit wieder inflationär verbreitete Floskel, mit der sich die Unionsparteien (und nicht nur sie) seit eh und je lieb Kind machen wollen beim Wahlvolk. Hoffmeister-Kraut verantwortet ein Papier, erstellt mit ihren Kolleg:innen aus Bayern, NRW und Schleswig-Holstein, in dem der Bogen zum Bürgergeld geschlagen wird: "Bei der Betrachtung künftiger Leistungen insgesamt, ist das Lohnabstandsgebot zu wahren."
Steuerhinterziehung schadet deutlich mehr
Die aufgeheizte Debatte ist auch deshalb exemplarisch für den Rechtsruck in der Union, weil alte Positionen abgeräumt werden in der Hoffnung, möglichst wenige würden sich daran erinnern. Zum Beispiel, dass Dieter Althaus, damals Ministerpräsident von Thüringen, 2007 sogar ein eigenes Konzept für ein "solidarisches Bürgergeld" vorgelegt hat. "Wenn wir von den Bürgerinnen und Bürgern mehr Eigenverantwortung erwarten, dann bedeutet das auch, dass wir ihnen in einem ganz besonderen Maße Vertrauen entgegenbringen", argumentierte er diametral gegensätzlich zu seinen Parteifreund:innen von heute. Der verlässliche Hardliner Carsten Linnemann, Vize-Vorsitzender der CDU, tauft jenen Druck, den seine CDU weiter auf Langzeitarbeitslose ausgeübt wissen will, um in die verschleiernde Vokabel von der Eigenverantwortung.
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Alberto Seitz
am 17.11.2022