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Entlastungspaket

Den Armen wird weiter genommen

Entlastungspaket: Den Armen wird weiter genommen
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Die Energiepreise explodieren, da kommt auch eine Bundesregierung mit FDP-Beteiligung auf die Idee, Geld in die Breite zu verteilen. Knapp 30 Milliarden Euro schwer dürfte das Entlastungspaket sein, damit die Bürger die steigenden Kosten nicht ganz so arg spüren. Doch für Menschen mit wenig Geld ändert das wenig.

"Klar freue ich mich, wenn ich 300 Euro bekomme, auch wenn dann die Hälfte oder so für die Steuer weggeht. Aber auf Dauer hilft das ja auch nix." Jan Frier verdient nicht viel und hat schnell erkannt, dass das Entlastungspaket der Bundesregierung eher so mittelgut ist. Der 62-Jährige ist bei der Neuen Arbeit in Stuttgart in der Filmproduktion beschäftigt. "Ich bin Anleiter, Produzent – alles was so anfällt", erzählt er. Bei 39,5 Wochenstunden hat er um die 1.200 Euro netto im Monat. Zum Glück wohnt er in einer geförderten Wohnung, "550 Euro warm."

Frier hat ursprünglich Gärtner gelernt, musste den Beruf wegen Knie-Arthrose aufgeben. "Da war ich noch jung, habe dann verschiedene Jobs gemacht, schließlich bin ich in einer Zeitarbeitsfirma gelandet. Die Erfahrungen da waren nicht schlecht – wenn´s nur nicht so besch… bezahlt würde." Immerhin kam er darüber in einen festen Job, arbeitete in einem Verlag im Archiv, doch nach acht Jahren gab es eine größere Entlassungswelle und er musste gehen. In dem Verlag habe er ganz ordentlich verdient, und er war zunächst zuversichtlich, wegen seiner guten Zeugnisse schnell etwas Neues zu finden. "Aber da hat nichts geklappt." Es kam noch eine Krebserkrankung dazu, Frier landete in Hartz IV. "Aber ich hab immer was gemacht. Hauptsache ist, nicht in der Bude hocken zu bleiben, das ist tödlich."

Jan Frier engagierte sich ehrenamtlich in der Neuen Arbeit, bekam dort schließlich den sozialversicherungspflichtigen Job. Mit wenig Geld auskommen kann er eigentlich, im Elternhaus wurde stets sparsam gewirtschaftet. "Ich fahre zum Beispiel mit dem Wochenendticket an den Bodensee. Da gehe ich dann eben nicht essen, sondern hole mir was beim Bäcker." Das Problem: "Es ist schon belastend, jeden Euro umzudrehen. Und: Es darf natürlich keine Waschmaschine kaputt gehen oder so." Wenn doch? "Dann muss man Ratenzahlung machen. Das hemmt einen natürlich auch wieder auf Monate."

Die Inflation, die aktuell bei sieben Prozent liegt, macht ihm zu schaffen. "Schon während Corona stiegen die Preise, aber jetzt! Letzte Woche im Supermarkt war so eine Dauerwurst auf einen Schlag 40 Cent teurer. Vorher 99 Cent, jetzt 1,40. Kaffee im Sonderangebot habe ich vor einem Jahr für 3,99 bekommen, jetzt 4,50. Und an der Metzgertheke sind die 100-Grammpreise im Schnitt bestimmt so um 30 bis 50 Cent hochgegangen." Ein wenig Schiss hat er vor der nächsten Heizkostenabrechnung. Vorsorglich hat er schon mal die monatliche Abschlagszahlung etwas erhöht.

Inflation trifft Geringverdiener besonders hart

Menschen wie Jan Frier gibt es viele. Mit seinen 1.200 Euro netto bewegt er sich über der Grenze, die als armutsgefährdet gilt. Die liegt in Baden-Württemberg derzeit bei 1.166 Euro für einen Einpersonenhaushalt. Laut Statistischem Landesamt ist im reichen Südwesten fast jedeR Sechste von Armut bedroht. Die Gründe sind vielfältig: Kinder gelten als Armutsrisiko, niedrige Löhne. JedeR siebte Vollzeitbeschäftigte im Südwesten bekommt Niedriglohn, also weniger als 2.284 Euro brutto. Alleine in Stuttgart kaufen in den vier Tafelläden täglich 1.800 Frauen und Männer ein.

Das Entlastungspaket

Wegen der steigenden Energiekosten gibt es für jeden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einmalig 300 Euro, die steuerpflichtig sind. Wann das Geld kommt, ist noch unklar. Kosten: rund 10,4 Milliarden Euro.

Einmalig gibt es im Juli 100 Euro pro Kind. Das Geld wird auf den Kinderfreibetrag angerechnet, so dass Besserverdienende davon kaum profitieren. Hartz-IV-EmpfängerInnen schon, bei ihnen wird das Geld auch nicht mit dem Regelsatz verrechnet. Sie bekommen zudem 200 Euro, die Hälfte davon war bereits im Januar als Corona-Entlastung angekündigt. Wer Arbeitslosengeld I bezieht, soll im Juli 100 Euro erhalten.

Das Neun-Euro-Monatsticket für drei Monate soll im Juni kommen. Ob hier der Bundesrat zustimmt, ist noch offen.

Die Energiesteuer auf Kraftstoffe soll für drei Monate gesenkt werden. Benzin soll frühestens ab Juni um rund 30 Cent, Diesel um rund 14 Cent pro Liter billiger werden. Dadurch entgehen dem Staat etwa 3,15 Milliarden Euro.

Angesichts der steigenden Inflation dürfte der Anteil der Armutsgefährdeten steigen. Zumal die hohen Energiepreise Menschen mit weniger Geld logischerweise stärker belasten. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) machen bei den ärmsten zehn Prozent der Haushalte die steigenden Energiepreise knapp sieben Prozent des Nettoeinkommens aus, bei den zehn reichsten Prozent knapp zwei Prozent. Das DIW hat alle jüngst politisch entschiedenen oder angekündigten Entlastungen berechnet, neben dem Paket auch den Wegfall der EEG-Umlage, die Anhebung des Grundfreibetrags, die Erhöhung der Fernpendlerpauschale und des Arbeitnehmerpauschbetrages – und sie mit den Energiepreisanstieg verrechnet. Ergebnis: Die unteren Einkommensgruppen haben am Ende rund drei Prozent Mehrbelastung, die oberen deutlich unter zwei Prozent, das oberste zehn Prozent sogar nur 1,3 Prozent. Steigende Lebensmittelpreise sind da noch gar nicht drin.

Menschen mit wenig Geld können also immer weniger bezahlen, Erspartes gibt es in der Regel nicht. Fazit des DIW: "Insgesamt wird die Volkswirtschaft durch die hohen Energiepreise ärmer, die Belastungen werden also durch die Entlastungsprogramme nur umverteilt und verschoben – und sei es in die Zukunft, indem die Staatsschulden ausgeweitet werden. Das spricht dafür, Besser- und Hochverdienende nicht zu entlasten und mittelfristig die Steuern auf höhere Einkommen und Vermögen zu erhöhen." Dass die sinkende Steuer auf Kraftstoffe im Gießkannenprinzip auch SUV-FahrerInnen zugutekommt, dient zudem nicht den Klimazielen und ist sozial ungerecht.

Der DGB-Chef will eine Sonderabgabe von den Reichen

Bei aller Kritik: "Im Prinzip ist das Entlastungspaket ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Kai Burmeister, Vorsitzender des DGB Baden-Württemberg. Dass allerdings Rentnerinnen und Rentner nichts bekommen, kann er nicht nachvollziehen. Gut findet Burmeister, dass die 300 Euro Energiepauschale versteuert werden muss. "Dadurch bekommen Gutverdiener weniger und Geringverdiener mehr." Aber im Grunde wird das Verhältnis zwischen Arm und Reich nicht verändert. Es müsse weiter gedacht werden. Vor allem Geringverdiener müssten langfristig entlastet werden, angesichts der Preissteigerungen besonders bei der Energie.

Der Gewerkschaftschef sieht in den steigenden Staatsausgaben – die beiden Entlastungspakete kosten 30 Milliarden Euro, dazu die geplanten höheren Rüstungsausgaben – eine Gefahr. "Wenn Finanzminister Lindner jetzt sagt, der Staat könne nicht alles ausgleichen, gleichzeitig die Arbeitgeber erklären, dass sie keine Lohnerhöhungen zahlen wollen, dann ist das beabsichtigte Szenario: Die Mehrheit der Bevölkerung muss die Lasten der Krisen tragen. Das wollen wir nicht." Immerhin gebe es eine ganz Reihe von Unternehmen – Mercedes, Banken, Bosch, Siemens Hausgeräte – denen es super geht. Burmeister möchte eine Sonderabgabe wie unter Bundeskanzler Adenauer 1952: Damals mussten Vermögende Geld abgeben für Kriegsgeschädigte wie Geflüchtete, Ausgebombte, Spätheimkehrer.

Schließlich benötige der Staat Geld auch für die Bekämpfung des Klimawandels, sagt er. Das Geld müsse aber von den Vermögenden kommen. "Diese Debatte müssen wir führen. Das ist unsere Zeitenwende." Angesichts einer FDP in der Regierung dürfte das schwierig werden. Burmeister: "Ich bin optimistisch, dass der Zwang der Verhältnisse diese Debatte voran bringt."

Lebensmittel kaufen oder Stromrechnung bezahlen?

Einen Antrag auf eine Vermögensabgabe für die reichsten 0,7 Prozent der Bevölkerung hat die Linke schon im April vorigen Jahres in den Bundestag eingebracht. Begründung: die Coronakrise. Der Antrag wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Das aktuelle Entlastungspaket sieht die Partei ähnlich wie Burmeister: Die Richtung sei okay, aber es reiche nicht. Die Reutlinger Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti ärgert besonders der Umgang mit Hartz-IV-EmpfängerInnen. Die sollen nicht 300 Euro wie Beschäftigte, sondern einmal 100 Euro bekommen. Die öffentlich kursierenden 200 Euro seien nicht ganz korrekt, so Tatti, weil da schon die im Januar angekündigten 100-Euro-Coronahilfe für Hartz-IV-EmpfängerInnen drin seien. Zwar bezahlen für diese Gruppe die Ämter die Heizkosten. Doch weil der Hartz-IV-Satz eh schon zu niedrig sei, reiche der geplante Zuschlag nicht. Tatti hat ausgerechnet: Die 100 Euro plus die seit Januar geltende Erhöhung des Regelsatzes um 3 Euro auf 449 Euro bedeuten aufs Jahr gerechnet 2,5 Prozent mehr.

Derzeit prognostizieren Wirtschaftsverbände für das Gesamtjahr eine Inflation von 6,1 Prozent. Wenn das stimmt, wird den Ärmsten von der Ampelkoalition also ein satter Kaufkraftverlust zugemutet. Tatti: "Und das für Menschen, die sich überlegen müssen: Gehe ich in den Supermarkt oder bezahle ich meine Stromrechnung?"

So weit ist es für Jan Frier (noch) nicht. Ihn hat aber auch überrascht, dass im Entlastungspaket nichts für Rentnerinnen und Rentnern vorgesehen ist. "Mir gegenüber wohnt eine alte Frau, die jeden Morgen um sechs Uhr loszieht, um Flaschen zu sammeln. An die müsste man doch auch denken." Ansonsten erwartet er so oder so nicht mehr viel von der Politik. "Seit den 90ern ist der Wohnraum knapp, passiert ist nichts. Dabei muss doch jeder wohnen." Stets heiße es, die Kommunen hätten kein Geld, die Länder nicht und der Bund auch nicht. "Und dann gibt es plötzlich Milliarden für die Bundeswehr. Da haben sie kein Problem mit Schulden. Aber mal Schulden für die eigenen Leute aufnehmen – bloß nicht. Die sollten mal die schwarze Null beim Sozialen aufheben."

Ob alle vom Kabinett geplanten Maßnahmen durchkommen, ist ungewiss, denn Bundestag und der Bundesrat müssen noch zustimmen. Gerade im Bundesrat regt sich Unmut, da noch nicht klar ist, wer was bezahlen soll.


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6 Kommentare verfügbar

  • Nina Picasso
    am 07.05.2022
    Antworten
    Es wäre ein Leichtes, die Armut abzuschaffen!

    Durch massives Lobbying gelang es der Lobby des großen Geldes, dass die jeweiligen Bundesregierungen immer wieder Steuerprivilegien für die Reichen schufen. Sie verursachen hohe Profite für eine kleine Anzahl von Personen und hohe Kosten für den Rest…
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