Und so sprach die Autorin in ihrem Text auch tausenden Frauen aus der Seele, als sie über einen Effekt schrieb, den man parallel zu "MeToo" beobachten konnte. Als Heard ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt in ihrer Ehe öffentlich machte, sei sie nämlich doppelt geschlagen worden: Von einem gewalttätigen Ex-Ehemann und von einer Gesellschaft, die Frauen abstraft, die sich öffentlich gegen häusliche Gewalt aussprechen. Amber Heards Text passte im Jahr 2018 wie die Faust aufs Auge: In einer Welle schwappten ins Medienland immer mehr Fälle von bekannten Männern, die Frauen belästigt, missbraucht oder vergewaltigt hatten. Von der Schauspiel- bis zur Musikindustrie, von Politik bis Wissenschaft kamen weltweit immer mehr Fälle ans Licht, in denen Frauen von ihren Erfahrungen mit übergriffigen Männern berichteten. Ein feministischer Durchbruch, der sexuelle Übergriffe entnormalisierte und eine gesellschaftliche Bewusstwerdung global vorantrieb.
Plötzlich war es keine feministische Verschwörungstheorie mehr, dass es ein systematisches Problem mit übergriffigen Männer gibt, und eine Gesellschaft, die Täter schützt. "Dass Institutionen Männer beschützen", die des Missbrauchs beschuldigt werden, wie Amber Heard schrieb. Dass ein machtvoller Mann wie eine Titanic sei: "Dieses Schiff ist ein Riesenunternehmen. Wenn es gegen einen Eisberg fährt, versuchen eine Menge Leute an Bord verzweifelt, die Löcher zu stopfen – nicht etwa, weil sie besorgt um das Schiff sind, sondern weil ihr eigenes Schicksal an diesem Unternehmen hängt." Und so mutierte auch Johnny Depp zum Täter und Käpt’n Jack Sparrow seiner eigenen Titanic, als Amber Heard eine Verfügung gegen ihn erwirkte, weil er sie grün und blau geschlagen haben soll. Obwohl die Schauspielerin in ihrem Beitrag für die "Washington Post" keinen Namen nannte, war allen klar: Johnny Depp schlägt Frauen. Die britische "Sun" nannte Depp aufgrund von Amber Heards mutigem Vorstoß "Frauenschläger". Der Stempel war gesetzt.
Und plötzlich dreht Depp den Spieß um
Doch dann passierte etwa Unfassbares. Der gecancelte "Frauenschläger" Johnny Depp wollte, dass die ganze Welt weiß, dass seine Ex-Frau die Schlägerin ist. Dass er schon von seiner eigenen Mutter verdroschen wurde, die auch den Vater "fast totgeschlagen" hätte. Dass er seit seiner Kindheit Gewalt erfahren hatte und als erwachsener Mann wieder in eine gewaltvolle Beziehung mit einer gewalttätigen Frau gerutscht sei, weil er wie sein Vater dachte, dass das irgendwann aufhört, wenn man es nur lange genug erträgt – und sich mit Alkohol und Drogen betäubt. Dass er noch nie eine Frau geschlagen habe. Deshalb hat er ein gigantisches Gerichtsverfahren initiiert, in dem er all das mit Zeugen belegt. In dem alles, aber auch alles auf den Tisch soll, das Amber Heard ihm jahrelang im Windschatten der "MeToo"-Debatte angehängt hatte: Ihre Wutausbrüche, ihre Schläge, die körperliche und psychische Gewalt, die sie ihm während ihrer Ehe angetan haben soll.
Man kann manchmal fast nicht in Heards Gesicht schauen, wenn sie etwa von ihrer Anwältin ein Make-Up-Döschen präsentieren lässt, das sie immer in ihrer Handtasche dabeigehabt haben will, um blaue Flecken und gebrochene Nasen zu überschminken, obwohl das Produkt erst ein, zwei Jahre nach den angeblichen Vorfällen auf den Markt kam – das hatte der Makeup-Hersteller klargestellt, als er mitbekam, wie sich bei Heards Lügen die Balken biegen. Trotz drei Wochen Live-Gerichtssendung und kaum auszuhaltenden, fremdbeschämenden Intima aus den Beziehungsstreits zweier Hollywood-Größen ist zwar noch lange kein Urteil gesprochen, doch schon jetzt klar: Es gibt mehr valide Gründe zur Annahme, dass Amber Heard Johnny Depp misshandelt hat, als andersrum. Mittlerweile wurde ihr sogar eine histrionische Boderlinestörung bescheinigt, ein psychisches Krankheitsbild, das plötzliche Gewaltausbrüche, Lügen und krankhafte Selbstinszenierung begünstigt.
Das Narrativ der fiesen Exfrau sitzt tief
Doch am bizarren Fall Depp vs. Heard kann man gut beobachten, wie tief das ewige Narrativ der fiesen Exfrau, die einem unschuldigen Ehrenmann das Leben zerstören will, immer noch wie ein sexistischer Spreißel in der Gesellschaft sitzt. Trotz – oder gerade wegen "MeToo". Denn mit der emanzipativen Bewegung kam auch das konservative Gejammere darüber, dass viele Frauen ja nur die Karrieren von Männer zerstören wollten mit ihren öffentlichkeitsgeilen Aufschreien – eine antifeministische Erzählung, die jedem öffentlich gemachten Fall von Missbrauch per se Kalkül, Rachsucht, Geldgeilheit oder andere niedere Antriebe unterstellt und damit Wut gegen Frauen generiert.
Jetzt haben die AntifeministInnen recht. Und spekulieren in den sozialen Medien schon darüber, welcher bekannte Mann, der öffentlich als Täter geoutet wurde, auch unschuldig sein könnte. Eine feministische Farce angesichts der Tatsache, dass jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners stirbt und viele Medien diese Taten immer noch mit "Beziehungstat" oder "Ehedrama" betiteln, den Frauen also eine Mitschuld an ihrem eigenen Tod geben.
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Die Lerche
am 07.05.2022Ich lese die Kolumnen von Elena Wolf immer gerne (im Gegensatz zu…