Angesichts der steigenden Inflation dürfte der Anteil der Armutsgefährdeten steigen. Zumal die hohen Energiepreise Menschen mit weniger Geld logischerweise stärker belasten. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) machen bei den ärmsten zehn Prozent der Haushalte die steigenden Energiepreise knapp sieben Prozent des Nettoeinkommens aus, bei den zehn reichsten Prozent knapp zwei Prozent. Das DIW hat alle jüngst politisch entschiedenen oder angekündigten Entlastungen berechnet, neben dem Paket auch den Wegfall der EEG-Umlage, die Anhebung des Grundfreibetrags, die Erhöhung der Fernpendlerpauschale und des Arbeitnehmerpauschbetrages – und sie mit den Energiepreisanstieg verrechnet. Ergebnis: Die unteren Einkommensgruppen haben am Ende rund drei Prozent Mehrbelastung, die oberen deutlich unter zwei Prozent, das oberste zehn Prozent sogar nur 1,3 Prozent. Steigende Lebensmittelpreise sind da noch gar nicht drin.
Menschen mit wenig Geld können also immer weniger bezahlen, Erspartes gibt es in der Regel nicht. Fazit des DIW: "Insgesamt wird die Volkswirtschaft durch die hohen Energiepreise ärmer, die Belastungen werden also durch die Entlastungsprogramme nur umverteilt und verschoben – und sei es in die Zukunft, indem die Staatsschulden ausgeweitet werden. Das spricht dafür, Besser- und Hochverdienende nicht zu entlasten und mittelfristig die Steuern auf höhere Einkommen und Vermögen zu erhöhen." Dass die sinkende Steuer auf Kraftstoffe im Gießkannenprinzip auch SUV-FahrerInnen zugutekommt, dient zudem nicht den Klimazielen und ist sozial ungerecht.
Der DGB-Chef will eine Sonderabgabe von den Reichen
Bei aller Kritik: "Im Prinzip ist das Entlastungspaket ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Kai Burmeister, Vorsitzender des DGB Baden-Württemberg. Dass allerdings Rentnerinnen und Rentner nichts bekommen, kann er nicht nachvollziehen. Gut findet Burmeister, dass die 300 Euro Energiepauschale versteuert werden muss. "Dadurch bekommen Gutverdiener weniger und Geringverdiener mehr." Aber im Grunde wird das Verhältnis zwischen Arm und Reich nicht verändert. Es müsse weiter gedacht werden. Vor allem Geringverdiener müssten langfristig entlastet werden, angesichts der Preissteigerungen besonders bei der Energie.
Der Gewerkschaftschef sieht in den steigenden Staatsausgaben – die beiden Entlastungspakete kosten 30 Milliarden Euro, dazu die geplanten höheren Rüstungsausgaben – eine Gefahr. "Wenn Finanzminister Lindner jetzt sagt, der Staat könne nicht alles ausgleichen, gleichzeitig die Arbeitgeber erklären, dass sie keine Lohnerhöhungen zahlen wollen, dann ist das beabsichtigte Szenario: Die Mehrheit der Bevölkerung muss die Lasten der Krisen tragen. Das wollen wir nicht." Immerhin gebe es eine ganz Reihe von Unternehmen – Mercedes, Banken, Bosch, Siemens Hausgeräte – denen es super geht. Burmeister möchte eine Sonderabgabe wie unter Bundeskanzler Adenauer 1952: Damals mussten Vermögende Geld abgeben für Kriegsgeschädigte wie Geflüchtete, Ausgebombte, Spätheimkehrer.
Schließlich benötige der Staat Geld auch für die Bekämpfung des Klimawandels, sagt er. Das Geld müsse aber von den Vermögenden kommen. "Diese Debatte müssen wir führen. Das ist unsere Zeitenwende." Angesichts einer FDP in der Regierung dürfte das schwierig werden. Burmeister: "Ich bin optimistisch, dass der Zwang der Verhältnisse diese Debatte voran bringt."
Lebensmittel kaufen oder Stromrechnung bezahlen?
Einen Antrag auf eine Vermögensabgabe für die reichsten 0,7 Prozent der Bevölkerung hat die Linke schon im April vorigen Jahres in den Bundestag eingebracht. Begründung: die Coronakrise. Der Antrag wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Das aktuelle Entlastungspaket sieht die Partei ähnlich wie Burmeister: Die Richtung sei okay, aber es reiche nicht. Die Reutlinger Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti ärgert besonders der Umgang mit Hartz-IV-EmpfängerInnen. Die sollen nicht 300 Euro wie Beschäftigte, sondern einmal 100 Euro bekommen. Die öffentlich kursierenden 200 Euro seien nicht ganz korrekt, so Tatti, weil da schon die im Januar angekündigten 100-Euro-Coronahilfe für Hartz-IV-EmpfängerInnen drin seien. Zwar bezahlen für diese Gruppe die Ämter die Heizkosten. Doch weil der Hartz-IV-Satz eh schon zu niedrig sei, reiche der geplante Zuschlag nicht. Tatti hat ausgerechnet: Die 100 Euro plus die seit Januar geltende Erhöhung des Regelsatzes um 3 Euro auf 449 Euro bedeuten aufs Jahr gerechnet 2,5 Prozent mehr.
6 Kommentare verfügbar
Nina Picasso
am 07.05.2022Durch massives Lobbying gelang es der Lobby des großen Geldes, dass die jeweiligen Bundesregierungen immer wieder Steuerprivilegien für die Reichen schufen. Sie verursachen hohe Profite für eine kleine Anzahl von Personen und hohe Kosten für den Rest…